Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

dazu deine Natur, mich aber erst mein[e] Pflicht zwingt. Was ich
vergessen habe, ist, daß du ein wenig zu hart warest. Warlich ich hätte
dir es vergeben, wenn du sogar das ausgeplaudert hättest, was ich
nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche gewesen, und
kein Vergehen. -- Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um so mehr,5
da ich dir manches gar nicht sagen konte aus Vergessenheit.

Dein Freund
R.

In 1/2 Stunde holts mein Bruder wieder ab.

[43]62. An Christian Otto.10

Ob ich gleich den leichtesten Schmerz habe, der in einen haarlosen
Kopf kommen kan: so möcht ich doch noch etwas schöners hineinhaben:
nämlich Goethe[ns] neuesten Roman, den ich dir abends wieder bringe.

63. An Christian Otto.15

Hier hast du deinen Meister mit Dank wieder -- ich las gestern in
Einem fort daran und es hinaus um 91/2 Uhr: und als es das schlug,
war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neustadt zurük,
und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf20
Stühlen an.

64. An Emanuel in Bayreuth.

Mein lieber Emanuel,

Man solte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, so25
wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn diese ausschöpfen
und da sie ohnehin nichts sind als Briefe in dickerem Format, so mag
er keine von kleinerem liefern. Der Mensch geniesset sein Ich nur,
indem ers verdoppelt, -- so wie er seinen Körper erst in der Verdoppe-
lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieser Zwang, unsere30
Seele vor einer fremden abzubilden und unsere innere Quellen gerade
durch einen Abflus zu -- vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-,
die Autores zum Bücherschreiben, die andern zum Reden und einige
zum Thun.

dazu deine Natur, mich aber erſt mein[e] Pflicht zwingt. Was ich
vergeſſen habe, iſt, daß du ein wenig zu hart wareſt. Warlich ich hätte
dir es vergeben, wenn du ſogar das ausgeplaudert hätteſt, was ich
nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche geweſen, und
kein Vergehen. — Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um ſo mehr,5
da ich dir manches gar nicht ſagen konte aus Vergeſſenheit.

Dein Freund
R.

In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab.

[43]62. An Chriſtian Otto.10

Ob ich gleich den leichteſten Schmerz habe, der in einen haarloſen
Kopf kommen kan: ſo möcht ich doch noch etwas ſchöners hineinhaben:
nämlich Goethe[ns] neueſten Roman, den ich dir abends wieder bringe.

63. An Chriſtian Otto.15

Hier haſt du deinen Meiſter mit Dank wieder — ich las geſtern in
Einem fort daran und es hinaus um 9½ Uhr: und als es das ſchlug,
war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neuſtadt zurük,
und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf20
Stühlen an.

