heuer vor dem Sommer gegeben, damit ich junger Tobias und mein Engelein Otto bald bei dir ankämen, nicht um dich zu sehen -- denn du bist geschrieben zu haben -- sondern um des Extrahasen und Seelen- mestizen [?], dessen Seele auch ein blosser Adjunkt des Körpers ist, habhaft zu werden. --5
Ad N. II. wäre viel zu sagen und Otto hätt' es sagen sollen. Es ist überhaupt soviel als hätt' er diesen Auftrit gemacht, da er ihn stehen lassen. Also um ihn -- den Otto, nicht den Auftrit -- ein wenig zu vertheidigen, führ' ich an, daß ich schon etwas angeführt, um ihn -- den Gustav, nicht den Otto -- zu vertheidigen -- etc. daß Menschen, die10 unfähig sind, zu verführen, darum nicht unfähig sind, verführt zu werden -- daß seine Empfindsamkeit, die du für den Schuzgeist seiner Tugend hälst, gerade die Eva Schlange derselben ist. Hier stell' ich die Beispiele [von] Enthusiasten, Dichtern als eine Wagenburg um mich, um zu beweisen, daß die edelsten Gefühle, sobald sie zugleich die15 heftigsten sind, eben weil sie mit den unedelsten dieselbe physische Gartenerde des Körpers theilen und zum Blühen brauchen, sehr leicht (wenn nicht Grundsäze hindern) in die nachbarlichen Gewächse des nämlichen Bodens ausarten können. Tugenden, die eine gewisse Disposizion des Körpers voraussezen, sind Wand- und Thürnachbarn20 ihrer Antipoden, wenn diese von derselben Disposizion Nahrung ziehen. -- Wie eine Kokette wie Danae die Schlinge kolorieret hatte, womit sie einen solchen Platoniker wie Agathon an sich schnüren können -- das hätte uns Wieland sagen sollen. -- Gerade hab' ich den Brief beschnitten und ein Paar Worte mit: daraus wollen wir beide, damit25 wir nur einen Nuzen haben, die Lehre ziehen: man mus Briefe und Menschen so beschneiden und quadrieren, daß der Verstand nicht mit weggeht. Aergere dich nicht, daß ich heute dum bin: der Augustbrief sol gleich seinem Monat eine reiche zeitige Ernte abwerfen.
Ich kan heute kein gescheutes Wort reden, obwol mit mir eines zu30 reden wäre. Der Himmel führe dich jeden Abend hinaus unter die moluckischen Heuschober und belege diese Blumenberge mit der Silberfolie des Mondes und ziehe kleine Zephyrflüsse durch diese ge- blümten Ufer und aus diesen Flüssen lasse er Flötentöne wie Kreise [4]oder Wellen aufwallen -- und so in diese Wogen und Strudeln werfe35 er deine zappelnde Seele ganz hinein, damit du einen recht hübschen Sommerabend hast.
heuer vor dem Sommer gegeben, damit ich junger Tobias und mein Engelein Otto bald bei dir ankämen, nicht um dich zu ſehen — denn du biſt geſchrieben zu haben — ſondern um des Extrahaſen und Seelen- meſtizen [?], deſſen Seele auch ein bloſſer Adjunkt des Körpers iſt, habhaft zu werden. —5
Ad N. II. wäre viel zu ſagen und Otto hätt’ es ſagen ſollen. Es iſt überhaupt ſoviel als hätt’ er dieſen Auftrit gemacht, da er ihn ſtehen laſſen. Alſo um ihn — den Otto, nicht den Auftrit — ein wenig zu vertheidigen, führ’ ich an, daß ich ſchon etwas angeführt, um ihn — den Guſtav, nicht den Otto — zu vertheidigen — ꝛc. daß Menſchen, die10 unfähig ſind, zu verführen, darum nicht unfähig ſind, verführt zu werden — daß ſeine Empfindſamkeit, die du für den Schuzgeiſt ſeiner Tugend hälſt, gerade die Eva Schlange derſelben iſt. Hier ſtell’ ich die Beiſpiele [von] Enthuſiaſten, Dichtern als eine Wagenburg um mich, um zu beweiſen, daß die edelſten Gefühle, ſobald ſie zugleich die15 heftigſten ſind, eben weil ſie mit den unedelſten dieſelbe phyſiſche Gartenerde des Körpers theilen und zum Blühen brauchen, ſehr leicht (wenn nicht Grundſäze hindern) in die nachbarlichen Gewächſe des nämlichen Bodens ausarten können. Tugenden, die eine gewiſſe Diſpoſizion des Körpers vorausſezen, ſind Wand- und Thürnachbarn20 ihrer Antipoden, wenn dieſe von derſelben Diſpoſizion Nahrung ziehen. — Wie eine Kokette wie Danae die Schlinge kolorieret hatte, womit ſie einen ſolchen Platoniker wie Agathon an ſich ſchnüren können — das hätte uns Wieland ſagen ſollen. — Gerade hab’ ich den Brief beſchnitten und ein Paar Worte mit: daraus wollen wir beide, damit25 wir nur einen Nuzen haben, die Lehre ziehen: man mus Briefe und Menſchen ſo beſchneiden und quadrieren, daß der Verſtand nicht mit weggeht. Aergere dich nicht, daß ich heute dum bin: der Auguſtbrief ſol gleich ſeinem Monat eine reiche zeitige Ernte abwerfen.
