Prinzenlehrer -- eher zu einem Prinzen selber -- taugt mit seiner ekelhaften Willenlosigkeit, wizigen Ideen-Armuth und einseitigen Süffisance. In der neuesten Schule frisset, weil sie geistig und leiblich nichts zu leben haben, jeder den andern, wie jezt Schelling Fichten, der Neueste den Neuen, jedes Geschöpf seinen Schöpfer. Wodurch die5 schmuzige leere Seite dieser Schule bald einfallen wird, -- indes die mit der Fresko-Arbeit bleibt -- das ist, daß alle insgesamt nur Eine Seite haben, die ekelhafteste Nachbeterei durch die kleinsten Be- stimmungen und Urtheile hindurch; wie Sie am marklosesten Nach- Schlegel, D. Majer bemerken können, in dem nichts gros ist als das j.10 -- Eben komt Fr. v. Kalb. Ihre Erscheinung komt wie ein Frühling, in den Meiningischen Winter an Kunst, dessen kalte und reine Luft aber stärkt. Ihre Einsamkeit hat ihrer Kraft eine bescheidne Stille gegeben, die Ihnen, im Weimarschen Stimmen-Charivari gefallen wird. Auch meine Frau, die jedes Gewächs nur nach seiner Blüte,15 nicht nach seiner Rinde schäzt, ehrt sie hoch.
-- Thieriots Herz könte man beinahe noch in die Brust einer Jung- frau einsezen und damit das reinste Blut umtreiben; er ist sehr gut, bis auf einen nachsprechenden Schein. Über den neuesten Unsin, Amors Pfeile stat in Honig, in Koth zu tauchen, sprach ich mit ihm20 hoff ich siegend; und nicht blos moralisch, auch ästhetisch und sogar griechisch lässet sich -- wie ich einmal unter andern [Kriti]ken mit dieser zeigen werde -- dieser unreine zweklose Wahnsin an den Altären Homers, Sophokles, Platos, Shakespears etc. wegwerfen, vernichten und opfern, wie Schweine der Venus. -- In nächster Woche komt25 der Titan und noch ein Paar Worte dazu. Alles lebe freudig in der [164]Freude des Frühlings, Vater, Mutter, Tochter -- die schöne, sogar Schlegelianern so sehr gefallende (ich hoffe aber nicht, daß sie hier vorlieset oder zuhört) und Söhne. Adio, carissimi!
R.30
266. An Emanuel.
[Unter einem Brief Thieriots v. 30. April 1802]
Endlich komm ich auch einmal zu einem Briefe an Sie, den ich schon so lange schreiben wolte. Noch ein zweites Tausend Dank für das Seelenbier -- Dank für den Schilling der Dose, der selber eine35 verdient. Sie senden ihn in Laubtl. oder 24 kr. oder Ld. durch eine
Prinzenlehrer — eher zu einem Prinzen ſelber — taugt mit ſeiner ekelhaften Willenloſigkeit, wizigen Ideen-Armuth und einſeitigen Süffisance. In der neueſten Schule friſſet, weil ſie geiſtig und leiblich nichts zu leben haben, jeder den andern, wie jezt Schelling Fichten, der Neueſte den Neuen, jedes Geſchöpf ſeinen Schöpfer. Wodurch die5 ſchmuzige leere Seite dieſer Schule bald einfallen wird, — indes die mit der Freſko-Arbeit bleibt — das iſt, daß alle insgeſamt nur Eine Seite haben, die ekelhafteſte Nachbeterei durch die kleinſten Be- ſtimmungen und Urtheile hindurch; wie Sie am markloſeſten Nach- Schlegel, D. Majer bemerken können, in dem nichts gros iſt als das j.10 — Eben komt Fr. v. Kalb. Ihre Erſcheinung komt wie ein Frühling, in den Meiningiſchen Winter an Kunſt, deſſen kalte und reine Luft aber ſtärkt. Ihre Einſamkeit hat ihrer Kraft eine beſcheidne Stille gegeben, die Ihnen, im Weimarschen Stimmen-Charivari gefallen wird. Auch meine Frau, die jedes Gewächs nur nach ſeiner Blüte,15 nicht nach ſeiner Rinde ſchäzt, ehrt ſie hoch.
