Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Das Charakteristische der römischen Kosmogonie. §. 8. Gewöhnlich liebt es die Sage, die Bildungen einer relativ Dies ist also ein Grundzug der römischen Anschauung: Rom 7) Ein interessantes Seitenstück zu dem folgenden giebt uns auch der
religiöse Mythus in seiner Sage von der Entwendung der Kühe des Herkules (Liv. I. c. 7). Es ist dies nichts, als die indische Sage von den Kühen des Indras, und der in letzterer vorkommende Sarameyas der griechische Ermeias, Ermes, wie Kuhn in der Zeitschrift für deutsches Alterthum von Haupt B. 6 S. 118 u. f. trefflich nachgewiesen hat, aber Griechen wie Römer verlegen jene Sage, mit der Kuhn auch die altgermanische Mythologie in Beziehung gesetzt hat, nach ihrer eignen Heimath. Die vergleichende Mythologie der indogermanischen Völker wird gewiß noch in einer Menge von religiösen My- then und Gebräuchen die ursprüngliche Gemeinsamkeit jener Völker nachwei- sen, die letztern selbst so sehr entschwand, daß sie jenes gemeinsame Besitz- thum als etwas ihnen ganz eigenthümliches betrachteten und es in ihren Tra- ditionen daheim entstehen ließen. Das Charakteriſtiſche der römiſchen Kosmogonie. §. 8. Gewöhnlich liebt es die Sage, die Bildungen einer relativ Dies iſt alſo ein Grundzug der römiſchen Anſchauung: Rom 7) Ein intereſſantes Seitenſtück zu dem folgenden giebt uns auch der
religiöſe Mythus in ſeiner Sage von der Entwendung der Kühe des Herkules (Liv. I. c. 7). Es iſt dies nichts, als die indiſche Sage von den Kühen des Indras, und der in letzterer vorkommende Sarameyas der griechiſche Ἑϱμείας, Ἑϱμῆς, wie Kuhn in der Zeitſchrift für deutſches Alterthum von Haupt B. 6 S. 118 u. f. trefflich nachgewieſen hat, aber Griechen wie Römer verlegen jene Sage, mit der Kuhn auch die altgermaniſche Mythologie in Beziehung geſetzt hat, nach ihrer eignen Heimath. Die vergleichende Mythologie der indogermaniſchen Völker wird gewiß noch in einer Menge von religiöſen My- then und Gebräuchen die urſprüngliche Gemeinſamkeit jener Völker nachwei- ſen, die letztern ſelbſt ſo ſehr entſchwand, daß ſie jenes gemeinſame Beſitz- thum als etwas ihnen ganz eigenthümliches betrachteten und es in ihren Tra- ditionen daheim entſtehen ließen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0111" n="93"/> <fw place="top" type="header">Das Charakteriſtiſche der römiſchen Kosmogonie. §. 8.</fw><lb/> <p>Gewöhnlich liebt es die Sage, die Bildungen einer relativ<lb/> ſpätern Zeit in eine weite Ferne, in eine dunkle, ungekannte<lb/> Vorzeit zu verlegen, das Menſchenwerk und natürliche Erzeug-<lb/> niß einheimiſcher Geſchichte als das Geſchenk der Götter hinzu-<lb/> ſtellen und die älteſte Zeit als das goldne Zeitalter zu bezeich-<lb/> nen, in dem die Götter ſelbſt unter den Menſchen wandelten.<lb/> Aber von alle dem findet ſich in der römiſchen Sage nichts.<lb/> Rom ſelbſt hat keine Vorzeit gehabt, die der Sage als myſti-<lb/> ſcher Hintergrund diente, Rom bildet den Rahmen, der die<lb/> ganze römiſche Welt einſchließt. <note place="foot" n="7)">Ein intereſſantes Seitenſtück zu dem folgenden giebt uns auch der<lb/> religiöſe Mythus in ſeiner Sage von der Entwendung der Kühe des Herkules<lb/> (<hi rendition="#aq">Liv. I. c. 7</hi>). Es iſt dies nichts, als die indiſche Sage von den Kühen des<lb/> Indras, und der in letzterer vorkommende <hi rendition="#aq">Sarameyas</hi> der griechiſche Ἑϱμείας,<lb/> Ἑϱμῆς, wie Kuhn in der Zeitſchrift für deutſches Alterthum von Haupt B. 6<lb/> S. 118 u. f. trefflich nachgewieſen hat, aber Griechen wie Römer verlegen<lb/> jene Sage, mit der Kuhn auch die altgermaniſche Mythologie in Beziehung<lb/> geſetzt hat, nach ihrer eignen Heimath. Die vergleichende Mythologie der<lb/> indogermaniſchen Völker wird gewiß noch in einer Menge von religiöſen My-<lb/> then und Gebräuchen die urſprüngliche Gemeinſamkeit jener Völker nachwei-<lb/> ſen, die letztern ſelbſt ſo ſehr entſchwand, daß ſie jenes gemeinſame Beſitz-<lb/> thum als etwas ihnen ganz eigenthümliches betrachteten und es in ihren Tra-<lb/> ditionen <hi rendition="#g">daheim</hi> entſtehen ließen.