da sang Minona das Göthesche Italienlied mit so vollen, reinen, aber gedämpften Flötentönen, daß ich eine 1/2 Stunde lang meine Rührung zu bekämpfen hatte. Immer voll Kopf- oder Zahnschmerzen *) bleibt sie doch heiter und geschäftig. -- Graf Nostitz soll (ich sah ihn noch5 nicht) Baireut sehr schön und dich, Zu-Fleißige, malend gefunden haben. -- Hier sind meist schöne und doch nicht zu heiße Tage, und ich werde den Sommerrock mir ersparen können. --
1ten Pfingsttag [26. Mai]
Ich kann deine Briefe immer kaum erwarten, da sie mir ja von10 3 Geliebten berichten, dir aber meiner nur von 1 Menschen. Morgen Mittags, wo einer kommen muß, will ich mehr nachtragen über die Abreise. Dresden hab' ich nun ziemlich ausgenossen und ich sehne mich in mein Haus und nach meinen Arbeiten und Gärten, was alles hier fehlt. Kraft und Feuer ist hier wenig, -- wenn ich Menschen wie Tieck,15 bei dem ich gestern gegessen, ausnehme -- kein Muth zur Sprache oder gar Satire über Staatverfassung. Ferner hab' ich das Unglück, immer 10, 15 auf einmal zu hören, so wie Frauen in ganzen Herden zu sprechen, wenn ich abgelebte Dichterinnen ausnehme. -- Im Stern wurde mir ein Pickenick von Ammon und Schütz gegeben. Kalkreich[!], Kind,20 Theodor Hell, Wolke, Tieck, Malsburg, Raden, Maria Weber (der geniale Komponist des Freischützen), Roos, und noch mehre Dichter waren dabei. Die seltensten Weine schwemmten alles zu einem Freuden- und Freundschaft-Chaos zusammen; und ich mußte wirklich von so vieler die Nebenbuhlerschaft aufopfernden Liebe hingerissen werden.25 Hinterher kamen noch Kranz und Gedicht. Heute sollt ich vielen davon noch einen ganzen Tag zu einer Wasserfarth hergeben; aber einen ganzen kann ich nicht ohne alle Einsamkeit hinbringen. So werd' ich auch einer Pohlin Feldhousen, deren Mann ankommt, die Fahrt nach der berühmten sächsischen Schweiz abschlagen. -- Im mir schlecht30 geschilderten Theater war ich noch nicht. -- Heute will ich zum zweiten mal die Kirchenmusik hören, ob mir gleich der Anblick der Messe viel versäuert. -- Die 3 Fürstinnen sind wieder entflogen. -- Ergriffen und
*) Am 1 Pfingsttage kam sie wie wahnsinnig vor Zahnschmerz mit der Magd Nachts zu mir, als ich schon schlief; und zum Glück magnetisierte ich ihr im Freien,35 einen ruhigen Schlaf bis morgens 8 Uhr ein.
12*
Sonnabends
da ſang Minona das Götheſche Italienlied mit ſo vollen, reinen, aber gedämpften Flötentönen, daß ich eine ½ Stunde lang meine Rührung zu bekämpfen hatte. Immer voll Kopf- oder Zahnſchmerzen *) bleibt ſie doch heiter und geſchäftig. — Graf Noſtitz ſoll (ich ſah ihn noch5 nicht) Baireut ſehr ſchön und dich, Zu-Fleißige, malend gefunden haben. — Hier ſind meiſt ſchöne und doch nicht zu heiße Tage, und ich werde den Sommerrock mir erſparen können. —
1ten Pfingſttag [26. Mai]
Ich kann deine Briefe immer kaum erwarten, da ſie mir ja von10 3 Geliebten berichten, dir aber meiner nur von 1 Menſchen. Morgen Mittags, wo einer kommen muß, will ich mehr nachtragen über die Abreiſe. Dresden hab’ ich nun ziemlich ausgenoſſen und ich ſehne mich in mein Haus und nach meinen Arbeiten und Gärten, was alles hier fehlt. Kraft und Feuer iſt hier wenig, — wenn ich Menſchen wie Tieck,15 bei dem ich geſtern gegeſſen, ausnehme — kein Muth zur Sprache oder gar Satire über Staatverfaſſung. Ferner hab’ ich das Unglück, immer 10, 15 auf einmal zu hören, ſo wie Frauen in ganzen Herden zu ſprechen, wenn ich abgelebte Dichterinnen ausnehme. — Im Stern wurde mir ein Pickenick von Ammon und Schütz gegeben. Kalkreich[!], Kind,20 