Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

Bild:
<< vorherige Seite

aller Einfachheit und ein Herz der Liebe und der Jugend erquickt darin
sogar den Leser, der sich nicht mit den orientalischen Mustern befreundet
hätte. Sie brauchen nun nichts weiter zu thun, [höchstgeschätzter]
H. Graf, als fortzufahren. Verzeihen Sie nur meinen so späten Dank
für ein so schönes Geschenk.5

175. An Max Richter in Heidelberg.

Mein guter Max! Deiner verbesserten Hand kann ich nun wieder
schreiben, aber nicht fassen kann ich sie, wie ich doch hoffte; denn ich reise
in diesem Frühling nicht. Zum Reisen brauch' ich festen blauen Himmel;10
dieser wird aber wöchentlich unterbrochen werden durch Strichgewitter;
höchstens im September ist Hoffnung zur Bläue und Reise. Überhaupt
ermattet mit meiner Lebens Lust meine Reiselust; und das Schönste
aller Reisen hatt ich doch in Heidelberg zum 1ten male. Auch hab' ich
für 2 neue Auflagen und sonst so gar viel zu thun; so will ich denn mein15
Bißchen Leben lieber gar verschreiben als verreisen. Mich dauert außer
dir nur mein Heinrich und Kreuznach, das aber eben wegen seiner
2 Tagreisen, die zu meinen 4 Tagreisen stießen, mich abhält (jetzo
nämlich). Übrigens leb' ich hier, da ich Emanuel so selten sehe, fast ohne
einen -- Mann. --20

Meinem Heinrich bringe Seelengruß und Briefdank, zumal für sein
so heiteres, launiges, witziges Hochzeitprogramm an die Rothhammel.
Er sollte von solcher Schöpferkraft gedruckten und artistischen Gebrauch
machen, sag' ihm. "Säh ich ihn doch selber als Cikade mit einem Roth-
hammelchen davon laufen" schrieb mir der ihn grüßende Emanuel.25
Er verzeihe mein heutiges Schweigen, zumal da ich ihm sein gedrucktes
vergebe. -- Hegels Phänomenologie hab' ich mir selber gekauft; an
Scharfsinn ist er jetzo fast der Erste. Das Wahre such' ich bei den jetzigen
Philosophen gar nicht. -- Recht erwünscht ist mir dein Kollegium der
Kirchengeschichte bei dem braven gründlichen und trotz allem scheinbaren30
Unglauben wahrhaft glaubenden Paulus. Kirchengeschichte ist das
stärkste Gegengift alles überchristlichen berauschenden Giftes -- nimm
eine rechte Porzion davon ein, deines überladenen Magens wegen.

In Rücksicht der Duellsache hast du vergessen, daß du mir an einem
Abend an Eides statt versprochen, dich nie zu schlagen und einen Trien-35

8 Jean Paul Briefe. VIII.

aller Einfachheit und ein Herz der Liebe und der Jugend erquickt darin
ſogar den Leſer, der ſich nicht mit den orientaliſchen Muſtern befreundet
hätte. Sie brauchen nun nichts weiter zu thun, [höchſtgeſchätzter]
H. Graf, als fortzufahren. Verzeihen Sie nur meinen ſo ſpäten Dank
für ein ſo ſchönes Geſchenk.5

175. An Max Richter in Heidelberg.

Mein guter Max! Deiner verbeſſerten Hand kann ich nun wieder
ſchreiben, aber nicht faſſen kann ich ſie, wie ich doch hoffte; denn ich reiſe
in dieſem Frühling nicht. Zum Reiſen brauch’ ich feſten blauen Himmel;10
dieſer wird aber wöchentlich unterbrochen werden durch Strichgewitter;
höchſtens im September iſt Hoffnung zur Bläue und Reiſe. Überhaupt
ermattet mit meiner Lebens Luſt meine Reiſeluſt; und das Schönſte
aller Reiſen hatt ich doch in Heidelberg zum 1ten male. Auch hab’ ich
für 2 neue Auflagen und ſonſt ſo gar viel zu thun; ſo will ich denn mein15
Bißchen Leben lieber gar verſchreiben als verreiſen. Mich dauert außer
dir nur mein Heinrich und Kreuznach, das aber eben wegen ſeiner
2 Tagreiſen, die zu meinen 4 Tagreiſen ſtießen, mich abhält (jetzo
nämlich). Übrigens leb’ ich hier, da ich Emanuel ſo ſelten ſehe, faſt ohne
einen — Mann. —20

