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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
Armuth doch reich an Ausdrücken, die ursprünglich diese Be-
deutung gehabt haben. Emere heißt im spätern Latein kaufen,
aber wo die Römer der spätern Zeit kauften, pflegten ihre Vor-
fahren zu nehmen; emere hieß bei ihnen nichts als nehmen. 12)
Rapere (das deutsche rauben, gothisch raubon) hat im spätern
Latein die deutsche Bedeutung, und rapina erscheint hier als
Delikt, allein in alter Zeit kannte man ein eignes Delikt des
Raubes nicht, 13) und rapere hieß nichts als reißen, gewaltsam
an sich ziehen, ohne daß die Sprache die Nüancirung des Uner-
laubten hineingelegt hätte. Ebensowenig unterscheidet die Sprache
zwischen dem Fall, wo man mühelos eine herrenlose Sache zu
sich nimmt, und dem, wo man sie erbeutet; beides heißt occu-
pare
. Von diesen drei Stammwörtern emere, capere und ra-
pere,
hat die lateinische Sprache einen großen Reichthum ab-
geleiteter und zusammengesetzter gebildet, deren Bedeutungen
späterhin weit auseinander fallen sowie die jener drei Wörter
selbst; aber um so bezeichnender ist die ursprüngliche Identität
aller dieser Bedeutungen in dem Begriffe des Nehmens.

Der Hauptfall der gewaltsamen Aneignung war der der
kriegerischen Erbeutung, letztere ward, wie Gajus uns berich-
tet, 14) als die beste Erwerbsart des Eigenthums angesehn,
maxime enim, sagt er, sua esse credebant, quae ex hostibus
cepissent.
Raub vom Feinde hat von jeher bei allen jugend-
lichen, kriegerischen Völkern als ehrenvoller Erwerb gegolten;
so war z. B. nach altgriechischer und altnordischer Ansicht See-
raub ein anständiges Gewerbe, aber den Handel verachtete man,
denn mit ihm verträgt sich Feigheit und Betrug, wie ja Mercur

12) Festus sub voc. Abemito significat demito vel auferto; emere
enim antiqui dicebant pro accipere;
ebenso sub voc. Redemptores. S.
auch Pott a. a. O. B. 1 S. 261. Die ursprüngliche Bedeutung hat sich noch
in Zusammensetzungen erhalten z. B. adimere (ad-emere), zu sich nehmen.
13) Raub fiel unter den Begriff des Diebstahls, nämlich des furtum
manifestum.
14) Gaj. IV. §. 16.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Armuth doch reich an Ausdrücken, die urſprünglich dieſe Be-
deutung gehabt haben. Emere heißt im ſpätern Latein kaufen,
aber wo die Römer der ſpätern Zeit kauften, pflegten ihre Vor-
fahren zu nehmen; emere hieß bei ihnen nichts als nehmen. 12)
Rapere (das deutſche rauben, gothiſch raubon) hat im ſpätern
Latein die deutſche Bedeutung, und rapina erſcheint hier als
Delikt, allein in alter Zeit kannte man ein eignes Delikt des
Raubes nicht, 13) und rapere hieß nichts als reißen, gewaltſam
an ſich ziehen, ohne daß die Sprache die Nüancirung des Uner-
laubten hineingelegt hätte. Ebenſowenig unterſcheidet die Sprache
zwiſchen dem Fall, wo man mühelos eine herrenloſe Sache zu
ſich nimmt, und dem, wo man ſie erbeutet; beides heißt occu-
pare
. Von dieſen drei Stammwörtern emere, capere und ra-
pere,
hat die lateiniſche Sprache einen großen Reichthum ab-
geleiteter und zuſammengeſetzter gebildet, deren Bedeutungen
ſpäterhin weit auseinander fallen ſowie die jener drei Wörter
ſelbſt; aber um ſo bezeichnender iſt die urſprüngliche Identität
aller dieſer Bedeutungen in dem Begriffe des Nehmens.

