Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.37. An Friedrich Heinrich Jacobi in Eutin. Berlin d. 19 Nov. 1800.Mein guter Heinrich! Endlich schwieg ich so lange wie du, -- aus Fräul. Röpert sagte mir viel von dir (wie Frau v. Berg) -- Man Apropos! ich habe mich verlobt; mit einer, die ich ungesehen seit Schleiermachers (der mir als Mensch sehr gefält) Reden über die 37. An Friedrich Heinrich Jacobi in Eutin. Berlin d. 19 Nov. 1800.Mein guter Heinrich! Endlich ſchwieg ich ſo lange wie du, — aus Fräul. Röpert ſagte mir viel von dir (wie Frau v. Berg) — Man Apropos! ich habe mich verlobt; mit einer, die ich ungeſehen ſeit Schleiermachers (der mir als Menſch ſehr gefält) Reden über die <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0028" n="22"/> <div type="letter" n="1"> <head>37. An <hi rendition="#g">Friedrich Heinrich Jacobi in Eutin.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Berlin</hi> d. 19 Nov. 1800.</hi> </dateline><lb/> <p>Mein guter Heinrich! Endlich ſchwieg ich ſo lange wie du, — aus<lb/> Mus. Wenn man ſeine Spuhlen in <hi rendition="#aq">Weimar</hi> wegwirft und neue in<lb/><hi rendition="#aq">Berlin</hi> einſezt, um den Lebensfaden — den bunten — aufzuwinden:<lb n="5"/> ſo braucht man das dazu, was die Kantianer Zeit nennen. Müde wich<lb/> ich aus <hi rendition="#aq">W.;</hi> hier werd’ ich durch Weiber erquikt und durch mänliche<lb/> Trivialität ermattet, ſo daß ich mich faſt aus den hieſigen klein-<lb/> ſtädtiſchen Gelehrten wieder zurükſehne nach ächter genialiſcher<lb/> Spizbüberei in <hi rendition="#aq">Jena</hi> und <hi rendition="#aq">W.</hi> Es iſt etwas tieferes als Unterſcheidungs-<lb n="10"/> <note place="left"><ref target="1922_Bd4_26">[26]</ref></note>Sucht, daß der Menſch ſich von jeder geiſtigen Krankheit gerade in der<lb/> Stadt am leichteſten heilt, wo ſie graſſiert. Doch hab’ ich hier keine<lb/> Gelehrten aufgeſucht, höchſtens Künſtler. Ach der Jugend-Wahn<lb/> iſt vorüber, der zu berühmten Leuten treibt; und ich ſag’ es aller Welt,<lb/> daß ich nur noch einen perſönlich kennen lernen wil — dich. Nur dich,<lb n="15"/> Heinrich — Wir mögen es uns verhüllen wie wir wollen, ſo ſuchen<lb/> wir in Menſchen — die uns im Lande der Seeligen, nämlich im poeti-<lb/> ſchen (auf dem Parnas) erſcheinen — Volendete, (ſo in Geliebten und<lb/> Freunden) und verzeihen <hi rendition="#g">keinen</hi> Fehl; wir ſuchen überal Götter in den<lb/> Menſchen, blos weil jede Liebe unendlich iſt und alſo Götter braucht. —<lb n="20"/> Und daher wirft uns ein makelhafter Autor ſo hart vom Parnas ins<lb/> Thal — er ſol volendet ſein wie ſein Werk. In <hi rendition="#aq">Weimar</hi> fehlte mir<lb/> dazu die Illuſion, obgleich die Leute da am meiſten approximieren. —<lb/> Die Menſchheit — die intellektuelle, nicht die moraliſche — iſt bald<lb/> auswendig gelernt, und man könte ein Menſchenfreund der Herzen und<lb n="25"/> Menſchenfeind der Köpfe zugleich ſein. Warlich, einer der ewig<lb/> hienieden lebte, ſtürbe 1800mal an der Langweile der algemeinen<lb/> Repetizion durch Wiederbringer.</p><lb/> <p>Fräul. Röpert ſagte mir viel von dir (wie Frau <hi rendition="#aq">v. Berg</hi>) — Man<lb/> mus mir dich unaufhörlich ſchildern, ob ich mir gleich getraue, dich noch<lb n="30"/> beſſer jedem zu ſchildern. Die <hi rendition="#aq">Röpert</hi> hat 2 kindliche Augen, in welche<lb/><hi rendition="#aq">Paul</hi> wie in ein Herz verſinkt, und ihres iſt ſo entſchieden und from.</p><lb/> <p>Apropos! ich habe mich verlobt; mit einer, die ich ungeſehen ſeit<lb/> vielen Jahren wolte und dachte; mit einer Tochter des Geheimen<lb/> Obertribunalsrath <hi rendition="#aq">Mayer</hi> — künftig mehr. —<lb n="35"/> </p> <p><hi rendition="#aq">Schleiermachers</hi> (der mir als Menſch ſehr gefält) Reden über die<lb/> Religion leſ ich wieder, und finde auſſer der herlichen elaſtiſchen Hülſe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0028]
