Frau und Bayreuther Bier, dessen Mangel mich schon in Weimar krank gemacht -- sondern 8 Tage früher hieher gekommen war. Der Herzog verübelte mir die Trennung so wenig, daß er seit gestern auch hier ist und auch nicht in Rudolstadt war. In Weimar fand ich mein altes Lebens-Italien bei dem alten Herder wieder, dessen Zunge für5 mich die Zunge in der moralischen Apothekerwage ist, so sehr auch fremde Macht und Witterung und Eis-Schwere falsches Gewicht ihm unbewust in die Schaalen bringen. Kurz wie eine Tragödie nach Aristo- teles, reinigt er mich. Aber er ist leibes- und seelenkrank; sein geistiges wie sein Körp[er]Auge siech. Ich brachte ihm einige himmelblaue10 Abende an seinen Tisch. -- Sonst fand ich an Weimar nichts so schön als das Thor nach -- Meiningen zu. Aus einer neuen theuern Oper -- Roxelane -- gieng ich und Herder nach dem 1ten Akte, so hundsschlecht war sie. Mit Schiller disputiert' ich mich in einem schönen diner von 91 Couverts hinter dem gebognen nakten Rücken15 der benachbarten Dichterin Imhof sehr herum, aber sehr friedlich und ich lieb' ihn wieder etwas.
[225] Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum 3/4 Stunden meines Weim[arschen] Aufenthalts berichtet -- von Gotha noch gar nichts -- von 9 Tagen auch nicht --: gleichwohl sind schon 3 Seiten20 beschmiert; und doch verlangt irgend ein Mensch in Bayreuth oder sonstwo, daß man ihm seine Begebnisse deutlich erzähle? So geb' einem der Mensch nur Papier und Ewigkeit. --
In Weimar besonders in der Kälte fühlt' ich was ich Ihrem Bier verdankte. Dieser harte Winter*) hätte aus den Narben, die mir sein25 harter 99ger, 80ger Bruder gegeben, die tiefsten Wunden gemacht -- ich wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen -- ich hätt' es gerade so viel schlimmer heuer gehabt, als ich es gerade besser hatte als je -- wäre nicht Ihr Bier gewesen, meine Lethe, mein Paktolusflus (wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vor-30 lezte Ölung, mein Weihwasser u. dergl. Kurz mit Freuden vernahm ich, daß Sie schon wieder ein Fäslein -- Gott gebe, ein Fas -- reisefertig haben. Es reise bald! -- In Coburg brauch' ich nichts mehr.
*) Denn nichts ertödtet meine Nerven so sehr als ein blauer kalter Tag,35 nicht ein bewölkter.
Frau und Bayreuther Bier, deſſen Mangel mich ſchon in Weimar krank gemacht — ſondern 8 Tage früher hieher gekommen war. Der Herzog verübelte mir die Trennung ſo wenig, daß er ſeit geſtern auch hier iſt und auch nicht in Rudolſtadt war. In Weimar fand ich mein altes Lebens-Italien bei dem alten Herder wieder, deſſen Zunge für5 mich die Zunge in der moraliſchen Apothekerwage iſt, ſo ſehr auch fremde Macht und Witterung und Eis-Schwere falſches Gewicht ihm unbewuſt in die Schaalen bringen. Kurz wie eine Tragödie nach Ariſto- teles, reinigt er mich. Aber er iſt leibes- und ſeelenkrank; ſein geiſtiges wie ſein Körp[er]Auge ſiech. Ich brachte ihm einige himmelblaue10 Abende an ſeinen Tiſch. — Sonſt fand ich an Weimar nichts ſo ſchön als das Thor nach — Meiningen zu. Aus einer neuen theuern Oper — Roxelane — gieng ich und Herder nach dem 1ten Akte, ſo hundsſchlecht war ſie. Mit Schiller diſputiert’ ich mich in einem ſchönen diner von 91 Couverts hinter dem gebognen nakten Rücken15 der benachbarten Dichterin Imhof ſehr herum, aber ſehr friedlich und ich lieb’ ihn wieder etwas.
