Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.meinen Freunden: sind sie denn Nachtigallen, die auch nach Johannis Es ist sonderbar, daß der Mensch gerade in der Freude -- in der Ich bitte Sie, Lieber, um eine frühe Zeile: ich sehne mich darnach. -- Renate, die sich kindlich darauf freuet, schikt ihren alten Grus mit. Endigen Sie die Hundsposttage früher als die Kalenderhundstage? Und nun trenn' ich mich wieder von Ihrem Bilde, wiewol ich es meinen Freunden: ſind ſie denn Nachtigallen, die auch nach Johannis Es iſt ſonderbar, daß der Menſch gerade in der Freude — in der Ich bitte Sie, Lieber, um eine frühe Zeile: ich ſehne mich darnach. — Renate, die ſich kindlich darauf freuet, ſchikt ihren alten Grus mit. Endigen Sie die Hundspoſttage früher als die Kalenderhundstage? Und nun trenn’ ich mich wieder von Ihrem Bilde, wiewol ich es <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="100"/> meinen Freunden: ſind ſie denn Nachtigallen, die auch nach Johannis<lb/> verſtummen? — Gleichwol, je mehr in <hi rendition="#aq">Bayreuth</hi> mir alle Minuten zu<lb/> Roſetten und alle Stunden zu Brillanten ausgeſchliffen waren, — oder<lb/> vielmehr eben darum —, deſto mehr ſtelten ſich abends alle Bilder des<lb/> entrükten Hofs wie aufgerichtete Gräber-Bildniſſe um mich herum<lb n="5"/> und gerade die Trunkenheit machte mich durſtig nach dem hieſigen<lb/> Freuden-Spizglas und die Freude erzeugte das Heimweh.</p><lb/> <p>Es iſt ſonderbar, daß der Menſch gerade in der Freude — in der<lb/> Jugend — in der ſchönſten Gegend — in der ſchönſten Jahrszeit mehr<lb/> zur Schwärmerei der Sehnſucht, zum Blicke jenſeits der Welt, zum<lb n="10"/> Gemälde des Todes fähig iſt als im entgegengeſezten Fal, in der Noth,<lb/> im Alter, in Grönland, im Winter. Daher werden die beſſern Menſchen<lb/> nur durch das Glük demüthig, from, weich und ſehnſüchtig nach dem<lb/> höhern Glük: — das Unglük macht ſie feſt, trozig, hart und vol<lb/> irdiſcher Plane; bei den ſchlimmern iſts gerade umgekehrt. Nach einem<lb n="15"/> Lobe iſt man zur Beſcheidenheit geneigt; dem Tadel bäumt man ſich mit<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_95">[95]</ref></note>Stolz entgegen. Kurz die Freudenthräne iſt eine Perle vom <hi rendition="#g">erſten,</hi><lb/> und die Trauerthräne vom <hi rendition="#g">zweiten</hi> Waſſer. Jeden Bal fang’ ich mit<lb/> Luſtigkeit an und beſchlieſſ’ ihn mit Schwermuth — das lange Um-<lb/> tönen, das lange Vorübertanzen, der Sternenhimmel nach Mitter-<lb n="20"/> nacht weichen ſo zu ſagen das Herz wie einen Melonenkern in ſüſſen<lb/> Tropfen auf und machen es quellen — und die Trauerweide iſt der<lb/> erſte Schösling dieſes Samens.....</p><lb/> <p>Ich bitte Sie, Lieber, um eine frühe Zeile: ich ſehne mich darnach. —<lb/> Die ſchöne Stunde rükt immer näher, wo Sie, nicht erſt 6 Meilen<lb n="25"/> von hier, in freundſchaftliche Arme fallen. —</p><lb/> <p>Renate, die ſich kindlich darauf freuet, ſchikt ihren alten Grus mit.