Du geliebter, fortschreibender und fortverzeihender Heinrich! Denn leider beantwort' ich heute drei Briefe von dir auf einmal und zwar gerührt von deinem Schweigen über meines. Arbeiten und5 die kurzen Tage fressen mir die Zeit weg, noch dazu da mein Geist jetzo nur tröpfelt, nicht tropft und regnet. Die Fülle und die Liebe und der Witz deiner Briefe laben mich jedesmal; ich kann dir, die Liebe ausgenommen, nichts zurück geben als ein Blätterskelet. -- Cotta hat dir doch das Morgenblatt über die S-Stürmerei ge-10 schickt? Der Aufsatz muß auf einmal gelesen werden; und ich denke, er schlägt sich durch, am gewissesten durch seine 12 Klassen oder Regeln, welche bisher Freunden und Feinden gefehlt. Der seltsame Schreiber darüber im Morgenblatt ist der befreundete Prokurator Merkel in Kassel, der nachher mir seine Zustimmung selber und die15 Nachricht geschrieben, daß Grimm allda in seiner Grammatik mir Unrecht geben werde. Letztes hat auch Thiersch in einem Briefe an mich gethan, dessen leichte Widerlegung ich vor der Hand nur mündlich gesagt. -- Drei Professoren (hiesige Schullehrer) sind mit mir gegen Thiersch einig. Du mußt nur das Morgenblatt im20 Zusammenhange auf einmal lesen; dein bisheriges Schweigen ist Irren.
d. 16. Nov.
Eben les' ich Kolbens neue Auflage "über Sprachreichthum" und finde sie trefflich. -- Du thust mir einen wahren Gefallen mit25 einer Anzeige des Siebenkäs im Morgenblatt. Lesen denn die Leserinnen den Meßkatalog? Ein neues Buch wird auch leichter bekannt als ein altes mit neuen Zusätzen. -- Der reizenden Gemeinde, die meinen Aposteltag nach griechischer Sitte so schön durch Tänze gefeiert, bringe die wärmsten Grüße und außer diesen der Andäch-30 tigsten, Sophie, noch meinen = deinen Handdruck und ersuche sie um einen schwesterlichen Bannstrahl gegen den wetzlarisch-zögernden Buchrichter, auf dessen Gedanken ich mich schon so lange vergeblich gefreuet. -- Fr. v. Ende auf ihrer Durchreise -- nach Italien -- erzählte mir aus Schelvers Briefen die medizinische Grausamkeit,35 daß man den kranken Auth gefangen gesetzt, und die noch größere,
476. An Heinrich Voß in Heidelberg.
Baireut d. 13. Nov. 1818
Du geliebter, fortſchreibender und fortverzeihender Heinrich! Denn leider beantwort’ ich heute drei Briefe von dir auf einmal und zwar gerührt von deinem Schweigen über meines. Arbeiten und5 die kurzen Tage freſſen mir die Zeit weg, noch dazu da mein Geiſt jetzo nur tröpfelt, nicht tropft und regnet. Die Fülle und die Liebe und der Witz deiner Briefe laben mich jedesmal; ich kann dir, die Liebe ausgenommen, nichts zurück geben als ein Blätterſkelet. — Cotta hat dir doch das Morgenblatt über die S-Stürmerei ge-10 ſchickt? Der Aufſatz muß auf einmal geleſen werden; und ich denke, er ſchlägt ſich durch, am gewiſſeſten durch ſeine 12 Klaſſen oder Regeln, welche bisher Freunden und Feinden gefehlt. Der ſeltſame Schreiber darüber im Morgenblatt iſt der befreundete Prokurator Merkel in Kaſſel, der nachher mir ſeine Zuſtimmung ſelber und die15 Nachricht geſchrieben, daß Grimm allda in ſeiner Grammatik mir Unrecht geben werde. Letztes hat auch Thiersch in einem Briefe an mich gethan, deſſen leichte Widerlegung ich vor der Hand nur mündlich geſagt. — Drei Profeſſoren (hieſige Schullehrer) ſind mit mir gegen Thiersch einig. Du mußt nur das Morgenblatt im20 Zuſammenhange auf einmal leſen; dein bisheriges Schweigen iſt Irren.
d. 16. Nov.