Ich kan heute kein geſcheutes Wort reden, obwol mit mir eines zu30 reden wäre. Der Himmel führe dich jeden Abend hinaus unter die moluckiſchen Heuſchober und belege dieſe Blumenberge mit der Silberfolie des Mondes und ziehe kleine Zephyrflüſſe durch dieſe ge- blümten Ufer und aus dieſen Flüſſen laſſe er Flötentöne wie Kreiſe [4]oder Wellen aufwallen — und ſo in dieſe Wogen und Strudeln werfe35 er deine zappelnde Seele ganz hinein, damit du einen recht hübſchen Sommerabend haſt.
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heuer vor dem Sommer gegeben, damit ich junger Tobias und mein
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habhaft zu werden. — 5
Ad N. II. wäre viel zu ſagen und Otto hätt’ es ſagen ſollen. Es iſt
überhaupt ſoviel als hätt’ er dieſen Auftrit gemacht, da er ihn ſtehen
laſſen. Alſo um ihn — den Otto, nicht den Auftrit — ein wenig zu
vertheidigen, führ’ ich an, daß ich ſchon etwas angeführt, um ihn —
den Guſtav, nicht den Otto — zu vertheidigen — ꝛc. daß Menſchen, die 10
unfähig ſind, zu verführen, darum nicht unfähig ſind, verführt zu
werden — daß ſeine Empfindſamkeit, die du für den Schuzgeiſt ſeiner
Tugend hälſt, gerade die Eva Schlange derſelben iſt. Hier ſtell’ ich die
Beiſpiele [von] Enthuſiaſten, Dichtern als eine Wagenburg um mich,
um zu beweiſen, daß die edelſten Gefühle, ſobald ſie zugleich die 15
heftigſten ſind, eben weil ſie mit den unedelſten dieſelbe phyſiſche
Gartenerde des Körpers theilen und zum Blühen brauchen, ſehr
leicht (wenn nicht Grundſäze hindern) in die nachbarlichen Gewächſe
des nämlichen Bodens ausarten können. Tugenden, die eine gewiſſe
Diſpoſizion des Körpers vorausſezen, ſind Wand- und Thürnachbarn 20
ihrer Antipoden, wenn dieſe von derſelben Diſpoſizion Nahrung
ziehen. — Wie eine Kokette wie Danae die Schlinge kolorieret hatte,
womit ſie einen ſolchen Platoniker wie Agathon an ſich ſchnüren können
— das hätte uns Wieland ſagen ſollen. — Gerade hab’ ich den Brief
beſchnitten und ein Paar Worte mit: daraus wollen wir beide, damit 25
wir nur einen Nuzen haben, die Lehre ziehen: man mus Briefe und
Menſchen ſo beſchneiden und quadrieren, daß der Verſtand nicht mit
weggeht. Aergere dich nicht, daß ich heute dum bin: der Auguſtbrief ſol
gleich ſeinem Monat eine reiche zeitige Ernte abwerfen.
Ich kan heute kein geſcheutes Wort reden, obwol mit mir eines zu 30
reden wäre. Der Himmel führe dich jeden Abend hinaus unter die
moluckiſchen Heuſchober und belege dieſe Blumenberge mit der
Silberfolie des Mondes und ziehe kleine Zephyrflüſſe durch dieſe ge-
blümten Ufer und aus dieſen Flüſſen laſſe er Flötentöne wie Kreiſe
oder Wellen aufwallen — und ſo in dieſe Wogen und Strudeln werfe 35
er deine zappelnde Seele ganz hinein, damit du einen recht hübſchen
Sommerabend haſt.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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