Theodor Hell, Wolke, Tieck, Malsburg, Raden, Maria Weber (der geniale Komponiſt des Freiſchützen), Roos, und noch mehre Dichter waren dabei. Die ſeltenſten Weine ſchwemmten alles zu einem Freuden- und Freundſchaft-Chaos zuſammen; und ich mußte wirklich von ſo vieler die Nebenbuhlerſchaft aufopfernden Liebe hingeriſſen werden.25 Hinterher kamen noch Kranz und Gedicht. Heute ſollt ich vielen davon noch einen ganzen Tag zu einer Waſſerfarth hergeben; aber einen ganzen kann ich nicht ohne alle Einſamkeit hinbringen. So werd’ ich auch einer Pohlin Feldhousen, deren Mann ankommt, die Fahrt nach der berühmten ſächſiſchen Schweiz abſchlagen. — Im mir ſchlecht30 geſchilderten Theater war ich noch nicht. — Heute will ich zum zweiten mal die Kirchenmuſik hören, ob mir gleich der Anblick der Meſſe viel verſäuert. — Die 3 Fürſtinnen ſind wieder entflogen. — Ergriffen und
*) Am 1 Pfingſttage kam ſie wie wahnſinnig vor Zahnſchmerz mit der Magd Nachts zu mir, als ich ſchon ſchlief; und zum Glück magnetiſierte ich ihr im Freien,35 einen ruhigen Schlaf bis morgens 8 Uhr ein.
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Sonnabends
da ſang Minona das Götheſche Italienlied mit ſo vollen, reinen, aber
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zu bekämpfen hatte. Immer voll Kopf- oder Zahnſchmerzen *) bleibt
ſie doch heiter und geſchäftig. — Graf Noſtitz ſoll (ich ſah ihn noch 5
nicht) Baireut ſehr ſchön und dich, Zu-Fleißige, malend gefunden haben.
— Hier ſind meiſt ſchöne und doch nicht zu heiße Tage, und ich werde
den Sommerrock mir erſparen können. —
1ten Pfingſttag [26. Mai]
Ich kann deine Briefe immer kaum erwarten, da ſie mir ja von 10
3 Geliebten berichten, dir aber meiner nur von 1 Menſchen. Morgen
Mittags, wo einer kommen muß, will ich mehr nachtragen über die
Abreiſe. Dresden hab’ ich nun ziemlich ausgenoſſen und ich ſehne mich
in mein Haus und nach meinen Arbeiten und Gärten, was alles hier
fehlt. Kraft und Feuer iſt hier wenig, — wenn ich Menſchen wie Tieck, 15
bei dem ich geſtern gegeſſen, ausnehme — kein Muth zur Sprache oder
gar Satire über Staatverfaſſung. Ferner hab’ ich das Unglück, immer
10, 15 auf einmal zu hören, ſo wie Frauen in ganzen Herden zu ſprechen,
wenn ich abgelebte Dichterinnen ausnehme. — Im Stern wurde mir
ein Pickenick von Ammon und Schütz gegeben. Kalkreich[!], Kind, 20
Theodor Hell, Wolke, Tieck, Malsburg, Raden, Maria Weber (der
geniale Komponiſt des Freiſchützen), Roos, und noch mehre Dichter
waren dabei. Die ſeltenſten Weine ſchwemmten alles zu einem Freuden-
und Freundſchaft-Chaos zuſammen; und ich mußte wirklich von ſo
vieler die Nebenbuhlerſchaft aufopfernden Liebe hingeriſſen werden. 25
Hinterher kamen noch Kranz und Gedicht. Heute ſollt ich vielen davon
noch einen ganzen Tag zu einer Waſſerfarth hergeben; aber einen
ganzen kann ich nicht ohne alle Einſamkeit hinbringen. So werd’ ich
auch einer Pohlin Feldhousen, deren Mann ankommt, die Fahrt nach
der berühmten ſächſiſchen Schweiz abſchlagen. — Im mir ſchlecht 30
geſchilderten Theater war ich noch nicht. — Heute will ich zum zweiten
mal die Kirchenmuſik hören, ob mir gleich der Anblick der Meſſe viel
verſäuert. — Die 3 Fürſtinnen ſind wieder entflogen. — Ergriffen und
*) Am 1 Pfingſttage kam ſie wie wahnſinnig vor Zahnſchmerz mit der Magd
Nachts zu mir, als ich ſchon ſchlief; und zum Glück magnetiſierte ich ihr im Freien, 35
einen ruhigen Schlaf bis morgens 8 Uhr ein.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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