Nazionalbegebenheit ist, sind die Franzosen nichts; es ist aber auch keine Weltbegebenheit*) im striktesten Sin; sonst hätte sie und die amerikanische Revoluzion anders gewirkt. Wird denn das Freiheits Gefühl durch Licht Aufklärung geboren? Sieh die alten Schweizer und Niederländer**) -- Das Konkordat segn' ich, der tiefste Aber-5 glaube wäre götlicher als A- und Theismus. -- Die Reise nach Bay- reuth etc. spert nun die oder der Kleine, der da kommen sol; aber im Lenz kan angespant werden. -- In Rüksicht meines Titans und aller Werke weis kein Kritiker wie so weit ich im Hellen bin. -- Mereau ist ein rechtlicher redlicher unangenehmer Man, er wird -- schon durch10 den Kontrast mit der galanten unmoralischen Dichterin -- glüklich sein durch die gute Julie und sie es halb durch den Kontrast mit dem Vater. Ach aber so ist doch ihrem Herzen die erste Liebe verweigert! -- Ich bekam jezt erst deinen Brief und weis also nichts von den Waffenträgern des Teufels in Jena. Drohe ihnen unfrankiert, sie im15 R[eichs] Anzeiger aufzurufen. -- Thieriot ist bis ins Tiefste eitel: sonst lieb ich ihn wie einen Sohn, er mich wie einen Vater.
d. 21. J.
Paris wird ihm seine Selbstschmeicheleien über sein Spiel, seine Welt etc. mässigen; es ist seine hohe Herzens Schule. -- Seit einiger20 Zeit gewöhnt' ich mir die unnüze Floskel ab: "Einen Grus von meiner Caroline." --
-- Die jezigen Franzosen (zumal mit dem niederträchtigen Erb- lichkeits Wunsch) veracht' ich, aber Bonaparte ist hoch zu ehren. -- Nach Coburg komm' ich allein in diesem Herbst; wärst du oder Ema-25 nuel zu gl[eicher] Zeit hinzubringen, ich schriebs vorher. -- Schreibe bald, aber über den ganzen 3. Titan; und sage nur vor der Hand das Schlechteste und Beste an. Über Wieland, Herder, die mir immer geehrte Kalb etc. wäre viel zu schreiben. Lebe wohl. Jezt steht mir [182]die Freude bevor, deine neue Adresse auf das Couvert zu schreiben.30
R.
*) In einem andern Sinne sind stets Re- oder Evoluzionen, jede Begebenheit ver- und entwickelt.
**) deren Freiheitsgeist ja eine Ursache, nicht Folge der angenommenen Re- formazionen war.35
Nazionalbegebenheit iſt, ſind die Franzoſen nichts; es iſt aber auch keine Weltbegebenheit*) im ſtrikteſten Sin; ſonſt hätte ſie und die amerikaniſche Revoluzion anders gewirkt. Wird denn das Freiheits Gefühl durch Licht 〈Aufklärung〉 geboren? Sieh die alten Schweizer und Niederländer**) — Das Konkordat ſegn’ ich, der tiefſte Aber-5 glaube wäre götlicher als A- und Theiſmus. — Die Reiſe nach Bay- reuth ꝛc. ſpert nun die oder der Kleine, der da kommen ſol; aber im Lenz kan angeſpant werden. — In Rükſicht meines Titans und aller Werke weis kein Kritiker wie ſo weit ich im Hellen bin. — Mereau iſt ein rechtlicher redlicher unangenehmer Man, er wird — ſchon durch10 den Kontraſt mit der galanten 〈unmoraliſchen〉 Dichterin — glüklich ſein durch die gute Julie und ſie es halb durch den Kontraſt mit dem Vater. Ach aber ſo iſt doch ihrem Herzen die erſte Liebe verweigert! — Ich bekam jezt erſt deinen Brief und weis alſo nichts von den Waffenträgern des Teufels in Jena. Drohe ihnen unfrankiert, ſie im15 R[eichs] Anzeiger aufzurufen. — Thieriot iſt bis ins Tiefſte eitel: ſonſt lieb ich ihn wie einen Sohn, er mich wie einen Vater.
d. 21. J.
