weiblichen Herzen, das eben so gut dichterisch und idealisch ist als der Kopf, die Erde wenig mehr zu geben hat als Seufzer und Wünsche -- da ihr Mai des Lebens, anstat daß unsrer so schön ist wie ein gallischer, so naskalt und bereift ist wie ein deutscher, besonders der heurige -- da sie wie Nachtigallen von lauter Dornen die Wolle holen müssen,5 woraus sie sich in einer stach[lichten] Taxushecke ihr Lager bereiten: was könte ich schöners thun als die Feder nehmen und ihnen -- nicht jämmerliche deutsche Schmeicheleien, die ihnen in Büchern und an alle gerichtet nie gefallen, sondern -- Morgenträume und sanft[ere] Seufzer geben als ihnen das Leben abzwingt. Und wenn ich nur einer10 einzigen über den regn[erischen] Morgen ihres Lebens einen Regen- bogen ziehe -- wenn ich nur einem Herzen, für das die Freundinnen zu unmänlich, Freunde zu unweiblich sind, den schönen so lang begehrten Engel der Liebe im Wolkenhimmel der Dichtkunst zeige, nach dem es dürstend unten die Arme ausbreitet und in dessen seine es15 der Todesengel hinaufträgt: so hab' ich genug gelebt und geschrieben. Unser selbstgesprächiger Autor kan sich damit entschuldigen, daß er nicht wuste, daß Sie ihm zuhören. Ich habe Mühe meinen Dank ab- zubrechen, da ich nicht weis, ob ich Ihnen frühere Antworten geben darf als mündliche. Wenn ich die hohe Dreieinigkeit der drei [grössern]20 Weisen als je aus dem Orient zogen, hören und sehen werde: so werd' ich kaum beides mehr können, sondern vor Liebe und Rührung ver- stummen. Wolte der Himmel ich wüste die Tagszeit, wo Sie die Blumenstücke lesen: ich würde nicht arbeiten, sondern im Freien herum- gehen und nach dem Fürstenthum Weimar sehen und Zeile vor Zeile25 nachlesen und halb recht froh, halb recht furchtsam sein. Das Schiksal ahme, wie die Dichter die Wirklichkeit in ihren Dichtungen ver- schönernd kopieren, umgekehrt in Ihrer jenen nach und verwandle jede[164] rothe Rose des Lebens, wenn Sie sie weglegen, in die weisse der Erinnerung, damit, wenn Sie nach vielen Jahren sich umwenden, ein30 grosser weisser Rosengarten hinter Ihnen blühe.
262. An Christian Otto.
[Hof, 9. März 1796]
Ob ich gleich dein Urtheil über den Weim[arischen] Brief nicht weis: so schick' ich dir doch meines, das du mir um 3 Uhr zurükgeben35 magst. Bedenke aber, daß der Brief an eine Frau ist.
weiblichen Herzen, das eben ſo gut dichteriſch und idealiſch iſt als der Kopf, die Erde wenig mehr zu geben hat als Seufzer und Wünſche — da ihr Mai des Lebens, anſtat daß unſrer ſo ſchön iſt wie ein galliſcher, ſo naskalt und bereift iſt wie ein deutſcher, beſonders der heurige — da ſie wie Nachtigallen von lauter Dornen die Wolle holen müſſen,5 woraus ſie ſich in einer ſtach[lichten] Taxushecke ihr Lager bereiten: was könte ich ſchöners thun als die Feder nehmen und ihnen — nicht jämmerliche deutſche Schmeicheleien, die ihnen in Büchern und an alle gerichtet nie gefallen, ſondern — Morgenträume und ſanft[ere] Seufzer geben als ihnen das Leben abzwingt. Und wenn ich nur einer10 einzigen über den regn[eriſchen] Morgen ihres Lebens einen Regen- bogen ziehe — wenn ich nur einem Herzen, für das die Freundinnen zu unmänlich, Freunde zu unweiblich ſind, den ſchönen ſo lang begehrten Engel der Liebe im Wolkenhimmel der Dichtkunſt zeige, nach dem es dürſtend unten die Arme ausbreitet und in deſſen ſeine es15 der Todesengel hinaufträgt: ſo hab’ ich genug gelebt und geſchrieben. Unſer ſelbſtgeſprächiger Autor kan ſich damit entſchuldigen, daß er nicht wuſte, daß Sie ihm zuhören. Ich habe Mühe meinen Dank ab- zubrechen, da ich nicht weis, ob ich Ihnen frühere Antworten geben darf als mündliche. Wenn ich die hohe Dreieinigkeit der drei [gröſſern]20 Weiſen als je aus dem Orient zogen, hören und ſehen werde: ſo werd’ ich kaum beides mehr können, ſondern vor Liebe und Rührung ver- ſtummen. Wolte der Himmel ich wüſte die Tagszeit, wo Sie die Blumenſtücke leſen: ich würde nicht arbeiten, ſondern im Freien herum- gehen und nach dem Fürſtenthum Weimar ſehen und Zeile vor Zeile25 nachleſen und halb recht froh, halb recht furchtſam ſein. Das Schikſal ahme, wie die Dichter die Wirklichkeit in ihren Dichtungen ver- ſchönernd kopieren, umgekehrt in Ihrer jenen nach und verwandle jede[164] rothe Roſe des Lebens, wenn Sie ſie weglegen, in die weiſſe der Erinnerung, damit, wenn Sie nach vielen Jahren ſich umwenden, ein30 groſſer weiſſer Roſengarten hinter Ihnen blühe.
