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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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I. Prinzip d. subj. Willens -- System d. Selbsthülfe -- testari. §. 11.
sein -- sodann aber von Seiten des hier zur Behandlung stehen-
den subjektiven Prinzips als durch das eigne Interesse des Testa-
tors selbst geboten. Wenn irgendwo, so empfahl es sich gerade
beim Testament als besonders zweckmäßig, das Geschäft statt
unter die Garantie bloßer Privatzeugen unter die des ganzen
Volks zu stellen. Denn das Testament griff mehr als irgend ein
anderes Geschäft in eine Menge von Interessen verletzend ein,
Interessen nicht bloß einzelner Privatpersonen, sondern ganzer
Gentes, traf also auf einen unvergleichlich mächtigeren Wider-
stand, als irgend ein anderes Geschäft. Sodann steht es aber
darin einzig in seiner Art, daß es erst nach dem Tode des Dis-
ponenten zur Ausführung kommen kann, daß in ihm also nur
der ehemalige Wille eines jetzt Willenlosen vorliegt, der
Wille hier den Anspruch erhebt, über sein natürliches Ziel hin-
aus bindende Kraft auszuüben. So wenig wir heutzutage da-
ran Anstoß nehmen, so wenig dies die Römer selbst später ge-
than haben, so ist doch die Testirfreiheit ursprünglich auch ihnen
gewiß nichts weniger als natürlich erschienen. Manche Völker
haben sich nie zu diesem Gedanken erheben können, sind viel-
mehr im wesentlichen immer bei der Intestaterbfolge stehen ge-
blieben; sollte die Rechtsanschauung der ältesten Römer so ab-
norm organisirt gewesen sein, daß ihnen gleich von vornherein
als natürlich erschienen wäre, was sich jenen Völkern für immer
entzog? Nein, gerade die Anschauung, mit der wir uns hier be-
schäftigen, jener Einfluß des physischen Moments im Recht macht
es mehr als wahrscheinlich, daß auch die Römer ursprünglich
die Erstreckung des subjektiven Willens über die physische Exi-
stenz der Person hinaus als etwas exorbitantes betrachteten,
als etwas nicht schon an sich im subjektiven Recht liegendes.
Da nun aber dennoch, wie wir in §. 14 sehen werden, ge-
rade die schroffe Consequenz des römischen Familienprinzips
das Bedürfniß letztwilliger Dispositionen hervorrief, den Rö-
mern die Testamente aufzwang, so lag es am nächsten,
Streitigkeiten über die Wirksamkeit eines bloß vor Privatgaran-

I. Prinzip d. ſubj. Willens — Syſtem d. Selbſthülfe — testari. §. 11.
ſein — ſodann aber von Seiten des hier zur Behandlung ſtehen-
den ſubjektiven Prinzips als durch das eigne Intereſſe des Teſta-
tors ſelbſt geboten. Wenn irgendwo, ſo empfahl es ſich gerade
beim Teſtament als beſonders zweckmäßig, das Geſchäft ſtatt
unter die Garantie bloßer Privatzeugen unter die des ganzen
Volks zu ſtellen. Denn das Teſtament griff mehr als irgend ein
anderes Geſchäft in eine Menge von Intereſſen verletzend ein,
Intereſſen nicht bloß einzelner Privatperſonen, ſondern ganzer
Gentes, traf alſo auf einen unvergleichlich mächtigeren Wider-
ſtand, als irgend ein anderes Geſchäft. Sodann ſteht es aber
darin einzig in ſeiner Art, daß es erſt nach dem Tode des Dis-
ponenten zur Ausführung kommen kann, daß in ihm alſo nur
der ehemalige Wille eines jetzt Willenloſen vorliegt, der
Wille hier den Anſpruch erhebt, über ſein natürliches Ziel hin-
aus bindende Kraft auszuüben. So wenig wir heutzutage da-
ran Anſtoß nehmen, ſo wenig dies die Römer ſelbſt ſpäter ge-
than haben, ſo iſt doch die Teſtirfreiheit urſprünglich auch ihnen
gewiß nichts weniger als natürlich erſchienen. Manche Völker
haben ſich nie zu dieſem Gedanken erheben können, ſind viel-
mehr im weſentlichen immer bei der Inteſtaterbfolge ſtehen ge-
blieben; ſollte die Rechtsanſchauung der älteſten Römer ſo ab-
norm organiſirt geweſen ſein, daß ihnen gleich von vornherein
als natürlich erſchienen wäre, was ſich jenen Völkern für immer
entzog? Nein, gerade die Anſchauung, mit der wir uns hier be-
ſchäftigen, jener Einfluß des phyſiſchen Moments im Recht macht
es mehr als wahrſcheinlich, daß auch die Römer urſprünglich
die Erſtreckung des ſubjektiven Willens über die phyſiſche Exi-
ſtenz der Perſon hinaus als etwas exorbitantes betrachteten,
als etwas nicht ſchon an ſich im ſubjektiven Recht liegendes.