Paris wird ihm ſeine Selbſtſchmeicheleien über ſein Spiel, ſeine Welt ꝛc. mäſſigen; es iſt ſeine hohe Herzens Schule. — Seit einiger20 Zeit gewöhnt’ ich mir die unnüze Floſkel ab: „Einen Grus von meiner Caroline.“ —
— Die jezigen Franzoſen (zumal mit dem niederträchtigen Erb- lichkeits Wunſch) veracht’ ich, aber Bonaparte iſt hoch zu ehren. — Nach Coburg komm’ ich allein in dieſem Herbſt; wärſt du oder Ema-25 nuel zu gl[eicher] Zeit hinzubringen, ich ſchriebs vorher. — Schreibe bald, aber über den ganzen 3. Titan; und ſage nur vor der Hand das Schlechteſte und Beſte an. Über Wieland, Herder, die mir immer geehrte Kalb ꝛc. wäre viel zu ſchreiben. Lebe wohl. Jezt ſteht mir [182]die Freude bevor, deine neue Adreſſe auf das Couvert zu ſchreiben.30
R.
*) In einem andern Sinne ſind ſtets Re- oder Evoluzionen, jede Begebenheit ver- und entwickelt.
**) deren Freiheitsgeiſt ja eine Urſache, nicht Folge der angenommenen Re- formazionen war.35
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Nazionalbegebenheit iſt, ſind die Franzoſen nichts; es iſt aber auch
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amerikaniſche Revoluzion anders gewirkt. Wird denn das Freiheits
Gefühl durch Licht 〈Aufklärung〉 geboren? Sieh die alten Schweizer
und Niederländer **) — Das Konkordat ſegn’ ich, der tiefſte Aber- 5
glaube wäre götlicher als A- und Theiſmus. — Die Reiſe nach Bay-
reuth ꝛc. ſpert nun die oder der Kleine, der da kommen ſol; aber im
Lenz kan angeſpant werden. — In Rükſicht meines Titans und aller
Werke weis kein Kritiker wie ſo weit ich im Hellen bin. — Mereau iſt
ein rechtlicher redlicher unangenehmer Man, er wird — ſchon durch 10
den Kontraſt mit der galanten 〈unmoraliſchen〉 Dichterin — glüklich
ſein durch die gute Julie und ſie es halb durch den Kontraſt mit dem
Vater. Ach aber ſo iſt doch ihrem Herzen die erſte Liebe verweigert!
— Ich bekam jezt erſt deinen Brief und weis alſo nichts von den
Waffenträgern des Teufels in Jena. Drohe ihnen unfrankiert, ſie im 15
R[eichs] Anzeiger aufzurufen. — Thieriot iſt bis ins Tiefſte eitel:
ſonſt lieb ich ihn wie einen Sohn, er mich wie einen Vater.
d. 21. J.
Paris wird ihm ſeine Selbſtſchmeicheleien über ſein Spiel, ſeine
Welt ꝛc. mäſſigen; es iſt ſeine hohe Herzens Schule. — Seit einiger 20
Zeit gewöhnt’ ich mir die unnüze Floſkel ab: „Einen Grus von meiner
Caroline.“ —
— Die jezigen Franzoſen (zumal mit dem niederträchtigen Erb-
lichkeits Wunſch) veracht’ ich, aber Bonaparte iſt hoch zu ehren. —
Nach Coburg komm’ ich allein in dieſem Herbſt; wärſt du oder Ema- 25
nuel zu gl[eicher] Zeit hinzubringen, ich ſchriebs vorher. — Schreibe
bald, aber über den ganzen 3. Titan; und ſage nur vor der Hand das
Schlechteſte und Beſte an. Über Wieland, Herder, die mir immer
geehrte Kalb ꝛc. wäre viel zu ſchreiben. Lebe wohl. Jezt ſteht mir
die Freude bevor, deine neue Adreſſe auf das Couvert zu ſchreiben. 30
[182]R.
*) In einem andern Sinne ſind ſtets Re- oder Evoluzionen, jede Begebenheit
ver- und entwickelt.
**) deren Freiheitsgeiſt ja eine Urſache, nicht Folge der angenommenen Re-
formazionen war. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/169>, abgerufen am 19.07.2024.
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