Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

Bild:
<< vorherige Seite

Meine Achtung -- meine Erinnerungen -- meine Wünsche --
kennen Sie. -- Leben Sie wol!

244. An Friedrich von Oertel in Leipzig.

Mein guter alter Freund!5

Ich habe alles erhalten, auch deine beiden Briefe, wovon mir der
erste das hier zurückfolgende Manuskript versprach und durch Er-
warten desselben meine Antwort verschob. Habe Herzens-Dank für
deine Gabe und Erinnerung an mich, für dieß Stück alter Zeit. Diese
mir zugeflatterten Blüten aus deinem Eden beweisen mir freilich10
ein größeres Genießen deines Lebens als die bloße Dichtkunst gibt --
und dieß that mir in deine Seele hinein wol; -- indeß seh' ich dich doch
in Einseitigkeit Eines Gefühls oder Gedankens -- da auch der
größte nicht den Menschen erschöpft oder erfüllt -- eingesenkt, wo-
gegen ich dir äußere Thätigkeit -- oder Menschenhören -- oder15
ganz entgegengesetzte Wissenschaften rathen möchte. Denn deine
Blätter sind die einer einsamen Laube. Ich find' es nicht gut. Der
Mensch ist aller Kräfte und Umgebungen, welche der Himmel wie
die einander einschränkenden Welten-Anziehungen, um ihn ver-
sammelt hat, benöthigt, um sich im Gleichgewichte zu erhalten.20

Für den Druck derselben ist weder die jetzige Kriegs- und Handels-
zeit günstig, noch sind sie selber, in diesen unverknüpften Formen ge-
sammelt, auf der rechten Stelle des Einwirkens. Ganz anders und besser
würde aber jeder einzelne Aufsatz treffen, wenn du ihn einsam in
irgend eine Zeitschrift stelltest. Nur schäme dich des Freimüthigen;25
dieser hat keinen würdigen Boden für dich.

Eigentlich gab mir der annahende Krieg die Frage auf, ob ich
dir nicht selber deine Blätter wiederbringen könnte. Und dieß
entschuldigt wieder mein Zögern.

Wahrscheinlich sehen wir uns doch bald. Wer wird dann von uns30
beiden sich am meisten verändert haben? -- Wahrscheinlich ich. --
Um unveränderlich zu bleiben, müßte man das Beste sein; und da
ist mir nur Ein Mann der Art bekannt im sämmtlichen Uni-
versum.

Einmal wirst du doch meine drei verschieden blühenden Kinder35
erblicken, worunter der Junge zwischen zwei Mädchen als ein guter

Meine Achtung — meine Erinnerungen — meine Wünſche —
kennen Sie. — Leben Sie wol!

244. An Friedrich von Oertel in Leipzig.

Mein guter alter Freund!5

Ich habe alles erhalten, auch deine beiden Briefe, wovon mir der
erſte das hier zurückfolgende Manuſkript verſprach und durch Er-
warten deſſelben meine Antwort verſchob. Habe Herzens-Dank für
deine Gabe und Erinnerung an mich, für dieß Stück alter Zeit. Dieſe
mir zugeflatterten Blüten aus deinem Eden beweiſen mir freilich10
ein größeres Genießen deines Lebens als die bloße Dichtkunſt gibt —
und dieß that mir in deine Seele hinein wol; — indeß ſeh’ ich dich doch
in Einſeitigkeit Eines Gefühls oder Gedankens — da auch der
größte nicht den Menſchen erſchöpft oder erfüllt — eingeſenkt, wo-
gegen ich dir äußere Thätigkeit — oder Menſchenhören — oder15
ganz entgegengeſetzte Wiſſenſchaften rathen möchte. Denn deine
Blätter ſind die einer einſamen Laube. Ich find’ es nicht gut. Der
Menſch iſt aller Kräfte und Umgebungen, welche der Himmel wie
die einander einſchränkenden Welten-Anziehungen, um ihn ver-
ſammelt hat, benöthigt, um ſich im Gleichgewichte zu erhalten.20

Für den Druck derſelben iſt weder die jetzige Kriegs- und Handels-
zeit günſtig, noch ſind ſie ſelber, in dieſen unverknüpften Formen ge-
ſammelt, auf der rechten Stelle des Einwirkens. Ganz anders und beſſer
würde aber jeder einzelne Aufſatz treffen, wenn du ihn einſam in
irgend eine Zeitſchrift ſtellteſt. Nur ſchäme dich des Freimüthigen;25
dieſer hat keinen würdigen Boden für dich.

