Heute hast du gewiß meinen Brief erhalten. Endlich muß ich, ohne deinen zu erwarten, die Abreise feststellen. Der Mensch braucht nicht blos Lustgetümmel, sondern Herbstruhe, Arbeit und die lieben Seinigen. Thümmel wollte mich nach Altenburg haben und mir5 seine Pferde bis Reichenbach leihen; aber nach der hiesigen Gesell- schaft schmeckt mir keine neue, sondern nur ihr. Miethe also meinen vorigen Höfer Kutscher von Strobel (oder ist der nicht zu haben, den Eisenhutischen mit seinen guten Pferden) so, daß ich nicht für Razion und Porzion zu sorgen habe, und daß er etwa den 10ten10 (Freitags) abfährt. Könnt' er nicht, so käm' es auf Einen Tag nicht an, nur aber nicht später. Löbigau liegt 1 Stunde von Ronne- burg. Sag' ihm, daß ich in dem nahen Gera (weil ich erst Nach- mittags abfahre) übernachte. Und doch wär' es möglich, daß ich am Morgen abführe nach Altenburg und da 1 Nacht bei Th[ümmel]15 bliebe. Sage dem Kutscher die verschiednen Möglichkeiten, damit er seine Preise berechnet. Erwarte also nicht ganz strenge mich an dem ersten möglichen Termin, sondern am zweiten. -- Das prophe- zeiete schöne Herbstwetter ist eingetreten. Die Liebe aller gegen mich dauert fort. Gestern war ich in Tannefeld bei den 3 Schwestern.20 Die Fürstin von Hohenzollern kommt mit nach Baireut. Welch' ein Sonntag! Um 31/4 Uhr wurde ohne Frühstück Einmal für den ganzen Tag gespeiset. Keine Konzerte haben mir noch solche volle Entzückungen gegeben als die köstlichen Bruststimmen der beiden Fürstinnen und noch einige Mädchenstimmen; sogar ein lustiges Stu-25 dentenlied wurde vom Chore gesungen; -- der alte Feuerbach sang als ein Schneider mit trefflichster Deklamazion seine Geschichte und Liebe seiner Schneiders Geliebten vor der Frau von d. Reck. Mit dieser muß ich oft eine Stunde Nachmittags spazieren. Nie dacht' ich, daß ich diese alte ehrwürdige Frau -- die vielleicht einst so schön wie30 die Herzogin war -- so lieben und ehren würde, was du aber nach- thun wirst, wenn du ihre Reise liesest, die sie mir schenkt. -- Darauf wurden drei Polonäsen mit Geschmack getanzt. Meine erste tanzt' ich mit der Frau v. d. Reck -- die zweite mit der Herzogin -- und die dritte mit der theuern Herzogin von Sagan (die leider in dieser35 Woche nach Schlesien abreiset). Die Polonäsen hatten ihre schwie- rigen Touren, man muß zuweilen eine Dame nach der andern fassen;
d. 6ten Sept. [Montag]
Heute haſt du gewiß meinen Brief erhalten. Endlich muß ich, ohne deinen zu erwarten, die Abreiſe feſtſtellen. Der Menſch braucht nicht blos Luſtgetümmel, ſondern Herbſtruhe, Arbeit und die lieben Seinigen. Thümmel wollte mich nach Altenburg haben und mir5 ſeine Pferde bis Reichenbach leihen; aber nach der hieſigen Geſell- ſchaft ſchmeckt mir keine neue, ſondern nur ihr. Miethe alſo meinen vorigen Höfer Kutſcher von Strobel (oder iſt der nicht zu haben, den Eisenhutischen mit ſeinen guten Pferden) ſo, daß ich nicht für Razion und Porzion zu ſorgen habe, und daß er etwa den 10ten10 (Freitags) abfährt. Könnt’ er nicht, ſo käm’ es auf Einen Tag nicht an, nur aber nicht ſpäter. Löbigau liegt 1 Stunde von Ronne- burg. Sag’ ihm, daß ich in dem nahen Gera (weil ich erſt Nach- mittags abfahre) übernachte. Und doch wär’ es möglich, daß ich am Morgen abführe nach Altenburg und da 1 Nacht bei Th[ümmel]15 bliebe. Sage dem Kutſcher die verſchiednen Möglichkeiten, damit er ſeine Preiſe berechnet. Erwarte alſo nicht ganz ſtrenge mich an dem erſten möglichen