Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.in meinem Herzen eine Heiligenkerze geweiht, die Heiligenschein auf 155. An Friedrich von Oertel in Belgershain. Weimar d. [13.] Nov. 98.Mein guter Oertel! Die Stimme deiner Liebe kam zu mir wie ein5 Auch Herder lobt deinen Fehdehandschuh für mich. -- Du sprichst in meinem Herzen eine Heiligenkerze geweiht, die Heiligenſchein auf 155. An Friedrich von Oertel in Belgershain. Weimar d. [13.] Nov. 98.Mein guter Oertel! Die Stimme deiner Liebe kam zu mir wie ein5 Auch Herder lobt deinen Fehdehandſchuh für mich. — Du ſprichſt <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="116"/> in meinem Herzen eine Heiligenkerze geweiht, die Heiligenſchein auf<lb/> ſie wirft.</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>155. An <hi rendition="#g">Friedrich von Oertel in Belgershain.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. [13.] Nov. 98.</hi> </dateline><lb/> <p>Mein guter Oertel! Die Stimme deiner Liebe kam zu mir wie ein<lb n="5"/> Nachtigallenſchlag hernieder in meinen kleinen Frühling; und deine<lb/> Beſorgniſſe ſind mir lieber als fremde Glükwünſche. Ich habe ſo recht<lb/> mitten in der Furche des Zuckerfelds mein Neſt. Sogar mein Zimmer,<lb/> und die vortrefliche Hausfrau, die mit Mutterſorge mir nicht die<lb/> kleinſte Fracht des Lebens läſſet und bei der ich zum erſten male die<lb n="10"/> volendete <hi rendition="#aq">aisance</hi> genieſſe, halten mich durch Luſt an den Leſetiſch<lb/> gekettet, damit ich keine fernere ſuchen ſolle. Ich thu’ es aber nicht<lb/> und finde hier unter allen meinen Bekanten recht groſſe; und ich werde<lb/> immer mehr geliebt, zumal da ich jezt in meine ofne und warme <hi rendition="#g">Bruſt</hi><lb/> zuweilen wie Polyphem, ein <hi rendition="#g">Aug’</hi> einſeze. Den erſten Abend wurd’<lb n="15"/> ich in der Retude von der Herz[ogin] Amalie zum nächſten Mittags-<lb/> eſſen geladen. Das neue Schauſpielhaus umfäſſet uns alle wie eine<lb/> Familie — nicht eben <hi rendition="#aq">santa</hi> — mit reinen reichen Formen; und die<lb/> Muſik iſt Ein Ton, Eine lyriſche Seele. — In <hi rendition="#aq">Herders</hi> Herz zieh ich<lb/> immer tiefer hinein; und er in meines, wenns noch möglich iſt. — Ich<lb n="20"/> <note place="left"><ref target="1922_Bd3_130">[130]</ref></note>ſprach mit dem Erbprinzen; die Blumengöttin gab ihm die Roſen der<lb/> Jugend, die ſchlanke Länge; und die Idyllen-Unſchuld. — Auch die<lb/> regierende Herzogin, die mich zu ſich rufen lies, trägt ein jungfräu-<lb/> liches und mütterliches Herz hinter einer mänlichen Bruſt. — Ich war<lb/> hier bei <hi rendition="#aq">Goethe,</hi> in Jena bei <hi rendition="#aq">Schiller,</hi> der in 3 Monaten ſeinen Wallen-<lb n="25"/> ſtein ausgeſchaffen haben wird; an „W[allenſteins] Lager“ iſt wenig<lb/> ſo wie an Sternbalds 2. Theil. Ich kritiſiere nur überhaupt jezt<lb/> ſelten, weil ich Verzicht auf ausfüllende Genüſſe gethan: ſonſt hätt<lb/> ich es ſchon beim 1<hi rendition="#sup">ten</hi> aber weniger ſtark als bei dem 2<hi rendition="#sup">ten</hi> geſagt, daß<lb/> es, gewiſſe herliche <hi rendition="#aq">bowling-greens</hi> abgerechnet, keine hiſtoriſche oder<lb n="30"/> pſychologiſche Entwickelung habe — keine Szenen — keinen Stof<lb/> — keine Karaktere — und lauter Dakapo’s ꝛc. — und oft keinen Sin.<lb/> — Ach h. Richardſon und Fielding bittet für uns! —</p><lb/> <p>Auch <hi rendition="#aq">Herder</hi> lobt deinen Fehdehandſchuh für mich. — Du ſprichſt<lb/> von meiner harten Einſamkeit: ach! die hab’ ich nur <hi rendition="#g">verlaſſen,</hi><lb n="35"/> aber nicht <hi rendition="#g">gefunden.</hi> Ich werde ſobald keine Lobrede auf Leipzig<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0126]
in meinem Herzen eine Heiligenkerze geweiht, die Heiligenſchein auf
ſie wirft.