<lb/> Ich ſehe ſie oft und erquicke mich am Schauſpiele ihrer erfülten<lb/> Wünſche, ihres häuslichen Fleiſſes und ihrer verbeſſerten Lage und —<lb/> Seele. Die übrigen Otto gewinnen ſie immer lieber. Wenn <hi rendition="#g">ihre</hi><lb n="30"/> Kräfte und Tugenden die Bedingungen unſerer Wünſche ſind: ſo<lb/> werden dieſe alle erfült.</p><lb/> <p>Endigen Sie die Hundspoſttage früher als die Kalenderhundstage?<lb/> — Wenn mir Schäfer und Elrodt nicht ſogleich antworten: ſo<lb/> ſchreiben Sie mir etwas von beiden.<lb n="35"/> </p> <p>Und nun trenn’ ich mich wieder von Ihrem Bilde, wiewol ich es<lb/> immer, nur mit gröbern erdigtern Farben, über dem Fortepiano<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0111]
meinen Freunden: ſind ſie denn Nachtigallen, die auch nach Johannis
verſtummen? — Gleichwol, je mehr in Bayreuth mir alle Minuten zu
Roſetten und alle Stunden zu Brillanten ausgeſchliffen waren, — oder
vielmehr eben darum —, deſto mehr ſtelten ſich abends alle Bilder des
entrükten Hofs wie aufgerichtete Gräber-Bildniſſe um mich herum 5
und gerade die Trunkenheit machte mich durſtig nach dem hieſigen
Freuden-Spizglas und die Freude erzeugte das Heimweh.
Es iſt ſonderbar, daß der Menſch gerade in der Freude — in der
Jugend — in der ſchönſten Gegend — in der ſchönſten Jahrszeit mehr
zur Schwärmerei der Sehnſucht, zum Blicke jenſeits der Welt, zum 10
Gemälde des Todes fähig iſt als im entgegengeſezten Fal, in der Noth,
im Alter, in Grönland, im Winter. Daher werden die beſſern Menſchen
nur durch das Glük demüthig, from, weich und ſehnſüchtig nach dem
höhern Glük: — das Unglük macht ſie feſt, trozig, hart und vol
irdiſcher Plane; bei den ſchlimmern iſts gerade umgekehrt. Nach einem 15
Lobe iſt man zur Beſcheidenheit geneigt; dem Tadel bäumt man ſich mit
Stolz entgegen. Kurz die Freudenthräne iſt eine Perle vom erſten,
und die Trauerthräne vom zweiten Waſſer. Jeden Bal fang’ ich mit
Luſtigkeit an und beſchlieſſ’ ihn mit Schwermuth — das lange Um-
tönen, das lange Vorübertanzen, der Sternenhimmel nach Mitter- 20
nacht weichen ſo zu ſagen das Herz wie einen Melonenkern in ſüſſen
Tropfen auf und machen es quellen — und die Trauerweide iſt der
erſte Schösling dieſes Samens.....
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Ich bitte Sie, Lieber, um eine frühe Zeile: ich ſehne mich darnach. —
Die ſchöne Stunde rükt immer näher, wo Sie, nicht erſt 6 Meilen 25
von hier, in freundſchaftliche Arme fallen. —
Renate, die ſich kindlich darauf freuet, ſchikt ihren alten Grus mit.
Ich ſehe ſie oft und erquicke mich am Schauſpiele ihrer erfülten
Wünſche, ihres häuslichen Fleiſſes und ihrer verbeſſerten Lage und —
Seele. Die übrigen Otto gewinnen ſie immer lieber. Wenn ihre 30
Kräfte und Tugenden die Bedingungen unſerer Wünſche ſind: ſo
werden dieſe alle erfült.
Endigen Sie die Hundspoſttage früher als die Kalenderhundstage?
— Wenn mir Schäfer und Elrodt nicht ſogleich antworten: ſo
ſchreiben Sie mir etwas von beiden. 35
Und nun trenn’ ich mich wieder von Ihrem Bilde, wiewol ich es
immer, nur mit gröbern erdigtern Farben, über dem Fortepiano
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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