Meinem Heinrich bringe Seelengruß und Briefdank, zumal für ſein
ſo heiteres, launiges, witziges Hochzeitprogramm an die Rothhammel.
Er ſollte von ſolcher Schöpferkraft gedruckten und artiſtiſchen Gebrauch
machen, ſag’ ihm. „Säh ich ihn doch ſelber als Cikade mit einem Roth-
hammelchen davon laufen“ ſchrieb mir der ihn grüßende Emanuel.25
Er verzeihe mein heutiges Schweigen, zumal da ich ihm ſein gedrucktes
vergebe. — Hegels Phänomenologie hab’ ich mir ſelber gekauft; an
Scharfſinn iſt er jetzo faſt der Erſte. Das Wahre ſuch’ ich bei den jetzigen
Philoſophen gar nicht. — Recht erwünſcht iſt mir dein Kollegium der
Kirchengeſchichte bei dem braven gründlichen und trotz allem ſcheinbaren30
Unglauben wahrhaft glaubenden Paulus. Kirchengeſchichte iſt das
ſtärkſte Gegengift alles überchriſtlichen berauſchenden Giftes — nimm
eine rechte Porzion davon ein, deines überladenen Magens wegen.

In Rückſicht der Duellſache haſt du vergeſſen, daß du mir an einem
Abend an Eides ſtatt verſprochen, dich nie zu ſchlagen und einen Trien-35