[225] Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum ¾ Stunden meines Weim[arschen] Aufenthalts berichtet — von Gotha noch gar nichts — von 9 Tagen auch nicht —: gleichwohl ſind ſchon 3 Seiten20 beſchmiert; und doch verlangt irgend ein Menſch in Bayreuth oder ſonſtwo, daß man ihm ſeine Begebniſſe deutlich erzähle? So geb’ einem der Menſch nur Papier und Ewigkeit. —
In Weimar beſonders in der Kälte fühlt’ ich was ich Ihrem Bier verdankte. Dieſer harte Winter*) hätte aus den Narben, die mir ſein25 harter 99ger, 80ger Bruder gegeben, die tiefſten Wunden gemacht — ich wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen — ich hätt’ es gerade ſo viel ſchlimmer heuer gehabt, als ich es gerade beſſer hatte als je — wäre nicht Ihr Bier geweſen, meine Lethe, mein Paktolusflus (wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vor-30 lezte Ölung, mein Weihwaſſer u. dergl. Kurz mit Freuden vernahm ich, daß Sie ſchon wieder ein Fäslein — Gott gebe, ein Fas — reiſefertig haben. Es reiſe bald! — In Coburg brauch’ ich nichts mehr.
*) Denn nichts ertödtet meine Nerven ſo ſehr als ein blauer kalter Tag,35 nicht ein bewölkter.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0209"n="202"/>
Frau und Bayreuther Bier, deſſen Mangel mich ſchon in <hirendition="#aq">Weimar</hi><lb/>
krank gemacht —ſondern 8 Tage früher hieher gekommen war. Der<lb/>
Herzog verübelte mir die Trennung ſo wenig, daß er ſeit geſtern auch<lb/>
hier iſt und auch nicht in Rudolſtadt war. In <hirendition="#aq">Weimar</hi> fand ich mein<lb/>
altes Lebens-Italien bei dem alten <hirendition="#aq">Herder</hi> wieder, deſſen Zunge für<lbn="5"/>
mich die Zunge in der moraliſchen Apothekerwage iſt, ſo ſehr auch<lb/>
fremde Macht und Witterung und Eis-Schwere falſches Gewicht ihm<lb/>
unbewuſt in die Schaalen bringen. Kurz wie eine Tragödie nach Ariſto-<lb/>
teles, reinigt er mich. Aber er iſt leibes- und ſeelenkrank; ſein geiſtiges<lb/>
wie ſein Körp[er]Auge ſiech. Ich brachte ihm einige himmelblaue<lbn="10"/>
Abende an ſeinen Tiſch. — Sonſt fand ich an <hirendition="#aq">Weimar</hi> nichts ſo<lb/>ſchön als das Thor nach —<hirendition="#aq">Meiningen</hi> zu. Aus einer neuen theuern<lb/>
Oper —<hirendition="#aq">Roxelane</hi>— gieng ich und <hirendition="#aq">Herder</hi> nach dem 1<hirendition="#sup">ten</hi> Akte, ſo<lb/>
hundsſchlecht war ſie. Mit <hirendition="#aq">Schiller</hi> diſputiert’ ich mich in einem<lb/>ſchönen <hirendition="#aq">diner</hi> von 91 <hirendition="#aq">Couverts</hi> hinter dem gebognen nakten Rücken<lbn="15"/>
der benachbarten Dichterin <hirendition="#aq">Imhof</hi>ſehr herum, aber ſehr friedlich und<lb/>
ich lieb’ ihn wieder etwas.</p><lb/><p><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd4_225">[225]</ref></note> Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum ¾ Stunden meines<lb/><hirendition="#aq">Weim[arschen]</hi> Aufenthalts berichtet — von <hirendition="#aq">Gotha</hi> noch gar<lb/>
nichts — von 9 Tagen auch nicht —: gleichwohl ſind ſchon 3 Seiten<lbn="20"/>
beſchmiert; und doch verlangt irgend ein Menſch in <hirendition="#aq">Bayreuth</hi> oder<lb/>ſonſtwo, daß man ihm ſeine Begebniſſe deutlich erzähle? So geb’<lb/>
einem der Menſch nur Papier und Ewigkeit. —</p><lb/><p>In <hirendition="#aq">Weimar</hi> beſonders in der Kälte fühlt’ ich was ich Ihrem Bier<lb/>
