wenigstens den -- Freund derselben schonen sollen. Die Vorwürfe, die blos mich betreffen -- da Sie mir moralische Irthümer schuldgeben, indes Sie höchstens von intellektuellen gewis sein konten -- ertrug ich lieber mit dem Schweigen, das Ihr zweiter Brief beschlos. Jedoch sogar dieser enthält die ungerechte und kühne Stelle: "Solte nur in5 "Ihren Schriften Ihr Herz Ihres Kopfes würdig scheinen?" Zu dieser Frage giebt ein blosses Schweigen Recht? --
Auch verlangten Sie viele und schnelle Antwort: beides untersagen mir meine Verhältnisse. Aber ich bitte Sie, mich in keinem von beiden nachzuahmen.10
Aber Ihre Dornen haben oben und an den äussern Zweigen die weichen Rosen der Freundschaft; und darum -- und Ihres zweiten Briefes wegen -- und weil Ihr Wohlwollen zu viel Werth auf dieses Blätgen legt, -- komt es geflogen.
27. An Christian Otto.15
Leipzig d. 19 Dec. 97.
Lieber Otto! Ich wil in meinen Büschingschen wöchentlichen Nach- richten fortfahren, ob du gleich wie ein Zeitungsschreiber -- der soltest du öfters von Hof sein, da mich alle Winzigkeiten freuen würden -- sehr oft h. Feiertage hast. Deinen mir so wilkomnen Brief beantwort'20 ich zulezt. -- Schreib mir doch einmal von deinem unserem geliebten Bruder Albrecht, von seinen Prozessen und Siegen. Frege und mehrere haben die Nachricht daß die Franzosen dem Wilhelm III. Hamburg, [27]Lübek, Bremen gegen seine Rheinländer angeboten, was er stolz aus- schlug: mir gefält sein stiller Anfang. "Jezt ists wieder wie unter dem25 Friz" sagen die Berliner. Bei der Riz fand man 300,000 Lb St. in Bank- noten, 800,000 fl. in Briefen, 66 000 fl. in Cass., 30 000 rtl. 198 000 rtl. (in einem Solitairring) 300 000 Juwelen, 51 Ctr. verarbeitetes Silber. Ein von Wien geschikter, scheinbar verstossener Kammerherr der mit eclat den Kammerhernschlüssel zurükschikte, bestach sie mit30 Versprechen des Fürstenranges, dem kaiserlichen Hofe das Portefeuille des Königs auszuliefern, wozu sie den Schlüssel auf dem blossen Leibe trug. Schon die Landesverrätherei köpft sie. Möllendorf hatte lange vor des Königs Sterbefal einen geheimen Gränzkordon gegen ihr Entweichen aufgestelt; und die Königin hatte ihr, um sie ins Land35
wenigſtens den — Freund derſelben ſchonen ſollen. Die Vorwürfe, die blos mich betreffen — da Sie mir moraliſche Irthümer ſchuldgeben, indes Sie höchſtens von intellektuellen gewis ſein konten — ertrug ich lieber mit dem Schweigen, das Ihr zweiter Brief beſchlos. Jedoch ſogar dieſer enthält die ungerechte und kühne Stelle: „Solte nur in5 „Ihren Schriften Ihr Herz Ihres Kopfes würdig ſcheinen?“ Zu dieſer Frage giebt ein bloſſes Schweigen Recht? —
Auch verlangten Sie viele und ſchnelle Antwort: beides unterſagen mir meine Verhältniſſe. Aber ich bitte Sie, mich in keinem von beiden nachzuahmen.10
Aber Ihre Dornen haben oben und an den äuſſern Zweigen die weichen Roſen der Freundſchaft; und darum — und Ihres zweiten Briefes wegen — und weil Ihr Wohlwollen zu viel Werth auf dieſes Blätgen legt, — komt es geflogen.
27. An Chriſtian Otto.15
Leipzig d. 19 Dec. 97.
