Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.Stunden-lange Briefe mach' ich oft an dich, wenn ich auf dem Göthe's Farbenlehre hat mich durch seine wiederkehrende Mensch- Lebe froh! Lieber kürz' ich den Brief ab als daß ich ihn in der Dein alter15 J. P. F. Richter Schreibe bald, wenn möglich. N. S. Ich bitte dich sehr um Verzeihung des Korrigierens. 2. N. S. Ich bitte dich, hab' ich nicht Recht? Die jetzige Zeit 410. An Ludwig von Oertel in Regensburg. [Kopie][Bayreuth, 22. Dez. 1810]Es sei vergeben und vergessen! Von heute an steigt die Erde *) Wie sehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst
Wagner in Meiningen dich für einen Gott erklärte. Stunden-lange Briefe mach’ ich oft an dich, wenn ich auf dem Göthe’s Farbenlehre hat mich durch ſeine wiederkehrende Menſch- Lebe froh! Lieber kürz’ ich den Brief ab als daß ich ihn in der Dein alter15 J. P. F. Richter Schreibe bald, wenn möglich. N. S. Ich bitte dich ſehr um Verzeihung des Korrigierens. 2. N. S. Ich bitte dich, hab’ ich nicht Recht? Die jetzige Zeit 410. An Ludwig von Oertel in Regensburg. [Kopie][Bayreuth, 22. Dez. 1810]Es ſei vergeben und vergeſſen! Von heute an ſteigt die Erde *) Wie ſehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst
Wagner in Meiningen dich für einen Gott erklärte. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0175" n="162"/> <p>Stunden-lange Briefe mach’ ich oft an dich, wenn ich auf dem<lb/> Kanap<hi rendition="#aq">é</hi>e liege; richt’ ich mich aber auf, ſo iſt alles verflogen.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">Göthe’s</hi> Farbenlehre hat mich durch ſeine wiederkehrende Menſch-<lb/> werdung ſehr erquickt. Überhaupt bemerk’ ich an mehrerern, die<lb/> ſonſt, wie es in London einen „hölliſchen Feuerklub“ gab, ſo zum<lb n="5"/> hölliſchen Froſt-Klub gehörten, ſchönes Schmelzen<note place="foot" n="*)">Wie ſehr mußt du wirken, da <hi rendition="#aq">Tiek,</hi> früher dein Freund nicht, bei <hi rendition="#aq">Ernst<lb/> Wagner</hi> in <hi rendition="#aq">Meiningen</hi> dich für einen Gott erklärte.</note>. Freilich in<lb/><hi rendition="#aq">Jena</hi> damals zeigte man leichter die Scham als das Herz und er-<lb/> röthete nur über — Thränen. Dieß hält aber das Menſchenherz<lb/> nicht lange aus; und ich bin überzeugt, daß eben ſo viele Kälte<lb/> vorſpiegeln als andere Wärme.<lb n="10"/> </p> <p>Lebe froh! Lieber kürz’ ich den Brief ab als daß ich ihn in der<lb/> Abſicht ſeiner Verlängerung, immer liegen laſſe. Du gehſt in ein<lb/> neues Jahr; komme dir das Schöne, Frohe, Gute entgegen, das<lb/> du ſelber uns ſo oft ſchaffend zugeführt!</p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Dein alter<lb n="15"/> J. P. F. Richter</hi> </salute> </closer><lb/> <postscript> <p>Schreibe bald, wenn möglich.</p> </postscript><lb/> <postscript> <p>N. S. Ich bitte dich ſehr um Verzeihung des Korrigierens.<lb/> Mir iſts unmöglich — und ſchreib’ ich an Fürſten — vorher ein<lb/> Konzept des Briefes aufzuſetzen; denn es hälfe auch nichts, da ich<lb n="20"/> doch im Abſchreiben des Konzeptes wieder ins Korrigieren hinein<lb/> geriethe.</p> </postscript><lb/> <postscript> <p>2. N. S. Ich bitte dich, hab’ ich nicht Recht? Die jetzige Zeit<lb/> iſt groß, aber die Menſchen ſind klein? — Folglich beſteht die Zeit<lb/> aus etwas Höhern als Menſchen ſind. Nenn’ es Vergangenheit<lb n="25"/> oder Gottheit, beide verfließen in Eins.</p> </postscript> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>410. An <hi rendition="#g">Ludwig von Oertel in Regensburg.</hi></head><lb/> <note type="editorial">[Kopie]</note> <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 22. Dez. 1810]</hi> </dateline><lb/> <p>Es ſei vergeben und vergeſſen! Von heute an ſteigt die Erde<lb/> wieder zur Wärme empor — und der wollen wir auch nachahmen.<lb n="30"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0175]
Stunden-lange Briefe mach’ ich oft an dich, wenn ich auf dem
Kanapée liege; richt’ ich mich aber auf, ſo iſt alles verflogen.
Göthe’s Farbenlehre hat mich durch ſeine wiederkehrende Menſch-
werdung ſehr erquickt. Überhaupt bemerk’ ich an mehrerern, die
ſonſt, wie es in London einen „hölliſchen Feuerklub“ gab, ſo zum 5
hölliſchen Froſt-Klub gehörten, ſchönes Schmelzen *). Freilich in
Jena damals zeigte man leichter die Scham als das Herz und er-
röthete nur über — Thränen. Dieß hält aber das Menſchenherz
nicht lange aus; und ich bin überzeugt, daß eben ſo viele Kälte
vorſpiegeln als andere Wärme. 10
Lebe froh! Lieber kürz’ ich den Brief ab als daß ich ihn in der
Abſicht ſeiner Verlängerung, immer liegen laſſe. Du gehſt in ein
neues Jahr; komme dir das Schöne, Frohe, Gute entgegen, das
du ſelber uns ſo oft ſchaffend zugeführt!
Dein alter 15
J. P. F. Richter
Schreibe bald, wenn möglich.
N. S. Ich bitte dich ſehr um Verzeihung des Korrigierens.
Mir iſts unmöglich — und ſchreib’ ich an Fürſten — vorher ein
Konzept des Briefes aufzuſetzen; denn es hälfe auch nichts, da ich 20
doch im Abſchreiben des Konzeptes wieder ins Korrigieren hinein
geriethe.
2. N. S. Ich bitte dich, hab’ ich nicht Recht? Die jetzige Zeit
iſt groß, aber die Menſchen ſind klein? — Folglich beſteht die Zeit
aus etwas Höhern als Menſchen ſind. Nenn’ es Vergangenheit 25
oder Gottheit, beide verfließen in Eins.
410. An Ludwig von Oertel in Regensburg.
[Bayreuth, 22. Dez. 1810]
Es ſei vergeben und vergeſſen! Von heute an ſteigt die Erde
wieder zur Wärme empor — und der wollen wir auch nachahmen. 30
*) Wie ſehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst
Wagner in Meiningen dich für einen Gott erklärte.
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(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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