Eigentlich gab mir der annahende Krieg die Frage auf, ob ich
dir nicht ſelber deine Blätter wiederbringen könnte. Und dieß
entſchuldigt wieder mein Zögern.

Wahrſcheinlich ſehen wir uns doch bald. Wer wird dann von uns30
beiden ſich am meiſten verändert haben? — Wahrſcheinlich ich. —
Um unveränderlich zu bleiben, müßte man das Beſte ſein; und da
iſt mir nur Ein Mann der Art bekannt im ſämmtlichen Uni-
verſum.

Einmal wirſt du doch meine drei verſchieden blühenden Kinder35
erblicken, worunter der Junge zwiſchen zwei Mädchen als ein guter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0120" n="105"/>
        <p>Meine Achtung &#x2014; meine Erinnerungen &#x2014; meine Wün&#x017F;che &#x2014;<lb/>
kennen Sie. &#x2014; Leben Sie wol!</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>244. An <hi rendition="#g">Friedrich von Oertel in Leipzig.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Bayreuth</hi> d. 19 Sept. 1806</hi> </dateline><lb/>
        <salute> <hi rendition="#right">Mein guter alter Freund!</hi> <lb n="5"/>
        </salute>
        <p>Ich habe alles erhalten, auch deine beiden Briefe, wovon mir der<lb/>
er&#x017F;te das hier zurückfolgende Manu&#x017F;kript ver&#x017F;prach und durch Er-<lb/>
warten de&#x017F;&#x017F;elben meine Antwort ver&#x017F;chob. Habe Herzens-Dank für<lb/>
deine Gabe und Erinnerung an mich, für dieß Stück alter Zeit. Die&#x017F;e<lb/>
mir zugeflatterten Blüten aus deinem Eden bewei&#x017F;en mir freilich<lb n="10"/>
ein größeres Genießen deines Lebens als die bloße Dichtkun&#x017F;t gibt &#x2014;<lb/>
und dieß that mir in deine Seele hinein wol; &#x2014; indeß &#x017F;eh&#x2019; ich dich doch<lb/>
in Ein&#x017F;eitigkeit Eines Gefühls oder Gedankens &#x2014; da auch der<lb/>
größte nicht den Men&#x017F;chen er&#x017F;chöpft oder erfüllt &#x2014; einge&#x017F;enkt, wo-<lb/>
gegen ich dir äußere Thätigkeit &#x2014; oder Men&#x017F;chenhören &#x2014; oder<lb n="15"/>
ganz entgegenge&#x017F;etzte Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften rathen möchte. Denn deine<lb/>
Blätter &#x017F;ind die einer ein&#x017F;amen Laube. Ich find&#x2019; es nicht gut. Der<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t aller Kräfte und Umgebungen, welche der Himmel wie<lb/>
die einander ein&#x017F;chränkenden Welten-Anziehungen, um ihn ver-<lb/>
&#x017F;ammelt hat, benöthigt, um &#x017F;ich im Gleichgewichte zu erhalten.<lb n="20"/>
</p>
        <p>Für den Druck der&#x017F;elben i&#x017F;t weder die jetzige Kriegs- und Handels-<lb/>
zeit gün&#x017F;tig, noch &#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;elber, in die&#x017F;en unverknüpften Formen ge-<lb/>
&#x017F;ammelt, auf der rechten Stelle des Einwirkens. Ganz anders und be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
würde aber jeder einzelne Auf&#x017F;atz treffen, wenn du ihn ein&#x017F;am in<lb/>
irgend eine Zeit&#x017F;chrift &#x017F;tellte&#x017F;t. Nur &#x017F;chäme dich des Freimüthigen;<lb n="25"/>
die&#x017F;er hat keinen würdigen Boden für dich.</p><lb/>