Eben leſ’ ich Kolbens neue Auflage „über Sprachreichthum“ und finde ſie trefflich. — Du thuſt mir einen wahren Gefallen mit25 einer Anzeige des Siebenkäs im Morgenblatt. Leſen denn die Leſerinnen den Meßkatalog? Ein neues Buch wird auch leichter bekannt als ein altes mit neuen Zuſätzen. — Der reizenden Gemeinde, die meinen Apoſteltag nach griechiſcher Sitte ſo ſchön durch Tänze gefeiert, bringe die wärmſten Grüße und außer dieſen der Andäch-30 tigſten, Sophie, noch meinen = deinen Handdruck und erſuche ſie um einen ſchweſterlichen Bannſtrahl gegen den wetzlariſch-zögernden Buchrichter, auf deſſen Gedanken ich mich ſchon ſo lange vergeblich gefreuet. — Fr. v. Ende auf ihrer Durchreiſe — nach Italien — erzählte mir aus Schelvers Briefen die mediziniſche Grauſamkeit,35 daß man den kranken Auth gefangen geſetzt, und die noch größere,
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476. An Heinrich Voß in Heidelberg.
Baireut d. 13. Nov. 1818
Du geliebter, fortſchreibender und fortverzeihender Heinrich!
Denn leider beantwort’ ich heute drei Briefe von dir auf einmal und
zwar gerührt von deinem Schweigen über meines. Arbeiten und 5
die kurzen Tage freſſen mir die Zeit weg, noch dazu da mein Geiſt
jetzo nur tröpfelt, nicht tropft und regnet. Die Fülle und die Liebe
und der Witz deiner Briefe laben mich jedesmal; ich kann dir, die
Liebe ausgenommen, nichts zurück geben als ein Blätterſkelet. —
Cotta hat dir doch das Morgenblatt über die S-Stürmerei ge- 10
ſchickt? Der Aufſatz muß auf einmal geleſen werden; und ich denke,
er ſchlägt ſich durch, am gewiſſeſten durch ſeine 12 Klaſſen oder
Regeln, welche bisher Freunden und Feinden gefehlt. Der ſeltſame
Schreiber darüber im Morgenblatt iſt der befreundete Prokurator
Merkel in Kaſſel, der nachher mir ſeine Zuſtimmung ſelber und die 15
Nachricht geſchrieben, daß Grimm allda in ſeiner Grammatik mir
Unrecht geben werde. Letztes hat auch Thiersch in einem Briefe an
mich gethan, deſſen leichte Widerlegung ich vor der Hand nur
mündlich geſagt. — Drei Profeſſoren (hieſige Schullehrer) ſind
mit mir gegen Thiersch einig. Du mußt nur das Morgenblatt im 20
Zuſammenhange auf einmal leſen; dein bisheriges Schweigen iſt
Irren.
d. 16. Nov.
Eben leſ’ ich Kolbens neue Auflage „über Sprachreichthum“
und finde ſie trefflich. — Du thuſt mir einen wahren Gefallen mit 25
einer Anzeige des Siebenkäs im Morgenblatt. Leſen denn die
Leſerinnen den Meßkatalog? Ein neues Buch wird auch leichter
bekannt als ein altes mit neuen Zuſätzen. — Der reizenden Gemeinde,
die meinen Apoſteltag nach griechiſcher Sitte ſo ſchön durch Tänze
gefeiert, bringe die wärmſten Grüße und außer dieſen der Andäch- 30
tigſten, Sophie, noch meinen = deinen Handdruck und erſuche ſie
um einen ſchweſterlichen Bannſtrahl gegen den wetzlariſch-zögernden
Buchrichter, auf deſſen Gedanken ich mich ſchon ſo lange vergeblich
gefreuet. — Fr. v. Ende auf ihrer Durchreiſe — nach Italien —
erzählte mir aus Schelvers Briefen die mediziniſche Grauſamkeit, 35
daß man den kranken Auth gefangen geſetzt, und die noch größere,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/244>, abgerufen am 16.02.2025.
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