litterarischen Quellen size und mit der Hand hineinfahren kan: so hab ich doch Nichts, blos weil es -- Nichts giebt. Es ist eine verdamte Geistes-Dürre über Europa: Andere haben doch mich, aber ich nichts in 5 Jahren, was mein ganzes Inneres volfülte.
Die obigen Konzilienakten sind vom alten D. Rosenmüller selber:5 da ich sie blos für mich borgte, so gehe sie so schnel durch als deine Arbeiten und Freuden erlauben. -- Da ich sehe, daß ich mit allem Schreiben meinem Leben nicht nachkommen kan und daß immer 100 Fakta für mündliche Erzählung in deiner Stube zurükbleiben, und da mich überhaupt dieses Courierschreiben ohne Geist, nicht freuet:10 so unterlass' ichs auch wie du auch [!], der mir selten ein Faktum oder ein Faktulum zuwendet. Es mag dir immer tol vorkommen: sogar das[38] Sterbegedicht Hofmans hat mich durch das Zurükführen in die auf immer beschlossenen Höfer Szenen gelabt und fast gerührt. Mir ist als hätt' ich in Hof meine Jugend beschlossen und wäre nun ein Man:15 und so handl' ich auch. Über allen Ausdruk schmacht' ich nach dem Frühling, der den Frühling und die vorigen Berge bringt. --
Kotzebue hat mich besucht und zu seinem Weibe und Essen geladen. Die Frau scheint eine Mutter zu sein. Wider meine Erwartung ist seine Rede schlaf, geistlos, ohne Umfassen wie sein Auge; auf der andern20 Seite scheint er weniger boshaft zu sein als fürchterlich-schwach: das Gewissen findet in seinem Brei-Herzen keinen massiven Punkt, um einzuhaken. --
Für mich spint das Schiksal (denn ich höre die Räder) ein Flechtwerk, das über mein ganzes Leben gehen wird. Du erfährst alles, aber ich25 weis nicht wenn. -- Ich war wieder bei Oertel, der beneidens- und gönnenswerth sich und die Seinige beglükt. Unter den hiesigen Männern ist er mein Nächster, wie die Berlepsch meine Nächste -- wofür ich doch nicht ganz hafte. -- Ich finde in ihr eine Seele, die noch nicht einmal unter meine Ideale kam und ich wäre ganz glüklich30 mit ihr, wenn sie es nicht zu sehr durch mich werden wolte. Du weist, wie ich jenes moralische Übergeben zur Hand und Halfter fliehe. -- Mit unserer Amöne hab ich einen ewig-ewigen Frieden abgeschlossen: in der Ferne kan ich nichts weiter mit ihr thun als sie recht lieben, und nachher in der Nähe auch. Über das was du mir über sie und mich35 sagtest, bin ich doppelt erschrocken -- erstlich darüber daß du sonst nicht für sie partheiisch geworden, welches ich annahm, zweitens daß
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litterariſchen Quellen ſize und mit der Hand hineinfahren kan: ſo hab ich doch Nichts, blos weil es — Nichts giebt. Es iſt eine verdamte Geiſtes-Dürre über Europa: Andere haben doch mich, aber ich nichts in 5 Jahren, was mein ganzes Inneres volfülte.
Die obigen Konzilienakten ſind vom alten D. Roſenmüller ſelber:5 da ich ſie blos für mich borgte, ſo gehe ſie ſo ſchnel durch als deine Arbeiten und Freuden erlauben. — Da ich ſehe, daß ich mit allem Schreiben meinem Leben nicht nachkommen kan und daß immer 100 Fakta für mündliche Erzählung in deiner Stube zurükbleiben, und da mich überhaupt dieſes Courierſchreiben ohne Geiſt, nicht freuet:10 ſo unterlaſſ’ ichs auch wie du auch [!], der mir ſelten ein Faktum oder ein Faktulum zuwendet. Es mag dir immer tol vorkommen: ſogar das[38] Sterbegedicht Hofmans hat mich durch das Zurükführen in die auf immer beſchloſſenen Höfer Szenen gelabt und faſt gerührt. Mir iſt als hätt’ ich in Hof meine Jugend beſchloſſen und wäre nun ein Man:15 und ſo handl’ ich auch. Über allen Ausdruk ſchmacht’ ich nach dem Frühling, der den Frühling und die vorigen Berge bringt. —
Kotzebue hat mich beſucht und zu ſeinem Weibe und Eſſen geladen. Die Frau ſcheint eine Mutter zu ſein. Wider meine Erwartung iſt ſeine Rede ſchlaf, geiſtlos, ohne Umfaſſen wie ſein Auge; auf der andern20 Seite ſcheint er weniger boshaft zu ſein als fürchterlich-ſchwach: das Gewiſſen findet in ſeinem Brei-Herzen keinen maſſiven Punkt, um einzuhaken. —
