Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung. §. 22.
leitung (§. 5) ausgesprochenen methodologischen Grundsätzen
werden wir hier nun das systematische Moment auf Kosten des
chronologischen geltend machen, also uns das zweite System in
seiner ganzen Fülle und Ausdehnung zu vergegenwärtigen und
in seiner Eigenthümlichkeit zu schildern suchen. Bei dieser Cha-
rakteristik nehmen wir auf einige Erscheinungen, die dem Grund-
charakter des Systems nicht entsprechen, zunächst keine Rücksicht,
werden dieselben aber später (Absch. I Kap. 4: Freiere Bildun-
gen) berühren, und dort wird der geeignete Ort sein, um uns
wegen dieses Verfahrens zu rechtfertigen. Wenn also mancher
Leser bei der Uebersicht des gegenwärtigen Systems eine Berück-
sichtigung des jus gentium mit Befremden vermissen wird, so
werde ich ihn nur auf jenes Kapitel verweisen können, wo er
das Nöthige darüber finden wird.

Nach welchen innern Kriterien ich nun das, was ich dem
ältern System vindicire, bestimme, letzteres selbst stofflich ab-
gränze, darüber kann ich hier gleichfalls noch keine Antwort
geben; ich müßte zu dem Zweck vieles anticipiren, was nur im
Zusammenhange des Systems selbst seine Rechtfertigung finden
kann. Auch hier muß ich also zunächst die Antwort schuldig
bleiben.

Was die chronologische Abgränzung des Systems anbetrifft,
so habe ich bereits im §. 6 angegeben, daß ich die Bildung
desselben in die zweite Hälfte der Königszeit verlege, die Blüthe-
zeit desselben in das vierte bis sechste Jahrhundert der Stadt,
die ersten Anfänge aber einer neuen freieren Rechtsbildung in
das siebente Jahrhundert. Nur für den völlig Unkundigen braucht
bemerkt zu werden, daß dieser letzte Zeitpunkt nicht als Endpunkt
des zweiten Systems aufzufassen ist, daß vielmehr über der Bil-
dung des dritten und der allmähligen Umgestaltung des gegen-
wärtigen Systems noch viele Jahrhunderte verflossen. Der Zeit
nach wird sich also unsere Darstellung von jetzt an vorzugsweise
in der Glanzperiode der römischen Republik verweilen, ohne daß
wir aber, wie bereits bemerkt, auf eine stoffliche Ergänzung des

Einleitung. §. 22.
leitung (§. 5) ausgeſprochenen methodologiſchen Grundſätzen
werden wir hier nun das ſyſtematiſche Moment auf Koſten des
chronologiſchen geltend machen, alſo uns das zweite Syſtem in
ſeiner ganzen Fülle und Ausdehnung zu vergegenwärtigen und
in ſeiner Eigenthümlichkeit zu ſchildern ſuchen. Bei dieſer Cha-
rakteriſtik nehmen wir auf einige Erſcheinungen, die dem Grund-
charakter des Syſtems nicht entſprechen, zunächſt keine Rückſicht,
werden dieſelben aber ſpäter (Abſch. I Kap. 4: Freiere Bildun-
gen) berühren, und dort wird der geeignete Ort ſein, um uns
wegen dieſes Verfahrens zu rechtfertigen. Wenn alſo mancher
Leſer bei der Ueberſicht des gegenwärtigen Syſtems eine Berück-
ſichtigung des jus gentium mit Befremden vermiſſen wird, ſo
werde ich ihn nur auf jenes Kapitel verweiſen können, wo er
das Nöthige darüber finden wird.

Nach welchen innern Kriterien ich nun das, was ich dem
ältern Syſtem vindicire, beſtimme, letzteres ſelbſt ſtofflich ab-
gränze, darüber kann ich hier gleichfalls noch keine Antwort
geben; ich müßte zu dem Zweck vieles anticipiren, was nur im
Zuſammenhange des Syſtems ſelbſt ſeine Rechtfertigung finden
kann. Auch hier muß ich alſo zunächſt die Antwort ſchuldig
bleiben.