37. An Friedrich Heinrich Jacobi in Eutin.
Berlin d. 19 Nov. 1800.
Mein guter Heinrich! Endlich ſchwieg ich ſo lange wie du, — aus
Mus. Wenn man ſeine Spuhlen in Weimar wegwirft und neue in
Berlin einſezt, um den Lebensfaden — den bunten — aufzuwinden: 5
ſo braucht man das dazu, was die Kantianer Zeit nennen. Müde wich
ich aus W.; hier werd’ ich durch Weiber erquikt und durch mänliche
Trivialität ermattet, ſo daß ich mich faſt aus den hieſigen klein-
ſtädtiſchen Gelehrten wieder zurükſehne nach ächter genialiſcher
Spizbüberei in Jena und W. Es iſt etwas tieferes als Unterſcheidungs- 10
Sucht, daß der Menſch ſich von jeder geiſtigen Krankheit gerade in der
Stadt am leichteſten heilt, wo ſie graſſiert. Doch hab’ ich hier keine
Gelehrten aufgeſucht, höchſtens Künſtler. Ach der Jugend-Wahn
iſt vorüber, der zu berühmten Leuten treibt; und ich ſag’ es aller Welt,
daß ich nur noch einen perſönlich kennen lernen wil — dich. Nur dich, 15
Heinrich — Wir mögen es uns verhüllen wie wir wollen, ſo ſuchen
wir in Menſchen — die uns im Lande der Seeligen, nämlich im poeti-
ſchen (auf dem Parnas) erſcheinen — Volendete, (ſo in Geliebten und
Freunden) und verzeihen keinen Fehl; wir ſuchen überal Götter in den
Menſchen, blos weil jede Liebe unendlich iſt und alſo Götter braucht. — 20
Und daher wirft uns ein makelhafter Autor ſo hart vom Parnas ins
Thal — er ſol volendet ſein wie ſein Werk. In Weimar fehlte mir
dazu die Illuſion, obgleich die Leute da am meiſten approximieren. —
Die Menſchheit — die intellektuelle, nicht die moraliſche — iſt bald
auswendig gelernt, und man könte ein Menſchenfreund der Herzen und 25
Menſchenfeind der Köpfe zugleich ſein. Warlich, einer der ewig
hienieden lebte, ſtürbe 1800mal an der Langweile der algemeinen
Repetizion durch Wiederbringer.
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Fräul. Röpert ſagte mir viel von dir (wie Frau v. Berg) — Man
mus mir dich unaufhörlich ſchildern, ob ich mir gleich getraue, dich noch 30
beſſer jedem zu ſchildern. Die Röpert hat 2 kindliche Augen, in welche
Paul wie in ein Herz verſinkt, und ihres iſt ſo entſchieden und from.
Apropos! ich habe mich verlobt; mit einer, die ich ungeſehen ſeit
vielen Jahren wolte und dachte; mit einer Tochter des Geheimen
Obertribunalsrath Mayer — künftig mehr. — 35
Schleiermachers (der mir als Menſch ſehr gefält) Reden über die
Religion leſ ich wieder, und finde auſſer der herlichen elaſtiſchen Hülſe
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(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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