64. An Emanuel in Bayreuth.

Mein lieber Emanuel,

Man ſolte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, ſo25
wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn dieſe ausſchöpfen
und da ſie ohnehin nichts ſind als Briefe in dickerem Format, ſo mag
er keine von kleinerem liefern. Der Menſch genieſſet ſein Ich nur,
indem ers verdoppelt, — ſo wie er ſeinen Körper erſt in der Verdoppe-
lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieſer Zwang, unſere30
Seele vor einer fremden abzubilden und unſere innere Quellen gerade
durch einen Abflus zu — vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-,
die Autores zum Bücherſchreiben, die andern zum Reden und einige
zum Thun.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="50"/>
dazu deine Natur, mich aber er&#x017F;t mein[e] Pflicht zwingt. Was ich<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en habe, i&#x017F;t, daß du ein wenig zu hart ware&#x017F;t. Warlich ich hätte<lb/>
dir es vergeben, wenn du &#x017F;ogar das ausgeplaudert hätte&#x017F;t, was ich<lb/>
nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche gewe&#x017F;en, und<lb/>
kein Vergehen. &#x2014; Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um &#x017F;o mehr,<lb n="5"/>
da ich dir manches gar nicht &#x017F;agen konte aus Verge&#x017F;&#x017F;enheit.</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Dein Freund<lb/>
R.</hi> </salute>
        </closer><lb/>
        <postscript>
          <p>In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab.</p>
        </postscript>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head><note place="left"><ref target="1922_Bd2_43">[43]</ref></note>62. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi><lb n="10"/></head>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 8. Febr. 1795?]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ob ich gleich den leichte&#x017F;ten Schmerz habe, der in einen haarlo&#x017F;en<lb/>
Kopf kommen kan: &#x017F;o möcht ich doch noch etwas &#x017F;chöners hineinhaben:<lb/>
nämlich <hi rendition="#aq">Goethe[ns]</hi> neue&#x017F;ten Roman, den ich dir abends wieder bringe.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>63. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi><lb n="15"/>
</head>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 9. Febr. 1795]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Hier ha&#x017F;t du deinen Mei&#x017F;ter mit Dank wieder &#x2014; ich las ge&#x017F;tern in<lb/>
Einem fort daran und es hinaus um 9½ Uhr: und als es das &#x017F;chlug,<lb/>
war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neu&#x017F;tadt zurük,<lb/>
und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf<lb n="20"/>
Stühlen an.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>64. An <hi rendition="#g">Emanuel in Bayreuth.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof.</hi> d. 9. Febr. 1795.</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Mein lieber Emanuel,</hi> </salute>
        </opener><lb/>
        <p>Man &#x017F;olte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, &#x017F;o<lb n="25"/>
wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> aus&#x017F;chöpfen<lb/>
und da &#x017F;ie ohnehin nichts &#x017F;ind als Briefe in dickerem Format, &#x017F;o mag<lb/>
er keine von kleinerem liefern. Der Men&#x017F;ch genie&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ein Ich nur,<lb/>
indem ers verdoppelt, &#x2014; &#x017F;o wie er &#x017F;einen Körper er&#x017F;t in der Verdoppe-<lb/>
lung durch den Spiegel überkömt; und eben die&#x017F;er Zwang, un&#x017F;ere<lb n="30"/>
Seele vor einer fremden abzubilden und un&#x017F;ere innere Quellen gerade<lb/>
durch einen Abflus zu &#x2014; vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-,<lb/>
die Autores zum Bücher&#x017F;chreiben, die andern zum Reden und einige<lb/>
zum Thun.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0059] dazu deine Natur, mich aber erſt mein[e] Pflicht zwingt. Was ich vergeſſen habe, iſt, daß du ein wenig zu hart wareſt. Warlich ich hätte dir es vergeben, wenn du ſogar das ausgeplaudert hätteſt, was ich nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche geweſen, und kein Vergehen. — Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um ſo mehr, 5 da ich dir manches gar nicht ſagen konte aus Vergeſſenheit. Dein Freund R. In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab. 62. An Chriſtian Otto. 10 [Hof, 8. Febr. 1795?] Ob ich gleich den leichteſten Schmerz habe, der in einen haarloſen Kopf kommen kan: ſo möcht ich doch noch etwas ſchöners hineinhaben: nämlich Goethe[ns] neueſten Roman, den ich dir abends wieder bringe. 63. An Chriſtian Otto. 15 [Hof, 9. Febr. 1795] Hier haſt du deinen Meiſter mit Dank wieder — ich las geſtern in Einem fort daran und es hinaus um 9½ Uhr: und als es das ſchlug, war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neuſtadt zurük, und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf 20 Stühlen an. 64. An Emanuel in Bayreuth. Hof. d. 9. Febr. 1795. Mein lieber Emanuel, Man ſolte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, ſo 25 wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn dieſe ausſchöpfen und da ſie ohnehin nichts ſind als Briefe in dickerem Format, ſo mag er keine von kleinerem liefern. Der Menſch genieſſet ſein Ich nur, indem ers verdoppelt, — ſo wie er ſeinen Körper erſt in der Verdoppe- lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieſer Zwang, unſere 30 Seele vor einer fremden abzubilden und unſere innere Quellen gerade durch einen Abflus zu — vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-, die Autores zum Bücherſchreiben, die andern zum Reden und einige zum Thun.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/59
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/59>, abgerufen am 21.11.2024.