</note> Alles, was Rom iſt, erwirbt<lb/> und leiſtet, verdankt es ſich ſelbſt und ſeiner Kraft; alles wird<lb/> gemacht und organiſirt, in allem iſt Planmäßigkeit, Abſicht,<lb/> Berechnung. Nichts bildet ſich von ſelbſt, nicht einmal die Gen-<lb/> tes, die doch das unmittelbarſte Produkt des natürlichen Wachs-<lb/> thums der Familien ſind, nicht das Recht, das doch größten-<lb/> theils aus der Sitte hervorgeht. Nichts wird von außen ent-<lb/> lehnt mit Ausnahme des Völkerrechts; Staat, Recht, Religion,<lb/> alles producirt Rom aus ſich heraus.</p><lb/> <p>Dies iſt alſo ein Grundzug der römiſchen Anſchauung: Rom<lb/> hat nichts von außen entlehnt, und was in Rom ſich gebildet<lb/> hat, das verdankt Rom ſich ſelbſt und iſt mit <hi rendition="#g">Bewußtſein</hi><lb/> und Abſicht eingerichtet.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0111]
Das Charakteriſtiſche der römiſchen Kosmogonie. §. 8.
Gewöhnlich liebt es die Sage, die Bildungen einer relativ
ſpätern Zeit in eine weite Ferne, in eine dunkle, ungekannte
Vorzeit zu verlegen, das Menſchenwerk und natürliche Erzeug-
niß einheimiſcher Geſchichte als das Geſchenk der Götter hinzu-
ſtellen und die älteſte Zeit als das goldne Zeitalter zu bezeich-
nen, in dem die Götter ſelbſt unter den Menſchen wandelten.
Aber von alle dem findet ſich in der römiſchen Sage nichts.
Rom ſelbſt hat keine Vorzeit gehabt, die der Sage als myſti-
ſcher Hintergrund diente, Rom bildet den Rahmen, der die
ganze römiſche Welt einſchließt. 7) Alles, was Rom iſt, erwirbt
und leiſtet, verdankt es ſich ſelbſt und ſeiner Kraft; alles wird
gemacht und organiſirt, in allem iſt Planmäßigkeit, Abſicht,
Berechnung. Nichts bildet ſich von ſelbſt, nicht einmal die Gen-
tes, die doch das unmittelbarſte Produkt des natürlichen Wachs-
thums der Familien ſind, nicht das Recht, das doch größten-
theils aus der Sitte hervorgeht. Nichts wird von außen ent-
lehnt mit Ausnahme des Völkerrechts; Staat, Recht, Religion,
alles producirt Rom aus ſich heraus.
Dies iſt alſo ein Grundzug der römiſchen Anſchauung: Rom
hat nichts von außen entlehnt, und was in Rom ſich gebildet
hat, das verdankt Rom ſich ſelbſt und iſt mit Bewußtſein
und Abſicht eingerichtet.
7) Ein intereſſantes Seitenſtück zu dem folgenden giebt uns auch der
religiöſe Mythus in ſeiner Sage von der Entwendung der Kühe des Herkules
(Liv. I. c. 7). Es iſt dies nichts, als die indiſche Sage von den Kühen des
Indras, und der in letzterer vorkommende Sarameyas der griechiſche Ἑϱμείας,
Ἑϱμῆς, wie Kuhn in der Zeitſchrift für deutſches Alterthum von Haupt B. 6
S. 118 u. f. trefflich nachgewieſen hat, aber Griechen wie Römer verlegen
jene Sage, mit der Kuhn auch die altgermaniſche Mythologie in Beziehung
geſetzt hat, nach ihrer eignen Heimath. Die vergleichende Mythologie der
indogermaniſchen Völker wird gewiß noch in einer Menge von religiöſen My-
then und Gebräuchen die urſprüngliche Gemeinſamkeit jener Völker nachwei-
ſen, die letztern ſelbſt ſo ſehr entſchwand, daß ſie jenes gemeinſame Beſitz-
thum als etwas ihnen ganz eigenthümliches betrachteten und es in ihren Tra-
ditionen daheim entſtehen ließen.
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