oft eine unbezwingliche Schwermuth, die Sie oft in meinen Büchern finden, nämlich die über die Eitelkeit Leerheit im Ganzen des Lebens und aller unserer Weisheit und unserer Tugend. In uns brent ein ewiger Durst nach einem höhern Glük, nach einer höhern Liebe, nach einer höhern Tugend, für den dieses Leben nicht einmal Tropfen5 zu reichen hat. Kurz ohne ein 2tes Leben könt' ich gerade in den Minuten der Entzückung, worin mir das Gespenst der Schwermuth aus 1000 Gräbern aufsteigt, nicht das erste ertragen. Ich brauch' ein Buch, um hier meine Gefühle zu sagen. -- Ich liebe Sie unbeschreiblich, Lieber; aber in der 2ten Welt weis ich erst, was das heisset, zu lieben.10
Richter
194. An Hofrat Schäfer in Bayreuth.
[Kopie][Hof, 18. Nov. 1795]
Theuerster Freund! So hab' ich Sie bisher immer genant, obwol nicht auf dem Papier. Da ich auf meiner Bücher Werfte auf einmal15 2 Fahrzeuge zimmern muste: so must' ich die 2 besten verwandten Dinge einmal entrathen -- das schöne Wetter und die Freundschaft, insoweit ihr Genus aus der Hülse der Briefe zu schäälen ist. In meiner immer mit der Luft-Architektur beschäftigten Phantasie hängt der vergangne Frühling zauber- und feenhaft auf Morgennebel20 gemalt und alle rosenfarb[ne] Luftschlösser im Gemälde sind aus Bayr[euthischen] Gassen genommen. Im Frühling werden diese Luftschlösser fester werden und niedersinken und ich werde hineintreten und Sie umarmen. -- Was macht Ihr Telemach, der mit dem französischen nur im Lehrer Aehnlichkeit hat? -- Dem Ehrgefühl wird25 sein Stand nachhelfen, aber nicht den sanften Regungen des Mitgefühls, mit denen ausgerüstet Sie ihn auf den Fürstenstuhl schicken müssen. Einen Fürsten, der die Standhaftigkeit zu weiter nichts nöthig hat als oft eine fremde zu erschüttern, würd' ich in einem Grade erweichen und zerlassen, ders für meine Unterthanen zu sehr wäre. -- Im30 Ganzen solte man einem Menschen nicht die Tugenden seines künftigen Standes oder Alters einerziehen -- denn diese werden ohnehin von den Verhältnissen aufgedrungen -- sondern ihn gerade mit denen rüsten,[126] denen seine künftige Lage entgegenarbeitet: man solte den Kopf für, das Herz gegen die künftige Lage bilden. -- Ich sag' ihm [Emanuel?] einen35 gerührten Dank für eine doppelte Freundschaft, für Ihre und für seine.
9 Jean Paul Briefe. II.
oft eine unbezwingliche Schwermuth, die Sie oft in meinen Büchern finden, nämlich die über die Eitelkeit 〈Leerheit〉 im Ganzen des Lebens und aller unſerer Weisheit und unſerer Tugend. In uns brent ein ewiger Durſt nach einem höhern Glük, nach einer höhern Liebe, nach einer höhern Tugend, für den dieſes Leben nicht einmal Tropfen5 zu reichen hat. Kurz ohne ein 2tes Leben könt’ ich gerade in den Minuten der Entzückung, worin mir das Geſpenſt der Schwermuth aus 1000 Gräbern aufſteigt, nicht das erſte ertragen. Ich brauch’ ein Buch, um hier meine Gefühle zu ſagen. — Ich liebe Sie unbeſchreiblich, Lieber; aber in der 2ten Welt weis ich erſt, was das heiſſet, zu lieben.10
