Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite
412. An Jacobi.

Geliebter Heinrich! Süsseres giebt es nichts im ganzen Schreiben
eines Schreibens als zu sich zu sagen (-- ich wolte schreiben, sagen zu
können, hasse aber diese Wielandische Tavtologie, da in jedem In-5
finitiv das Können implicite liegt --): du kanst das Schreiben fort-
schicken wenn, und also erweitern, wie du nur wilt. --

Heute bekam ich deinen Brief und habe also Zeit, da ich auf den
2ten lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen
schimmernd hängt, mach ich mir die Lust, an meinen Heinrich zu schrei-10
ben, der fast böse zu sein scheint über das Schweigen.

Fichte's Bestimmung etc. kont' ich hier noch nicht haben. Hier
hauset nur Kunst, keine Philosophie; ich bin fast der einzige Kossäthe
und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber lesen, um in der
Vorrede -- oder der Dedikazion; denn du bestimmest -- ein Wort über15
die Schleiermacher-Schlegel-Fichtische Teufels-Ackommodazion zu
sagen, womit sie wie der Verf. des Buchs des erreurs etc. oder wie die
japanischen Jesuiten oder am Ende wie die ersten Christen selber unter
alten Worten und Ideen neue Ideen einschwärzen wollen, welches ver-
wirrender ist als das Umgekehrte.20

Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir[325]
Unrecht. ad a) (s. in der Kopie nach) Seine praktische Philosophie ist
immer nur die Folge und Erläuterung Schminke seiner theoretischen,
und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif-
lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie25
man ein System zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder
gar nicht zu nehmen ist; es hat keine Theile. -- ad b) "Weltordnung en"
mus er sagen, sagt' ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte,
daß eine doch nichts aussage als das optimistische Verhältnis des
absoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an.30
Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: so
hat er ja unsern Gott. Ich frage dich, ob ich Recht habe. --

ad x. Der Begrif des absoluten Ichs ist nach seiner Aussage das
absolute Ich selber und nichts mehr.

d. Du hast es nicht gesagt. --35

e. Hier ist er unheilig. -- Eine gewisse Individualität wird bei
allem Bessern und Heiligen vorausgesezt; jene hat oder ist Offenbarung;

412. An Jacobi.

Geliebter Heinrich! Süſſeres giebt es nichts im ganzen Schreiben
eines Schreibens als zu ſich zu ſagen (— ich wolte ſchreiben, ſagen zu
können, haſſe aber dieſe Wielandiſche Tavtologie, da in jedem In-5
finitiv das Können implicite liegt —): du kanſt das Schreiben fort-
ſchicken wenn, und alſo erweitern, wie du nur wilt. —

Heute bekam ich deinen Brief und habe alſo Zeit, da ich auf den
2ten lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen
ſchimmernd hängt, mach ich mir die Luſt, an meinen Heinrich zu ſchrei-10
ben, der faſt böſe zu ſein ſcheint über das Schweigen.

Fichte’s Beſtimmung ꝛc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier
hauſet nur Kunſt, keine Philoſophie; ich bin faſt der einzige Koſſäthe
und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber leſen, um in der
Vorrede — oder der Dedikazion; denn du beſtimmeſt — ein Wort über15
die Schleiermacher-Schlegel-Fichtiſche Teufels-Ackommodazion zu
ſagen, womit ſie wie der Verf. des Buchs des erreurs etc. oder wie die
japaniſchen Jeſuiten oder am Ende wie die erſten Chriſten ſelber unter
alten Worten und Ideen neue Ideen einſchwärzen wollen, welches ver-
wirrender iſt als das Umgekehrte.20

Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir[325]
Unrecht. ad a) (ſ. in der Kopie nach) Seine praktiſche Philoſophie iſt
immer nur die Folge und Erläuterung 〈Schminke〉 ſeiner theoretiſchen,
und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif-
lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie25
man ein Syſtem zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder
gar nicht zu nehmen iſt; es hat keine Theile. — ad b) „Weltordnung en
mus er ſagen, ſagt’ ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte,
daß eine doch nichts ausſage als das optimiſtiſche Verhältnis des
abſoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an.30
Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: ſo
hat er ja unſern Gott. Ich frage dich, ob ich Recht habe. —

ad x. Der Begrif des abſoluten Ichs iſt nach ſeiner Ausſage das
abſolute Ich ſelber und nichts mehr.

d. Du haſt es nicht geſagt. —35

e. Hier iſt er unheilig. — Eine gewiſſe Individualität wird bei
allem Beſſern und Heiligen vorausgeſezt; jene hat oder iſt Offenbarung;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0315" n="299"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>412. An <hi rendition="#g">Jacobi.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 21. Febr. 1800.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Geliebter Heinrich! Sü&#x017F;&#x017F;eres giebt es nichts im ganzen Schreiben<lb/>
eines Schreibens als zu &#x017F;ich zu &#x017F;agen (&#x2014; ich wolte &#x017F;chreiben, &#x017F;agen zu<lb/><hi rendition="#g">können,</hi> ha&#x017F;&#x017F;e aber die&#x017F;e Wielandi&#x017F;che Tavtologie, da in jedem In-<lb n="5"/>
finitiv das Können <hi rendition="#aq">implicite</hi> liegt &#x2014;): du kan&#x017F;t das Schreiben fort-<lb/>
&#x017F;chicken <hi rendition="#g">wenn,</hi> und al&#x017F;o erweitern, <hi rendition="#g">wie</hi> du nur wilt. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Heute bekam ich deinen Brief und habe al&#x017F;o Zeit, da ich auf den<lb/>
2<hi rendition="#sup">ten</hi> lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen<lb/>
&#x017F;chimmernd hängt, mach ich mir die Lu&#x017F;t, an meinen Heinrich zu &#x017F;chrei-<lb n="10"/>
ben, der fa&#x017F;t bö&#x017F;e zu &#x017F;ein &#x017F;cheint über das Schweigen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Fichte&#x2019;s Be&#x017F;timmung</hi> &#xA75B;c. kont&#x2019; ich hier noch nicht haben. Hier<lb/>
hau&#x017F;et nur Kun&#x017F;t, keine Philo&#x017F;ophie; ich bin fa&#x017F;t der einzige Ko&#x017F;&#x017F;äthe<lb/>
und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber le&#x017F;en, um in der<lb/>
Vorrede &#x2014; oder der Dedikazion; denn du be&#x017F;timme&#x017F;t &#x2014; ein Wort über<lb n="15"/>
die Schleiermacher-Schlegel-Fichti&#x017F;che Teufels-Ackommodazion zu<lb/>
&#x017F;agen, womit &#x017F;ie wie der Verf. des Buchs <hi rendition="#aq">des erreurs etc.</hi> oder wie die<lb/>
japani&#x017F;chen Je&#x017F;uiten oder am Ende wie die er&#x017F;ten Chri&#x017F;ten &#x017F;elber unter<lb/>
alten Worten und Ideen neue Ideen ein&#x017F;chwärzen wollen, welches ver-<lb/>
wirrender i&#x017F;t als das Umgekehrte.<lb n="20"/>
</p><lb/>
        <p>Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir<note place="right"><ref target="1922_Bd3_325">[325]</ref></note><lb/>
Unrecht. <hi rendition="#aq">ad a)</hi> (&#x017F;. in der Kopie nach) Seine prakti&#x017F;che Philo&#x017F;ophie i&#x017F;t<lb/>
immer nur die Folge und Erläuterung &#x2329;Schminke&#x232A; &#x017F;einer theoreti&#x017F;chen,<lb/>
und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif-<lb/>
lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie<lb n="25"/>
man ein Sy&#x017F;tem zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder<lb/>