8 Jean Paul Briefe. VIII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="113"/>
aller Einfachheit und ein Herz der Liebe und der Jugend erquickt darin<lb/>
&#x017F;ogar den Le&#x017F;er, der &#x017F;ich nicht mit den orientali&#x017F;chen Mu&#x017F;tern befreundet<lb/>
hätte. Sie brauchen nun nichts weiter zu thun, [höch&#x017F;tge&#x017F;chätzter]<lb/>
H. Graf, als fortzufahren. Verzeihen Sie nur meinen &#x017F;o &#x017F;päten Dank<lb/>
für ein &#x017F;o &#x017F;chönes Ge&#x017F;chenk.<lb n="5"/>
</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>175. An <hi rendition="#g">Max Richter in Heidelberg.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Baireut</hi> d. 10<hi rendition="#sup">ten</hi> Mai 1821</hi> </dateline><lb/>
        <p>Mein guter Max! Deiner verbe&#x017F;&#x017F;erten Hand kann ich nun wieder<lb/>
&#x017F;chreiben, aber nicht fa&#x017F;&#x017F;en kann ich &#x017F;ie, wie ich doch hoffte; denn ich rei&#x017F;e<lb/>
in die&#x017F;em Frühling nicht. Zum Rei&#x017F;en brauch&#x2019; ich fe&#x017F;ten blauen Himmel;<lb n="10"/>
die&#x017F;er wird aber wöchentlich unterbrochen werden durch Strichgewitter;<lb/>
höch&#x017F;tens im September i&#x017F;t Hoffnung zur Bläue und Rei&#x017F;e. Überhaupt<lb/>
ermattet mit meiner Lebens Lu&#x017F;t meine Rei&#x017F;elu&#x017F;t; und das Schön&#x017F;te<lb/>
aller Rei&#x017F;en hatt ich doch in <hi rendition="#aq">Heidelberg</hi> zum 1<hi rendition="#sup">ten</hi> male. Auch hab&#x2019; ich<lb/>
für 2 neue Auflagen und &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o gar viel zu thun; &#x017F;o will ich denn mein<lb n="15"/>
Bißchen Leben lieber gar ver&#x017F;chreiben als verrei&#x017F;en. Mich dauert außer<lb/>
dir nur mein <hi rendition="#aq">Heinrich</hi> und <hi rendition="#aq">Kreuznach,</hi> das aber eben wegen &#x017F;einer<lb/>
2 Tagrei&#x017F;en, die zu meinen 4 Tagrei&#x017F;en &#x017F;tießen, mich abhält (<hi rendition="#g">jetzo</hi><lb/>
nämlich). Übrigens leb&#x2019; ich hier, da ich <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> &#x017F;o &#x017F;elten &#x017F;ehe, fa&#x017F;t ohne<lb/>
einen &#x2014; Mann. &#x2014;<lb n="20"/>
</p>
        <p>Meinem <hi rendition="#aq">Heinrich</hi> bringe Seelengruß und Briefdank, zumal für &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;o heiteres, launiges, witziges Hochzeitprogramm an die <hi rendition="#aq">Rothhammel.</hi><lb/>
Er &#x017F;ollte von &#x017F;olcher Schöpferkraft gedruckten und arti&#x017F;ti&#x017F;chen Gebrauch<lb/>
machen, &#x017F;ag&#x2019; ihm. &#x201E;Säh ich ihn doch &#x017F;elber als Cikade mit einem Roth-<lb/>
hammelchen davon laufen&#x201C; &#x017F;chrieb mir der ihn grüßende <hi rendition="#aq">Emanuel.</hi><lb n="25"/>
Er verzeihe mein heutiges Schweigen, zumal da ich ihm &#x017F;ein <hi rendition="#g">gedrucktes</hi><lb/>
vergebe. &#x2014; <hi rendition="#aq">Hegels</hi> Phänomenologie hab&#x2019; ich mir &#x017F;elber gekauft; an<lb/>
Scharf&#x017F;inn i&#x017F;t er jetzo fa&#x017F;t der Er&#x017F;te. Das Wahre &#x017F;uch&#x2019; ich bei den jetzigen<lb/>
Philo&#x017F;ophen gar nicht. &#x2014; Recht erwün&#x017F;cht i&#x017F;t mir dein Kollegium der<lb/>
Kirchenge&#x017F;chichte bei dem braven gründlichen und trotz allem &#x017F;cheinbaren<lb n="30"/>
Unglauben wahrhaft glaubenden <hi rendition="#aq">Paulus.</hi> Kirchenge&#x017F;chichte i&#x017F;t das<lb/>
&#x017F;tärk&#x017F;te Gegengift alles überchri&#x017F;tlichen berau&#x017F;chenden Giftes &#x2014; nimm<lb/>
eine rechte Porzion davon ein, deines überladenen Magens wegen.</p><lb/>
        <p>In Rück&#x017F;icht der Duell&#x017F;ache ha&#x017F;t du verge&#x017F;&#x017F;en, daß du mir an einem<lb/>
Abend an Eides &#x017F;tatt ver&#x017F;prochen, dich nie zu &#x017F;chlagen und einen Trien-<lb n="35"/>
<fw place="bottom" type="sig">8 Jean Paul Briefe. <hi rendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0119] aller Einfachheit und ein Herz der Liebe und der Jugend erquickt darin ſogar den Leſer, der ſich nicht mit den orientaliſchen Muſtern befreundet hätte. Sie brauchen nun nichts weiter zu thun, [höchſtgeſchätzter] H. Graf, als fortzufahren. Verzeihen Sie nur meinen ſo ſpäten Dank für ein ſo ſchönes Geſchenk. 5 175. An Max Richter in Heidelberg. Baireut d. 10ten Mai 1821 Mein guter Max! Deiner verbeſſerten Hand kann ich nun wieder ſchreiben, aber nicht faſſen kann ich ſie, wie ich doch hoffte; denn ich reiſe in dieſem Frühling nicht. Zum Reiſen brauch’ ich feſten blauen Himmel; 10 dieſer wird aber wöchentlich unterbrochen werden durch Strichgewitter; höchſtens im September iſt Hoffnung zur Bläue und Reiſe. Überhaupt ermattet mit meiner Lebens Luſt meine Reiſeluſt; und das Schönſte aller Reiſen hatt ich doch in Heidelberg zum 1ten male. Auch hab’ ich für 2 neue Auflagen und ſonſt ſo gar viel zu thun; ſo will ich denn mein 15 Bißchen Leben lieber gar verſchreiben als verreiſen. Mich dauert außer dir nur mein Heinrich und Kreuznach, das aber eben wegen ſeiner 2 Tagreiſen, die zu meinen 4 Tagreiſen ſtießen, mich abhält (jetzo nämlich). Übrigens leb’ ich hier, da ich Emanuel ſo ſelten ſehe, faſt ohne einen — Mann. — 20 Meinem Heinrich bringe Seelengruß und Briefdank, zumal für ſein ſo heiteres, launiges, witziges Hochzeitprogramm an die Rothhammel. Er ſollte von ſolcher Schöpferkraft gedruckten und artiſtiſchen Gebrauch machen, ſag’ ihm. „Säh ich ihn doch ſelber als Cikade mit einem Roth- hammelchen davon laufen“ ſchrieb mir der ihn grüßende Emanuel. 25 Er verzeihe mein heutiges Schweigen, zumal da ich ihm ſein gedrucktes vergebe. — Hegels Phänomenologie hab’ ich mir ſelber gekauft; an Scharfſinn iſt er jetzo faſt der Erſte. Das Wahre ſuch’ ich bei den jetzigen Philoſophen gar nicht. — Recht erwünſcht iſt mir dein Kollegium der Kirchengeſchichte bei dem braven gründlichen und trotz allem ſcheinbaren 30 Unglauben wahrhaft glaubenden Paulus. Kirchengeſchichte iſt das ſtärkſte Gegengift alles überchriſtlichen berauſchenden Giftes — nimm eine rechte Porzion davon ein, deines überladenen Magens wegen. In Rückſicht der Duellſache haſt du vergeſſen, daß du mir an einem Abend an Eides ſtatt verſprochen, dich nie zu ſchlagen und einen Trien- 35 8 Jean Paul Briefe. VIII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/119
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/119>, abgerufen am 21.11.2024.