Da nun aber dennoch, wie wir in §. 14 ſehen werden, ge-
rade die ſchroffe Conſequenz des römiſchen Familienprinzips
das Bedürfniß letztwilliger Dispoſitionen hervorrief, den Rö-
mern die Teſtamente aufzwang, ſo lag es am nächſten,
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[139/0157] I. Prinzip d. ſubj. Willens — Syſtem d. Selbſthülfe — testari. §. 11. ſein — ſodann aber von Seiten des hier zur Behandlung ſtehen- den ſubjektiven Prinzips als durch das eigne Intereſſe des Teſta- tors ſelbſt geboten. Wenn irgendwo, ſo empfahl es ſich gerade beim Teſtament als beſonders zweckmäßig, das Geſchäft ſtatt unter die Garantie bloßer Privatzeugen unter die des ganzen Volks zu ſtellen. Denn das Teſtament griff mehr als irgend ein anderes Geſchäft in eine Menge von Intereſſen verletzend ein, Intereſſen nicht bloß einzelner Privatperſonen, ſondern ganzer Gentes, traf alſo auf einen unvergleichlich mächtigeren Wider- ſtand, als irgend ein anderes Geſchäft. Sodann ſteht es aber darin einzig in ſeiner Art, daß es erſt nach dem Tode des Dis- ponenten zur Ausführung kommen kann, daß in ihm alſo nur der ehemalige Wille eines jetzt Willenloſen vorliegt, der Wille hier den Anſpruch erhebt, über ſein natürliches Ziel hin- aus bindende Kraft auszuüben. So wenig wir heutzutage da- ran Anſtoß nehmen, ſo wenig dies die Römer ſelbſt ſpäter ge- than haben, ſo iſt doch die Teſtirfreiheit urſprünglich auch ihnen gewiß nichts weniger als natürlich erſchienen. Manche Völker haben ſich nie zu dieſem Gedanken erheben können, ſind viel- mehr im weſentlichen immer bei der Inteſtaterbfolge ſtehen ge- blieben; ſollte die Rechtsanſchauung der älteſten Römer ſo ab- norm organiſirt geweſen ſein, daß ihnen gleich von vornherein als natürlich erſchienen wäre, was ſich jenen Völkern für immer entzog? Nein, gerade die Anſchauung, mit der wir uns hier be- ſchäftigen, jener Einfluß des phyſiſchen Moments im Recht macht es mehr als wahrſcheinlich, daß auch die Römer urſprünglich die Erſtreckung des ſubjektiven Willens über die phyſiſche Exi- ſtenz der Perſon hinaus als etwas exorbitantes betrachteten, als etwas nicht ſchon an ſich im ſubjektiven Recht liegendes. Da nun aber dennoch, wie wir in §. 14 ſehen werden, ge- rade die ſchroffe Conſequenz des römiſchen Familienprinzips das Bedürfniß letztwilliger Dispoſitionen hervorrief, den Rö- mern die Teſtamente aufzwang, ſo lag es am nächſten, Streitigkeiten über die Wirkſamkeit eines bloß vor Privatgaran-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/157>, abgerufen am 23.11.2024.