Termin, ſondern am zweiten. — Das prophe- zeiete ſchöne Herbſtwetter iſt eingetreten. Die Liebe aller gegen mich dauert fort. Geſtern war ich in Tannefeld bei den 3 Schweſtern.20 Die Fürſtin von Hohenzollern kommt mit nach Baireut. Welch’ ein Sonntag! Um 3¼ Uhr wurde ohne Frühſtück Einmal für den ganzen Tag geſpeiſet. Keine Konzerte haben mir noch ſolche volle Entzückungen gegeben als die köſtlichen Bruſtſtimmen der beiden Fürſtinnen und noch einige Mädchenſtimmen; ſogar ein luſtiges Stu-25 dentenlied wurde vom Chore geſungen; — der alte Feuerbach ſang als ein Schneider mit trefflichſter Deklamazion ſeine Geſchichte und Liebe ſeiner Schneiders Geliebten vor der Frau von d. Reck. Mit dieſer muß ich oft eine Stunde Nachmittags ſpazieren. Nie dacht’ ich, daß ich dieſe alte ehrwürdige Frau — die vielleicht einſt ſo ſchön wie30 die Herzogin war — ſo lieben und ehren würde, was du aber nach- thun wirſt, wenn du ihre Reiſe lieſeſt, die ſie mir ſchenkt. — Darauf wurden drei Polonäſen mit Geſchmack getanzt. Meine erſte tanzt’ ich mit der Frau v. d. Reck — die zweite mit der Herzogin — und die dritte mit der theuern Herzogin von Sagan (die leider in dieſer35 Woche nach Schleſien abreiſet). Die Polonäſen hatten ihre ſchwie- rigen Touren, man muß zuweilen eine Dame nach der andern faſſen;
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0309"n="299"/><divn="2"><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">d. 6<hirendition="#sup">ten</hi> Sept.</hi> [Montag]</hi></dateline><lb/><p>Heute haſt du gewiß meinen Brief erhalten. Endlich muß ich,<lb/>
ohne deinen zu erwarten, die Abreiſe feſtſtellen. Der Menſch braucht<lb/>
nicht blos Luſtgetümmel, ſondern Herbſtruhe, Arbeit und die lieben<lb/>
Seinigen. Thümmel wollte mich nach <hirendition="#aq">Altenburg</hi> haben und mir<lbn="5"/>ſeine Pferde bis <hirendition="#aq">Reichenbach</hi> leihen; aber nach der hieſigen Geſell-<lb/>ſchaft ſchmeckt mir keine neue, ſondern nur ihr. Miethe alſo meinen<lb/><hirendition="#g">vorigen</hi> Höfer Kutſcher von Strobel (oder iſt der nicht zu haben,<lb/>
den <hirendition="#aq">Eisenhutischen</hi> mit ſeinen guten Pferden) ſo, daß ich nicht für<lb/>
Razion und Porzion zu ſorgen habe, und daß er etwa den 10<hirendition="#sup">ten</hi><lbn="10"/>
(Freitags) abfährt. Könnt’ er nicht, ſo käm’ es auf Einen Tag<lb/>
nicht an, nur aber nicht ſpäter. <hirendition="#aq">Löbigau</hi> liegt 1 Stunde von <hirendition="#aq">Ronne-<lb/>
burg.</hi> Sag’ ihm, daß ich in dem nahen <hirendition="#aq">Gera</hi> (weil ich erſt Nach-<lb/>
mittags abfahre) übernachte. Und doch wär’ es möglich, daß ich<lb/>
am Morgen abführe nach <hirendition="#aq">Altenburg</hi> und da 1 Nacht bei <hirendition="#aq">Th[ümmel]</hi><lbn="15"/>
bliebe. Sage dem Kutſcher die verſchiednen Möglichkeiten, damit<lb/>
er ſeine Preiſe berechnet. Erwarte alſo nicht ganz ſtrenge mich an<lb/>
dem erſten möglichen Termin, ſondern am zweiten. — Das prophe-<lb/>
zeiete ſchöne Herbſtwetter iſt eingetreten. Die Liebe aller gegen<lb/>
mich dauert fort. Geſtern war ich in <hirendition="#aq">Tannefeld</hi> bei den 3 Schweſtern.<lbn="20"/>
Die Fürſtin von Hohenzollern kommt mit nach <hirendition="#aq">Baireut.</hi> Welch’<lb/>
ein Sonntag! Um 3¼ Uhr wurde ohne Frühſtück Einmal für den<lb/>
ganzen Tag geſpeiſet. Keine Konzerte haben mir noch ſolche volle<lb/>
Entzückungen gegeben als die köſtlichen Bruſtſtimmen der beiden<lb/>
Fürſtinnen und noch einige Mädchenſtimmen; ſogar ein luſtiges Stu-<lbn="25"/>