262. An Chriſtian Otto.
[Hof, 9. März 1796]
Ob ich gleich dein Urtheil über den Weim[arischen] Brief nicht weis: ſo ſchick’ ich dir doch meines, das du mir um 3 Uhr zurükgeben35 magſt. Bedenke aber, daß der Brief an eine Frau iſt.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0176"n="165"/>
weiblichen <hirendition="#g">Herzen,</hi> das eben ſo gut dichteriſch und idealiſch iſt als der<lb/><hirendition="#g">Kopf,</hi> die Erde wenig mehr zu geben hat als Seufzer und Wünſche —<lb/>
da ihr Mai des Lebens, anſtat daß unſrer ſo ſchön iſt wie ein galliſcher,<lb/>ſo naskalt und bereift iſt wie ein deutſcher, beſonders der heurige — da<lb/>ſie wie Nachtigallen von lauter Dornen die Wolle holen müſſen,<lbn="5"/>
woraus ſie ſich in einer ſtach[lichten] Taxushecke ihr Lager bereiten:<lb/>
was könte ich ſchöners thun als die Feder nehmen und ihnen — nicht<lb/>
jämmerliche deutſche Schmeicheleien, die ihnen in Büchern und an alle<lb/>
gerichtet nie gefallen, ſondern — Morgenträume und ſanft[ere]<lb/>
Seufzer geben als ihnen das Leben abzwingt. Und wenn ich nur einer<lbn="10"/>
einzigen über den regn[eriſchen] Morgen ihres Lebens einen Regen-<lb/>
bogen ziehe — wenn ich nur einem Herzen, für das die Freundinnen<lb/>
zu <hirendition="#g">unmänlich,</hi> Freunde zu <hirendition="#g">unweiblich</hi>ſind, den ſchönen ſo lang<lb/>
begehrten Engel der Liebe im Wolkenhimmel der Dichtkunſt zeige,<lb/>
nach dem es dürſtend unten die Arme ausbreitet und in deſſen ſeine es<lbn="15"/>
der Todesengel hinaufträgt: ſo hab’ ich genug gelebt und geſchrieben.<lb/>
Unſer ſelbſtgeſprächiger Autor kan ſich damit entſchuldigen, daß er<lb/>
nicht wuſte, daß Sie ihm zuhören. Ich habe Mühe meinen Dank ab-<lb/>
zubrechen, da ich nicht weis, ob ich Ihnen <hirendition="#g">frühere</hi> Antworten geben<lb/>
darf als mündliche. Wenn ich die hohe Dreieinigkeit der drei [gröſſern]<lbn="20"/>
Weiſen als je aus dem Orient zogen, hören und ſehen werde: ſo werd’<lb/>
ich kaum beides mehr können, ſondern vor Liebe und Rührung ver-<lb/>ſtummen. Wolte der Himmel ich wüſte die Tagszeit, wo Sie die<lb/>
Blumenſtücke leſen: ich würde nicht arbeiten, ſondern im Freien herum-<lb/>
gehen und nach dem Fürſtenthum Weimar ſehen und Zeile vor Zeile<lbn="25"/>
nachleſen und halb recht froh, halb recht furchtſam ſein. Das Schikſal<lb/>
ahme, wie die Dichter die Wirklichkeit in ihren Dichtungen ver-<lb/>ſchönernd kopieren, umgekehrt in Ihrer jenen nach und verwandle jede<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_164">[164]</ref></note><lb/>
rothe Roſe des Lebens, wenn Sie ſie weglegen, in die weiſſe der<lb/>
Erinnerung, damit, wenn Sie nach vielen Jahren ſich umwenden, ein<lbn="30"/>