Lieber Otto! Ich wil in meinen Büſchingſchen wöchentlichen Nach- richten fortfahren, ob du gleich wie ein Zeitungsſchreiber — der ſolteſt du öfters von Hof ſein, da mich alle Winzigkeiten freuen würden — ſehr oft h. Feiertage haſt. Deinen mir ſo wilkomnen Brief beantwort’20 ich zulezt. — Schreib mir doch einmal von deinem 〈unſerem〉 geliebten Bruder Albrecht, von ſeinen Prozeſſen und Siegen. Frege und mehrere haben die Nachricht daß die Franzoſen dem Wilhelm III. Hamburg, [27]Lübek, Bremen gegen ſeine Rheinländer angeboten, was er ſtolz aus- ſchlug: mir gefält ſein ſtiller Anfang. „Jezt iſts wieder wie unter dem25 Friz“ ſagen die Berliner. Bei der Riz fand man 300,000 ℔ St. in Bank- noten, 800,000 fl. in Briefen, 66 000 fl. in Cass., 30 000 rtl. 198 000 rtl. (in einem Solitairring) 300 000 Juwelen, 51 Ctr. verarbeitetes Silber. Ein von Wien geſchikter, ſcheinbar verſtoſſener Kammerherr der mit éclat den Kammerhernſchlüſſel zurükſchikte, beſtach ſie mit30 Verſprechen des Fürſtenranges, dem kaiſerlichen Hofe das Portefeuille des Königs auszuliefern, wozu ſie den Schlüſſel auf dem bloſſen Leibe trug. Schon die Landesverrätherei köpft ſie. Möllendorf hatte lange vor des Königs Sterbefal einen geheimen Gränzkordon gegen ihr Entweichen aufgeſtelt; und die Königin hatte ihr, um ſie ins Land35
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indes Sie höchſtens von intellektuellen gewis ſein konten — ertrug
ich lieber mit dem Schweigen, das Ihr zweiter Brief beſchlos. Jedoch
ſogar dieſer enthält die ungerechte und kühne Stelle: „Solte nur in 5
„Ihren Schriften Ihr Herz Ihres Kopfes würdig ſcheinen?“ Zu
dieſer Frage giebt ein bloſſes Schweigen Recht? —
Auch verlangten Sie viele und ſchnelle Antwort: beides unterſagen
mir meine Verhältniſſe. Aber ich bitte Sie, mich in keinem von beiden
nachzuahmen. 10
Aber Ihre Dornen haben oben und an den äuſſern Zweigen die
weichen Roſen der Freundſchaft; und darum — und Ihres zweiten
Briefes wegen — und weil Ihr Wohlwollen zu viel Werth auf dieſes
Blätgen legt, — komt es geflogen.
27. An Chriſtian Otto. 15
Leipzig d. 19 Dec. 97.
Lieber Otto! Ich wil in meinen Büſchingſchen wöchentlichen Nach-
richten fortfahren, ob du gleich wie ein Zeitungsſchreiber — der ſolteſt
du öfters von Hof ſein, da mich alle Winzigkeiten freuen würden —
ſehr oft h. Feiertage haſt. Deinen mir ſo wilkomnen Brief beantwort’ 20
ich zulezt. — Schreib mir doch einmal von deinem 〈unſerem〉 geliebten
Bruder Albrecht, von ſeinen Prozeſſen und Siegen. Frege und mehrere
haben die Nachricht daß die Franzoſen dem Wilhelm III. Hamburg,
Lübek, Bremen gegen ſeine Rheinländer angeboten, was er ſtolz aus-
ſchlug: mir gefält ſein ſtiller Anfang. „Jezt iſts wieder wie unter dem 25
Friz“ ſagen die Berliner. Bei der Riz fand man 300,000 ℔ St. in Bank-
noten, 800,000 fl. in Briefen, 66 000 fl. in Cass., 30 000 rtl. 198 000
rtl. (in einem Solitairring) 300 000 Juwelen, 51 Ctr. verarbeitetes
Silber. Ein von Wien geſchikter, ſcheinbar verſtoſſener Kammerherr
der mit éclat den Kammerhernſchlüſſel zurükſchikte, beſtach ſie mit 30
Verſprechen des Fürſtenranges, dem kaiſerlichen Hofe das Portefeuille
des Königs auszuliefern, wozu ſie den Schlüſſel auf dem bloſſen Leibe
trug. Schon die Landesverrätherei köpft ſie. Möllendorf hatte lange
vor des Königs Sterbefal einen geheimen Gränzkordon gegen ihr
Entweichen aufgeſtelt; und die Königin hatte ihr, um ſie ins Land 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/30>, abgerufen am 24.11.2024.
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