        <p>Eigentlich gab mir der annahende Krieg die Frage auf, ob ich<lb/>
dir nicht &#x017F;elber deine Blätter wiederbringen könnte. Und dieß<lb/>
ent&#x017F;chuldigt wieder mein Zögern.</p><lb/>
        <p>Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ehen wir uns doch bald. Wer wird dann von uns<lb n="30"/>
beiden &#x017F;ich am mei&#x017F;ten verändert haben? &#x2014; Wahr&#x017F;cheinlich ich. &#x2014;<lb/>
Um unveränderlich zu bleiben, müßte man das Be&#x017F;te &#x017F;ein; und da<lb/>
i&#x017F;t mir nur Ein Mann <hi rendition="#g">der</hi> Art bekannt im &#x017F;ämmtlichen Uni-<lb/>
ver&#x017F;um.</p><lb/>
        <p>Einmal wir&#x017F;t du doch meine drei ver&#x017F;chieden blühenden Kinder<lb n="35"/>
erblicken, worunter der Junge zwi&#x017F;chen zwei Mädchen als ein guter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0120] Meine Achtung — meine Erinnerungen — meine Wünſche — kennen Sie. — Leben Sie wol! 244. An Friedrich von Oertel in Leipzig. Bayreuth d. 19 Sept. 1806 Mein guter alter Freund! 5 Ich habe alles erhalten, auch deine beiden Briefe, wovon mir der erſte das hier zurückfolgende Manuſkript verſprach und durch Er- warten deſſelben meine Antwort verſchob. Habe Herzens-Dank für deine Gabe und Erinnerung an mich, für dieß Stück alter Zeit. Dieſe mir zugeflatterten Blüten aus deinem Eden beweiſen mir freilich 10 ein größeres Genießen deines Lebens als die bloße Dichtkunſt gibt — und dieß that mir in deine Seele hinein wol; — indeß ſeh’ ich dich doch in Einſeitigkeit Eines Gefühls oder Gedankens — da auch der größte nicht den Menſchen erſchöpft oder erfüllt — eingeſenkt, wo- gegen ich dir äußere Thätigkeit — oder Menſchenhören — oder 15 ganz entgegengeſetzte Wiſſenſchaften rathen möchte. Denn deine Blätter ſind die einer einſamen Laube. Ich find’ es nicht gut. Der Menſch iſt aller Kräfte und Umgebungen, welche der Himmel wie die einander einſchränkenden Welten-Anziehungen, um ihn ver- ſammelt hat, benöthigt, um ſich im Gleichgewichte zu erhalten. 20 Für den Druck derſelben iſt weder die jetzige Kriegs- und Handels- zeit günſtig, noch ſind ſie ſelber, in dieſen unverknüpften Formen ge- ſammelt, auf der rechten Stelle des Einwirkens. Ganz anders und beſſer würde aber jeder einzelne Aufſatz treffen, wenn du ihn einſam in irgend eine Zeitſchrift ſtellteſt. Nur ſchäme dich des Freimüthigen; 25 dieſer hat keinen würdigen Boden für dich. Eigentlich gab mir der annahende Krieg die Frage auf, ob ich dir nicht ſelber deine Blätter wiederbringen könnte. Und dieß entſchuldigt wieder mein Zögern. Wahrſcheinlich ſehen wir uns doch bald. Wer wird dann von uns 30 beiden ſich am meiſten verändert haben? — Wahrſcheinlich ich. — Um unveränderlich zu bleiben, müßte man das Beſte ſein; und da iſt mir nur Ein Mann der Art bekannt im ſämmtlichen Uni- verſum. Einmal wirſt du doch meine drei verſchieden blühenden Kinder 35 erblicken, worunter der Junge zwiſchen zwei Mädchen als ein guter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/120
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/120>, abgerufen am 21.11.2024.