groſſer weiſſer Roſengarten hinter Ihnen blühe.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>262. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Hof, 9. März 1796]</hi></dateline><lb/><p>Ob ich gleich dein Urtheil über den <hirendition="#aq">Weim[arischen]</hi> Brief nicht<lb/>
weis: ſo ſchick’ ich dir doch meines, das du mir um 3 Uhr zurükgeben<lbn="35"/>
magſt. Bedenke aber, daß der Brief an eine Frau iſt.</p></div><lb/></body></text></TEI>
[165/0176]
weiblichen Herzen, das eben ſo gut dichteriſch und idealiſch iſt als der
Kopf, die Erde wenig mehr zu geben hat als Seufzer und Wünſche —
da ihr Mai des Lebens, anſtat daß unſrer ſo ſchön iſt wie ein galliſcher,
ſo naskalt und bereift iſt wie ein deutſcher, beſonders der heurige — da
ſie wie Nachtigallen von lauter Dornen die Wolle holen müſſen, 5
woraus ſie ſich in einer ſtach[lichten] Taxushecke ihr Lager bereiten:
was könte ich ſchöners thun als die Feder nehmen und ihnen — nicht
jämmerliche deutſche Schmeicheleien, die ihnen in Büchern und an alle
gerichtet nie gefallen, ſondern — Morgenträume und ſanft[ere]
Seufzer geben als ihnen das Leben abzwingt. Und wenn ich nur einer 10
einzigen über den regn[eriſchen] Morgen ihres Lebens einen Regen-
bogen ziehe — wenn ich nur einem Herzen, für das die Freundinnen
zu unmänlich, Freunde zu unweiblich ſind, den ſchönen ſo lang
begehrten Engel der Liebe im Wolkenhimmel der Dichtkunſt zeige,
nach dem es dürſtend unten die Arme ausbreitet und in deſſen ſeine es 15
der Todesengel hinaufträgt: ſo hab’ ich genug gelebt und geſchrieben.
Unſer ſelbſtgeſprächiger Autor kan ſich damit entſchuldigen, daß er
nicht wuſte, daß Sie ihm zuhören. Ich habe Mühe meinen Dank ab-
zubrechen, da ich nicht weis, ob ich Ihnen frühere Antworten geben
darf als mündliche. Wenn ich die hohe Dreieinigkeit der drei [gröſſern] 20
Weiſen als je aus dem Orient zogen, hören und ſehen werde: ſo werd’
ich kaum beides mehr können, ſondern vor Liebe und Rührung ver-
ſtummen. Wolte der Himmel ich wüſte die Tagszeit, wo Sie die
Blumenſtücke leſen: ich würde nicht arbeiten, ſondern im Freien herum-
gehen und nach dem Fürſtenthum Weimar ſehen und Zeile vor Zeile 25
nachleſen und halb recht froh, halb recht furchtſam ſein. Das Schikſal
ahme, wie die Dichter die Wirklichkeit in ihren Dichtungen ver-
ſchönernd kopieren, umgekehrt in Ihrer jenen nach und verwandle jede
rothe Roſe des Lebens, wenn Sie ſie weglegen, in die weiſſe der
Erinnerung, damit, wenn Sie nach vielen Jahren ſich umwenden, ein 30
groſſer weiſſer Roſengarten hinter Ihnen blühe.
[164]
262. An Chriſtian Otto.
[Hof, 9. März 1796]
Ob ich gleich dein Urtheil über den Weim[arischen] Brief nicht
weis: ſo ſchick’ ich dir doch meines, das du mir um 3 Uhr zurükgeben 35
magſt. Bedenke aber, daß der Brief an eine Frau iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/176>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.