Der Hauptfall der gewaltſamen Aneignung war der der
kriegeriſchen Erbeutung, letztere ward, wie Gajus uns berich-
tet, 14) als die beſte Erwerbsart des Eigenthums angeſehn,
maxime enim, ſagt er, sua esse credebant, quae ex hostibus
cepissent.
Raub vom Feinde hat von jeher bei allen jugend-
lichen, kriegeriſchen Völkern als ehrenvoller Erwerb gegolten;
ſo war z. B. nach altgriechiſcher und altnordiſcher Anſicht See-
raub ein anſtändiges Gewerbe, aber den Handel verachtete man,
denn mit ihm verträgt ſich Feigheit und Betrug, wie ja Mercur

12) Festus sub voc. Abemito significat demito vel auferto; emere
enim antiqui dicebant pro accipere;
ebenſo sub voc. Redemptores. S.
auch Pott a. a. O. B. 1 S. 261. Die urſprüngliche Bedeutung hat ſich noch
in Zuſammenſetzungen erhalten z. B. adimere (ad-emere), zu ſich nehmen.
13) Raub fiel unter den Begriff des Diebſtahls, nämlich des furtum
manifestum.
14) Gaj. IV. §. 16.
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[108/0126] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. Armuth doch reich an Ausdrücken, die urſprünglich dieſe Be- deutung gehabt haben. Emere heißt im ſpätern Latein kaufen, aber wo die Römer der ſpätern Zeit kauften, pflegten ihre Vor- fahren zu nehmen; emere hieß bei ihnen nichts als nehmen. 12) Rapere (das deutſche rauben, gothiſch raubon) hat im ſpätern Latein die deutſche Bedeutung, und rapina erſcheint hier als Delikt, allein in alter Zeit kannte man ein eignes Delikt des Raubes nicht, 13) und rapere hieß nichts als reißen, gewaltſam an ſich ziehen, ohne daß die Sprache die Nüancirung des Uner- laubten hineingelegt hätte. Ebenſowenig unterſcheidet die Sprache zwiſchen dem Fall, wo man mühelos eine herrenloſe Sache zu ſich nimmt, und dem, wo man ſie erbeutet; beides heißt occu- pare. Von dieſen drei Stammwörtern emere, capere und ra- pere, hat die lateiniſche Sprache einen großen Reichthum ab- geleiteter und zuſammengeſetzter gebildet, deren Bedeutungen ſpäterhin weit auseinander fallen ſowie die jener drei Wörter ſelbſt; aber um ſo bezeichnender iſt die urſprüngliche Identität aller dieſer Bedeutungen in dem Begriffe des Nehmens. Der Hauptfall der gewaltſamen Aneignung war der der kriegeriſchen Erbeutung, letztere ward, wie Gajus uns berich- tet, 14) als die beſte Erwerbsart des Eigenthums angeſehn, maxime enim, ſagt er, sua esse credebant, quae ex hostibus cepissent. Raub vom Feinde hat von jeher bei allen jugend- lichen, kriegeriſchen Völkern als ehrenvoller Erwerb gegolten; ſo war z. B. nach altgriechiſcher und altnordiſcher Anſicht See- raub ein anſtändiges Gewerbe, aber den Handel verachtete man, denn mit ihm verträgt ſich Feigheit und Betrug, wie ja Mercur 12) Festus sub voc. Abemito significat demito vel auferto; emere enim antiqui dicebant pro accipere; ebenſo sub voc. Redemptores. S. auch Pott a. a. O. B. 1 S. 261. Die urſprüngliche Bedeutung hat ſich noch in Zuſammenſetzungen erhalten z. B. adimere (ad-emere), zu ſich nehmen. 13) Raub fiel unter den Begriff des Diebſtahls, nämlich des furtum manifestum. 14) Gaj. IV. §. 16.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/126>, abgerufen am 21.11.2024.