dentenlied wurde vom Chore geſungen; — der alte Feuerbach ſang<lb/>
als ein Schneider mit trefflichſter Deklamazion ſeine Geſchichte und<lb/>
Liebe ſeiner Schneiders Geliebten vor der Frau von d. Reck. Mit<lb/>
dieſer muß ich oft eine Stunde Nachmittags ſpazieren. Nie dacht’ ich,<lb/>
daß ich dieſe alte ehrwürdige Frau — die vielleicht einſt ſo ſchön wie<lbn="30"/>
die Herzogin war —ſo lieben und ehren würde, was du aber nach-<lb/>
thun wirſt, wenn du ihre Reiſe lieſeſt, die ſie mir ſchenkt. — Darauf<lb/>
wurden drei Polonäſen mit Geſchmack getanzt. Meine erſte tanzt’<lb/>
ich mit der Frau v. d. Reck — die zweite mit der Herzogin — und<lb/>
die dritte mit der theuern Herzogin von Sagan (die leider in dieſer<lbn="35"/>
Woche nach Schleſien abreiſet). Die Polonäſen hatten ihre ſchwie-<lb/>
rigen Touren, man muß zuweilen eine Dame nach der andern faſſen;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[299/0309]
d. 6ten Sept. [Montag]
Heute haſt du gewiß meinen Brief erhalten. Endlich muß ich,
ohne deinen zu erwarten, die Abreiſe feſtſtellen. Der Menſch braucht
nicht blos Luſtgetümmel, ſondern Herbſtruhe, Arbeit und die lieben
Seinigen. Thümmel wollte mich nach Altenburg haben und mir 5
ſeine Pferde bis Reichenbach leihen; aber nach der hieſigen Geſell-
ſchaft ſchmeckt mir keine neue, ſondern nur ihr. Miethe alſo meinen
vorigen Höfer Kutſcher von Strobel (oder iſt der nicht zu haben,
den Eisenhutischen mit ſeinen guten Pferden) ſo, daß ich nicht für
Razion und Porzion zu ſorgen habe, und daß er etwa den 10ten 10
(Freitags) abfährt. Könnt’ er nicht, ſo käm’ es auf Einen Tag
nicht an, nur aber nicht ſpäter. Löbigau liegt 1 Stunde von Ronne-
burg. Sag’ ihm, daß ich in dem nahen Gera (weil ich erſt Nach-
mittags abfahre) übernachte. Und doch wär’ es möglich, daß ich
am Morgen abführe nach Altenburg und da 1 Nacht bei Th[ümmel] 15
bliebe. Sage dem Kutſcher die verſchiednen Möglichkeiten, damit
er ſeine Preiſe berechnet. Erwarte alſo nicht ganz ſtrenge mich an
dem erſten möglichen Termin, ſondern am zweiten. — Das prophe-
zeiete ſchöne Herbſtwetter iſt eingetreten. Die Liebe aller gegen
mich dauert fort. Geſtern war ich in Tannefeld bei den 3 Schweſtern. 20
Die Fürſtin von Hohenzollern kommt mit nach Baireut. Welch’
ein Sonntag! Um 3¼ Uhr wurde ohne Frühſtück Einmal für den
ganzen Tag geſpeiſet. Keine Konzerte haben mir noch ſolche volle
Entzückungen gegeben als die köſtlichen Bruſtſtimmen der beiden
Fürſtinnen und noch einige Mädchenſtimmen; ſogar ein luſtiges Stu- 25
dentenlied wurde vom Chore geſungen; — der alte Feuerbach ſang
als ein Schneider mit trefflichſter Deklamazion ſeine Geſchichte und
Liebe ſeiner Schneiders Geliebten vor der Frau von d. Reck. Mit
dieſer muß ich oft eine Stunde Nachmittags ſpazieren. Nie dacht’ ich,
daß ich dieſe alte ehrwürdige Frau — die vielleicht einſt ſo ſchön wie 30
die Herzogin war — ſo lieben und ehren würde, was du aber nach-
thun wirſt, wenn du ihre Reiſe lieſeſt, die ſie mir ſchenkt. — Darauf
wurden drei Polonäſen mit Geſchmack getanzt. Meine erſte tanzt’
ich mit der Frau v. d. Reck — die zweite mit der Herzogin — und
die dritte mit der theuern Herzogin von Sagan (die leider in dieſer 35
Woche nach Schleſien abreiſet). Die Polonäſen hatten ihre ſchwie-
rigen Touren, man muß zuweilen eine Dame nach der andern faſſen;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/309>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.