Richter
194. An Hofrat Schäfer in Bayreuth.
[Kopie][Hof, 18. Nov. 1795]
Theuerſter Freund! So hab’ ich Sie bisher immer genant, obwol nicht auf dem Papier. Da ich auf meiner Bücher Werfte auf einmal15 2 Fahrzeuge zimmern muſte: ſo muſt’ ich die 2 beſten verwandten Dinge einmal entrathen — das ſchöne Wetter und die Freundſchaft, inſoweit ihr Genus aus der Hülſe der Briefe zu ſchäälen iſt. In meiner immer mit der Luft-Architektur beſchäftigten Phantaſie hängt der vergangne Frühling zauber- und feenhaft auf Morgennebel20 gemalt und alle roſenfarb[ne] Luftſchlöſſer im Gemälde ſind aus Bayr[euthiſchen] Gaſſen genommen. Im Frühling werden dieſe Luftſchlöſſer feſter werden und niederſinken und ich werde hineintreten und Sie umarmen. — Was macht Ihr Telemach, der mit dem franzöſiſchen nur im Lehrer Aehnlichkeit hat? — Dem Ehrgefühl wird25 ſein Stand nachhelfen, aber nicht den ſanften Regungen des Mitgefühls, mit denen ausgerüſtet Sie ihn auf den Fürſtenſtuhl ſchicken müſſen. Einen Fürſten, der die Standhaftigkeit zu weiter nichts nöthig hat als oft eine fremde zu erſchüttern, würd’ ich in einem Grade erweichen und zerlaſſen, ders für meine Unterthanen zu ſehr wäre. — Im30 Ganzen ſolte man einem Menſchen nicht die Tugenden ſeines künftigen Standes oder Alters einerziehen — denn dieſe werden ohnehin von den Verhältniſſen aufgedrungen — ſondern ihn gerade mit denen rüſten,[126] denen ſeine künftige Lage entgegenarbeitet: man ſolte den Kopf für, das Herz gegen die künftige Lage bilden. — Ich ſag’ ihm [Emanuel?] einen35 gerührten Dank für eine doppelte Freundſchaft, für Ihre und für ſeine.
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[129/0140]
oft eine unbezwingliche Schwermuth, die Sie oft in meinen Büchern
finden, nämlich die über die Eitelkeit 〈Leerheit〉 im Ganzen des
Lebens und aller unſerer Weisheit und unſerer Tugend. In uns brent
ein ewiger Durſt nach einem höhern Glük, nach einer höhern Liebe,
nach einer höhern Tugend, für den dieſes Leben nicht einmal Tropfen 5
zu reichen hat. Kurz ohne ein 2tes Leben könt’ ich gerade in den Minuten
der Entzückung, worin mir das Geſpenſt der Schwermuth aus 1000
Gräbern aufſteigt, nicht das erſte ertragen. Ich brauch’ ein Buch, um
hier meine Gefühle zu ſagen. — Ich liebe Sie unbeſchreiblich, Lieber;
aber in der 2ten Welt weis ich erſt, was das heiſſet, zu lieben. 10
Richter
194. An Hofrat Schäfer in Bayreuth.
[Hof, 18. Nov. 1795]
Theuerſter Freund! So hab’ ich Sie bisher immer genant, obwol
nicht auf dem Papier. Da ich auf meiner Bücher Werfte auf einmal 15
2 Fahrzeuge zimmern muſte: ſo muſt’ ich die 2 beſten verwandten
Dinge einmal entrathen — das ſchöne Wetter und die Freundſchaft,
inſoweit ihr Genus aus der Hülſe der Briefe zu ſchäälen iſt. In
meiner immer mit der Luft-Architektur beſchäftigten Phantaſie hängt
der vergangne Frühling zauber- und feenhaft auf Morgennebel 20
gemalt und alle roſenfarb[ne] Luftſchlöſſer im Gemälde ſind aus
Bayr[euthiſchen] Gaſſen genommen. Im Frühling werden dieſe
Luftſchlöſſer feſter werden und niederſinken und ich werde hineintreten
und Sie umarmen. — Was macht Ihr Telemach, der mit dem
franzöſiſchen nur im Lehrer Aehnlichkeit hat? — Dem Ehrgefühl wird 25
ſein Stand nachhelfen, aber nicht den ſanften Regungen des Mitgefühls,
mit denen ausgerüſtet Sie ihn auf den Fürſtenſtuhl ſchicken müſſen.
Einen Fürſten, der die Standhaftigkeit zu weiter nichts nöthig hat als
oft eine fremde zu erſchüttern, würd’ ich in einem Grade erweichen
und zerlaſſen, ders für meine Unterthanen zu ſehr wäre. — Im 30
Ganzen ſolte man einem Menſchen nicht die Tugenden ſeines künftigen
Standes oder Alters einerziehen — denn dieſe werden ohnehin von den
Verhältniſſen aufgedrungen — ſondern ihn gerade mit denen rüſten,
denen ſeine künftige Lage entgegenarbeitet: man ſolte den Kopf für, das
Herz gegen die künftige Lage bilden. — Ich ſag’ ihm [Emanuel?] einen 35
gerührten Dank für eine doppelte Freundſchaft, für Ihre und für ſeine.
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9 Jean Paul Briefe. II.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/140>, abgerufen am 21.11.2024.
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