— Thieriots Herz könte man beinahe noch in die Bruſt einer Jung- frau einſezen und damit das reinſte Blut umtreiben; er iſt ſehr gut, bis auf einen nachſprechenden Schein. Über den neueſten Unſin, Amors Pfeile ſtat in Honig, in Koth zu tauchen, ſprach ich mit ihm20 hoff ich ſiegend; und nicht blos moraliſch, auch äſthetiſch und ſogar griechiſch läſſet ſich — wie ich einmal unter andern [Kriti]ken mit dieſer zeigen werde — dieſer unreine zwekloſe Wahnſin an den Altären Homers, Sophokles, Platos, Shakeſpears ꝛc. wegwerfen, vernichten und opfern, wie Schweine der Venus. — In nächſter Woche komt25 der Titan und noch ein Paar Worte dazu. Alles lebe freudig in der [164]Freude des Frühlings, Vater, Mutter, Tochter — die ſchöne, ſogar Schlegelianern ſo ſehr gefallende (ich hoffe aber nicht, daß ſie hier vorlieſet oder zuhört) und Söhne. Adio, carissimi!
R.30
266. An Emanuel.
[Unter einem Brief Thieriots v. 30. April 1802]
Endlich komm ich auch einmal zu einem Briefe an Sie, den ich ſchon ſo lange ſchreiben wolte. Noch ein zweites Tauſend Dank für das Seelenbier — Dank für den Schilling der Doſe, der ſelber eine35 verdient. Sie ſenden ihn in Laubtl. oder 24 kr. oder Ld. durch eine
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Prinzenlehrer — eher zu einem Prinzen ſelber — taugt mit ſeiner
ekelhaften Willenloſigkeit, wizigen Ideen-Armuth und einſeitigen
Süffisance. In der neueſten Schule friſſet, weil ſie geiſtig und leiblich
nichts zu leben haben, jeder den andern, wie jezt Schelling Fichten,
der Neueſte den Neuen, jedes Geſchöpf ſeinen Schöpfer. Wodurch die 5
ſchmuzige leere Seite dieſer Schule bald einfallen wird, — indes die
mit der Freſko-Arbeit bleibt — das iſt, daß alle insgeſamt nur Eine
Seite haben, die ekelhafteſte Nachbeterei durch die kleinſten Be-
ſtimmungen und Urtheile hindurch; wie Sie am markloſeſten Nach-
Schlegel, D. Majer bemerken können, in dem nichts gros iſt als das j. 10
— Eben komt Fr. v. Kalb. Ihre Erſcheinung komt wie ein Frühling,
in den Meiningiſchen Winter an Kunſt, deſſen kalte und reine Luft
aber ſtärkt. Ihre Einſamkeit hat ihrer Kraft eine beſcheidne Stille
gegeben, die Ihnen, im Weimarschen Stimmen-Charivari gefallen
wird. Auch meine Frau, die jedes Gewächs nur nach ſeiner Blüte, 15
nicht nach ſeiner Rinde ſchäzt, ehrt ſie hoch.
— Thieriots Herz könte man beinahe noch in die Bruſt einer Jung-
frau einſezen und damit das reinſte Blut umtreiben; er iſt ſehr gut,
bis auf einen nachſprechenden Schein. Über den neueſten Unſin,
Amors Pfeile ſtat in Honig, in Koth zu tauchen, ſprach ich mit ihm 20
hoff ich ſiegend; und nicht blos moraliſch, auch äſthetiſch und ſogar
griechiſch läſſet ſich — wie ich einmal unter andern [Kriti]ken mit
dieſer zeigen werde — dieſer unreine zwekloſe Wahnſin an den Altären
Homers, Sophokles, Platos, Shakeſpears ꝛc. wegwerfen, vernichten
und opfern, wie Schweine der Venus. — In nächſter Woche komt 25
der Titan und noch ein Paar Worte dazu. Alles lebe freudig in der
Freude des Frühlings, Vater, Mutter, Tochter — die ſchöne, ſogar
Schlegelianern ſo ſehr gefallende (ich hoffe aber nicht, daß ſie hier
vorlieſet oder zuhört) und Söhne. Adio, carissimi!
[164]
R. 30
266. An Emanuel.
[Unter einem Brief Thieriots v. 30. April 1802]
Endlich komm ich auch einmal zu einem Briefe an Sie, den ich
ſchon ſo lange ſchreiben wolte. Noch ein zweites Tauſend Dank für
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/153>, abgerufen am 20.07.2024.
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