verdankte. Dieſer harte Winter<noteplace="foot"n="*)">Denn nichts ertödtet meine Nerven ſo ſehr als ein <hirendition="#g">blauer</hi> kalter Tag,<lbn="35"/>
nicht ein bewölkter.</note> hätte aus den Narben, die mir ſein<lbn="25"/>
harter 99ger, 80ger Bruder gegeben, die tiefſten Wunden gemacht —<lb/>
ich wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen — ich hätt’ es gerade<lb/>ſo viel ſchlimmer <hirendition="#g">heuer</hi> gehabt, als ich es gerade beſſer hatte als je<lb/>— wäre nicht Ihr Bier geweſen, meine Lethe, mein Paktolusflus<lb/>
(wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vor-<lbn="30"/>
lezte Ölung, mein Weihwaſſer u. dergl. Kurz mit Freuden vernahm<lb/>
ich, daß Sie ſchon wieder ein Fäslein — Gott gebe, ein Fas —<lb/>
reiſefertig haben. Es reiſe bald! — In <hirendition="#aq">Coburg</hi> brauch’ ich nichts<lb/>
mehr.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[202/0209]
Frau und Bayreuther Bier, deſſen Mangel mich ſchon in Weimar
krank gemacht — ſondern 8 Tage früher hieher gekommen war. Der
Herzog verübelte mir die Trennung ſo wenig, daß er ſeit geſtern auch
hier iſt und auch nicht in Rudolſtadt war. In Weimar fand ich mein
altes Lebens-Italien bei dem alten Herder wieder, deſſen Zunge für 5
mich die Zunge in der moraliſchen Apothekerwage iſt, ſo ſehr auch
fremde Macht und Witterung und Eis-Schwere falſches Gewicht ihm
unbewuſt in die Schaalen bringen. Kurz wie eine Tragödie nach Ariſto-
teles, reinigt er mich. Aber er iſt leibes- und ſeelenkrank; ſein geiſtiges
wie ſein Körp[er]Auge ſiech. Ich brachte ihm einige himmelblaue 10
Abende an ſeinen Tiſch. — Sonſt fand ich an Weimar nichts ſo
ſchön als das Thor nach — Meiningen zu. Aus einer neuen theuern
Oper — Roxelane — gieng ich und Herder nach dem 1ten Akte, ſo
hundsſchlecht war ſie. Mit Schiller diſputiert’ ich mich in einem
ſchönen diner von 91 Couverts hinter dem gebognen nakten Rücken 15
der benachbarten Dichterin Imhof ſehr herum, aber ſehr friedlich und
ich lieb’ ihn wieder etwas.
Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum ¾ Stunden meines
Weim[arschen] Aufenthalts berichtet — von Gotha noch gar
nichts — von 9 Tagen auch nicht —: gleichwohl ſind ſchon 3 Seiten 20
beſchmiert; und doch verlangt irgend ein Menſch in Bayreuth oder
ſonſtwo, daß man ihm ſeine Begebniſſe deutlich erzähle? So geb’
einem der Menſch nur Papier und Ewigkeit. —
[225]
In Weimar beſonders in der Kälte fühlt’ ich was ich Ihrem Bier
verdankte. Dieſer harte Winter *) hätte aus den Narben, die mir ſein 25
harter 99ger, 80ger Bruder gegeben, die tiefſten Wunden gemacht —
ich wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen — ich hätt’ es gerade
ſo viel ſchlimmer heuer gehabt, als ich es gerade beſſer hatte als je
— wäre nicht Ihr Bier geweſen, meine Lethe, mein Paktolusflus
(wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vor- 30
lezte Ölung, mein Weihwaſſer u. dergl. Kurz mit Freuden vernahm
ich, daß Sie ſchon wieder ein Fäslein — Gott gebe, ein Fas —
reiſefertig haben. Es reiſe bald! — In Coburg brauch’ ich nichts
mehr.
*) Denn nichts ertödtet meine Nerven ſo ſehr als ein blauer kalter Tag, 35
nicht ein bewölkter.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/209>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.