Für mich ſpint das Schikſal (denn ich höre die Räder) ein Flechtwerk, das über mein ganzes Leben gehen wird. Du erfährſt alles, aber ich25 weis nicht wenn. — Ich war wieder bei Oertel, der beneidens- und gönnenswerth ſich und die Seinige beglükt. Unter den hieſigen Männern iſt er mein Nächſter, wie die Berlepſch meine Nächſte — wofür ich doch nicht ganz hafte. — Ich finde in ihr eine Seele, die noch nicht einmal unter meine Ideale kam und ich wäre ganz glüklich30 mit ihr, wenn ſie es nicht zu ſehr durch mich werden wolte. Du weiſt, wie ich jenes moraliſche Übergeben zur Hand und Halfter fliehe. — Mit unſerer Amöne hab ich einen ewig-ewigen Frieden abgeſchloſſen: in der Ferne kan ich nichts weiter mit ihr thun als ſie recht lieben, und nachher in der Nähe auch. Über das was du mir über ſie und mich35 ſagteſt, bin ich doppelt erſchrocken — erſtlich darüber daß du ſonſt nicht für ſie partheiiſch geworden, welches ich annahm, zweitens daß
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litterariſchen Quellen ſize und mit der Hand hineinfahren kan: ſo hab
ich doch Nichts, blos weil es — Nichts giebt. Es iſt eine verdamte
Geiſtes-Dürre über Europa: Andere haben doch mich, aber ich nichts
in 5 Jahren, was mein ganzes Inneres volfülte.
Die obigen Konzilienakten ſind vom alten D. Roſenmüller ſelber: 5
da ich ſie blos für mich borgte, ſo gehe ſie ſo ſchnel durch als deine
Arbeiten und Freuden erlauben. — Da ich ſehe, daß ich mit allem
Schreiben meinem Leben nicht nachkommen kan und daß immer
100 Fakta für mündliche Erzählung in deiner Stube zurükbleiben,
und da mich überhaupt dieſes Courierſchreiben ohne Geiſt, nicht freuet: 10
ſo unterlaſſ’ ichs auch wie du auch [!], der mir ſelten ein Faktum oder
ein Faktulum zuwendet. Es mag dir immer tol vorkommen: ſogar das
Sterbegedicht Hofmans hat mich durch das Zurükführen in die auf
immer beſchloſſenen Höfer Szenen gelabt und faſt gerührt. Mir iſt
als hätt’ ich in Hof meine Jugend beſchloſſen und wäre nun ein Man: 15
und ſo handl’ ich auch. Über allen Ausdruk ſchmacht’ ich nach dem
Frühling, der den Frühling und die vorigen Berge bringt. —
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Kotzebue hat mich beſucht und zu ſeinem Weibe und Eſſen geladen.
Die Frau ſcheint eine Mutter zu ſein. Wider meine Erwartung iſt
ſeine Rede ſchlaf, geiſtlos, ohne Umfaſſen wie ſein Auge; auf der andern 20
Seite ſcheint er weniger boshaft zu ſein als fürchterlich-ſchwach: das
Gewiſſen findet in ſeinem Brei-Herzen keinen maſſiven Punkt, um
einzuhaken. —
Für mich ſpint das Schikſal (denn ich höre die Räder) ein Flechtwerk,
das über mein ganzes Leben gehen wird. Du erfährſt alles, aber ich 25
weis nicht wenn. — Ich war wieder bei Oertel, der beneidens- und
gönnenswerth ſich und die Seinige beglükt. Unter den hieſigen
Männern iſt er mein Nächſter, wie die Berlepſch meine Nächſte —
wofür ich doch nicht ganz hafte. — Ich finde in ihr eine Seele, die
noch nicht einmal unter meine Ideale kam und ich wäre ganz glüklich 30
mit ihr, wenn ſie es nicht zu ſehr durch mich werden wolte. Du weiſt,
wie ich jenes moraliſche Übergeben zur Hand und Halfter fliehe. —
Mit unſerer Amöne hab ich einen ewig-ewigen Frieden abgeſchloſſen:
in der Ferne kan ich nichts weiter mit ihr thun als ſie recht lieben, und
nachher in der Nähe auch. Über das was du mir über ſie und mich 35
ſagteſt, bin ich doppelt erſchrocken — erſtlich darüber daß du ſonſt
nicht für ſie partheiiſch geworden, welches ich annahm, zweitens daß
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/42>, abgerufen am 24.11.2024.
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