gar nicht zu nehmen i&#x017F;t; es hat keine Theile. &#x2014; <hi rendition="#aq">ad b)</hi> &#x201E;Weltordnung <hi rendition="#g">en</hi>&#x201C;<lb/>
mus er &#x017F;agen, &#x017F;agt&#x2019; ich in meinem <hi rendition="#aq">Clavis</hi> beiläufig, wo ich bemerkte,<lb/>
daß eine doch nichts aus&#x017F;age als das <hi rendition="#g">optimi&#x017F;ti&#x017F;che</hi> Verhältnis des<lb/>
ab&#x017F;oluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an.<lb n="30"/>
Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: &#x017F;o<lb/>
hat er ja un&#x017F;ern Gott. <hi rendition="#g">Ich frage dich</hi>, ob ich Recht habe. &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">ad x.</hi> Der Begrif des ab&#x017F;oluten Ichs i&#x017F;t nach &#x017F;einer Aus&#x017F;age das<lb/>
ab&#x017F;olute Ich &#x017F;elber und nichts mehr.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">d.</hi> Du ha&#x017F;t es nicht ge&#x017F;agt. &#x2014;<lb n="35"/>
</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">e.</hi> Hier i&#x017F;t er unheilig. &#x2014; Eine gewi&#x017F;&#x017F;e Individualität wird bei<lb/>
allem Be&#x017F;&#x017F;ern und Heiligen vorausge&#x017F;ezt; jene hat oder i&#x017F;t Offenbarung;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0315] 412. An Jacobi. Weimar d. 21. Febr. 1800. Geliebter Heinrich! Süſſeres giebt es nichts im ganzen Schreiben eines Schreibens als zu ſich zu ſagen (— ich wolte ſchreiben, ſagen zu können, haſſe aber dieſe Wielandiſche Tavtologie, da in jedem In- 5 finitiv das Können implicite liegt —): du kanſt das Schreiben fort- ſchicken wenn, und alſo erweitern, wie du nur wilt. — Heute bekam ich deinen Brief und habe alſo Zeit, da ich auf den 2ten lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen ſchimmernd hängt, mach ich mir die Luſt, an meinen Heinrich zu ſchrei- 10 ben, der faſt böſe zu ſein ſcheint über das Schweigen. Fichte’s Beſtimmung ꝛc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier hauſet nur Kunſt, keine Philoſophie; ich bin faſt der einzige Koſſäthe und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber leſen, um in der Vorrede — oder der Dedikazion; denn du beſtimmeſt — ein Wort über 15 die Schleiermacher-Schlegel-Fichtiſche Teufels-Ackommodazion zu ſagen, womit ſie wie der Verf. des Buchs des erreurs etc. oder wie die japaniſchen Jeſuiten oder am Ende wie die erſten Chriſten ſelber unter alten Worten und Ideen neue Ideen einſchwärzen wollen, welches ver- wirrender iſt als das Umgekehrte. 20 Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir Unrecht. ad a) (ſ. in der Kopie nach) Seine praktiſche Philoſophie iſt immer nur die Folge und Erläuterung 〈Schminke〉 ſeiner theoretiſchen, und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreif- lichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie 25 man ein Syſtem zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder gar nicht zu nehmen iſt; es hat keine Theile. — ad b) „Weltordnung en“ mus er ſagen, ſagt’ ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte, daß eine doch nichts ausſage als das optimiſtiſche Verhältnis des abſoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an. 30 Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: ſo hat er ja unſern Gott. Ich frage dich, ob ich Recht habe. — [325] ad x. Der Begrif des abſoluten Ichs iſt nach ſeiner Ausſage das abſolute Ich ſelber und nichts mehr. d. Du haſt es nicht geſagt. — 35 e. Hier iſt er unheilig. — Eine gewiſſe Individualität wird bei allem Beſſern und Heiligen vorausgeſezt; jene hat oder iſt Offenbarung;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/315
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/315>, abgerufen am 22.11.2024.