155. An Friedrich von Oertel in Belgershain.
Weimar d. [13.] Nov. 98.
Mein guter Oertel! Die Stimme deiner Liebe kam zu mir wie ein 5
Nachtigallenſchlag hernieder in meinen kleinen Frühling; und deine
Beſorgniſſe ſind mir lieber als fremde Glükwünſche. Ich habe ſo recht
mitten in der Furche des Zuckerfelds mein Neſt. Sogar mein Zimmer,
und die vortrefliche Hausfrau, die mit Mutterſorge mir nicht die
kleinſte Fracht des Lebens läſſet und bei der ich zum erſten male die 10
volendete aisance genieſſe, halten mich durch Luſt an den Leſetiſch
gekettet, damit ich keine fernere ſuchen ſolle. Ich thu’ es aber nicht
und finde hier unter allen meinen Bekanten recht groſſe; und ich werde
immer mehr geliebt, zumal da ich jezt in meine ofne und warme Bruſt
zuweilen wie Polyphem, ein Aug’ einſeze. Den erſten Abend wurd’ 15
ich in der Retude von der Herz[ogin] Amalie zum nächſten Mittags-
eſſen geladen. Das neue Schauſpielhaus umfäſſet uns alle wie eine
Familie — nicht eben santa — mit reinen reichen Formen; und die
Muſik iſt Ein Ton, Eine lyriſche Seele. — In Herders Herz zieh ich
immer tiefer hinein; und er in meines, wenns noch möglich iſt. — Ich 20
ſprach mit dem Erbprinzen; die Blumengöttin gab ihm die Roſen der
Jugend, die ſchlanke Länge; und die Idyllen-Unſchuld. — Auch die
regierende Herzogin, die mich zu ſich rufen lies, trägt ein jungfräu-
liches und mütterliches Herz hinter einer mänlichen Bruſt. — Ich war
hier bei Goethe, in Jena bei Schiller, der in 3 Monaten ſeinen Wallen- 25
ſtein ausgeſchaffen haben wird; an „W[allenſteins] Lager“ iſt wenig
ſo wie an Sternbalds 2. Theil. Ich kritiſiere nur überhaupt jezt
ſelten, weil ich Verzicht auf ausfüllende Genüſſe gethan: ſonſt hätt
ich es ſchon beim 1ten aber weniger ſtark als bei dem 2ten geſagt, daß
es, gewiſſe herliche bowling-greens abgerechnet, keine hiſtoriſche oder 30
pſychologiſche Entwickelung habe — keine Szenen — keinen Stof
— keine Karaktere — und lauter Dakapo’s ꝛc. — und oft keinen Sin.
— Ach h. Richardſon und Fielding bittet für uns! —
[130]
Auch Herder lobt deinen Fehdehandſchuh für mich. — Du ſprichſt
von meiner harten Einſamkeit: ach! die hab’ ich nur verlaſſen, 35
aber nicht gefunden. Ich werde ſobald keine Lobrede auf Leipzig
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(2016-11-22T15:05:42Z)
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Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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