Was die chronologiſche Abgränzung des Syſtems anbetrifft,
ſo habe ich bereits im §. 6 angegeben, daß ich die Bildung
deſſelben in die zweite Hälfte der Königszeit verlege, die Blüthe-
zeit deſſelben in das vierte bis ſechste Jahrhundert der Stadt,
die erſten Anfänge aber einer neuen freieren Rechtsbildung in
das ſiebente Jahrhundert. Nur für den völlig Unkundigen braucht
bemerkt zu werden, daß dieſer letzte Zeitpunkt nicht als Endpunkt
des zweiten Syſtems aufzufaſſen iſt, daß vielmehr über der Bil-
dung des dritten und der allmähligen Umgeſtaltung des gegen-
wärtigen Syſtems noch viele Jahrhunderte verfloſſen. Der Zeit
nach wird ſich alſo unſere Darſtellung von jetzt an vorzugsweiſe
in der Glanzperiode der römiſchen Republik verweilen, ohne daß
wir aber, wie bereits bemerkt, auf eine ſtoffliche Ergänzung des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="5"/><fw place="top" type="header">Einleitung. §. 22.</fw><lb/>
leitung (§. 5) ausge&#x017F;prochenen methodologi&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen<lb/>
werden wir hier nun das &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Moment auf Ko&#x017F;ten des<lb/>
chronologi&#x017F;chen geltend machen, al&#x017F;o uns das zweite Sy&#x017F;tem in<lb/>
&#x017F;einer ganzen Fülle und Ausdehnung zu vergegenwärtigen und<lb/>
in &#x017F;einer Eigenthümlichkeit zu &#x017F;childern &#x017F;uchen. Bei die&#x017F;er Cha-<lb/>
rakteri&#x017F;tik nehmen wir auf einige Er&#x017F;cheinungen, die dem Grund-<lb/>
charakter des Sy&#x017F;tems nicht ent&#x017F;prechen, zunäch&#x017F;t keine Rück&#x017F;icht,<lb/>
werden die&#x017F;elben aber &#x017F;päter (Ab&#x017F;ch. <hi rendition="#aq">I</hi> Kap. 4: Freiere Bildun-<lb/>
gen) berühren, und dort wird der geeignete Ort &#x017F;ein, um uns<lb/>
wegen die&#x017F;es Verfahrens zu rechtfertigen. Wenn al&#x017F;o mancher<lb/>
Le&#x017F;er bei der Ueber&#x017F;icht des gegenwärtigen Sy&#x017F;tems eine Berück-<lb/>
&#x017F;ichtigung des <hi rendition="#aq">jus gentium</hi> mit Befremden vermi&#x017F;&#x017F;en wird, &#x017F;o<lb/>
werde ich ihn nur auf jenes Kapitel verwei&#x017F;en können, wo er<lb/>
das Nöthige darüber finden wird.</p><lb/>
          <p>Nach welchen innern Kriterien ich nun das, was ich dem<lb/>
ältern Sy&#x017F;tem vindicire, be&#x017F;timme, letzteres &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tofflich ab-<lb/>
gränze, darüber kann ich hier gleichfalls noch keine Antwort<lb/>
geben; ich müßte zu dem Zweck vieles anticipiren, was nur im<lb/>
Zu&#x017F;ammenhange des Sy&#x017F;tems &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine Rechtfertigung finden<lb/>
kann. Auch hier muß ich al&#x017F;o zunäch&#x017F;t die Antwort &#x017F;chuldig<lb/>
bleiben.</p><lb/>
          <p>Was die chronologi&#x017F;che Abgränzung des Sy&#x017F;tems anbetrifft,<lb/>
&#x017F;o habe ich bereits im §. 6 angegeben, daß ich die Bildung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben in die zweite Hälfte der Königszeit verlege, die Blüthe-<lb/>
zeit de&#x017F;&#x017F;elben in das vierte bis &#x017F;echste Jahrhundert der Stadt,<lb/>
die er&#x017F;ten Anfänge aber einer neuen freieren Rechtsbildung in<lb/>
das &#x017F;iebente Jahrhundert. Nur für den völlig Unkundigen braucht<lb/>
bemerkt zu werden, daß die&#x017F;er letzte Zeitpunkt nicht als Endpunkt<lb/>
des zweiten Sy&#x017F;tems aufzufa&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, daß vielmehr über der Bil-<lb/>
dung des dritten und der allmähligen Umge&#x017F;taltung des gegen-<lb/>
wärtigen Sy&#x017F;tems noch viele Jahrhunderte verflo&#x017F;&#x017F;en. Der Zeit<lb/>
nach wird &#x017F;ich al&#x017F;o un&#x017F;ere Dar&#x017F;tellung von jetzt an vorzugswei&#x017F;e<lb/>
in der Glanzperiode der römi&#x017F;chen Republik verweilen, ohne daß<lb/>
wir aber, wie bereits bemerkt, auf eine &#x017F;toffliche Ergänzung des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0019] Einleitung. §. 22. leitung (§. 5) ausgeſprochenen methodologiſchen Grundſätzen werden wir hier nun das ſyſtematiſche Moment auf Koſten des chronologiſchen geltend machen, alſo uns das zweite Syſtem in ſeiner ganzen Fülle und Ausdehnung zu vergegenwärtigen und in ſeiner Eigenthümlichkeit zu ſchildern ſuchen. Bei dieſer Cha- rakteriſtik nehmen wir auf einige Erſcheinungen, die dem Grund- charakter des Syſtems nicht entſprechen, zunächſt keine Rückſicht, werden dieſelben aber ſpäter (Abſch. I Kap. 4: Freiere Bildun- gen) berühren, und dort wird der geeignete Ort ſein, um uns wegen dieſes Verfahrens zu rechtfertigen. Wenn alſo mancher Leſer bei der Ueberſicht des gegenwärtigen Syſtems eine Berück- ſichtigung des jus gentium mit Befremden vermiſſen wird, ſo werde ich ihn nur auf jenes Kapitel verweiſen können, wo er das Nöthige darüber finden wird. Nach welchen innern Kriterien ich nun das, was ich dem ältern Syſtem vindicire, beſtimme, letzteres ſelbſt ſtofflich ab- gränze, darüber kann ich hier gleichfalls noch keine Antwort geben; ich müßte zu dem Zweck vieles anticipiren, was nur im Zuſammenhange des Syſtems ſelbſt ſeine Rechtfertigung finden kann. Auch hier muß ich alſo zunächſt die Antwort ſchuldig bleiben. Was die chronologiſche Abgränzung des Syſtems anbetrifft, ſo habe ich bereits im §. 6 angegeben, daß ich die Bildung deſſelben in die zweite Hälfte der Königszeit verlege, die Blüthe- zeit deſſelben in das vierte bis ſechste Jahrhundert der Stadt, die erſten Anfänge aber einer neuen freieren Rechtsbildung in das ſiebente Jahrhundert. Nur für den völlig Unkundigen braucht bemerkt zu werden, daß dieſer letzte Zeitpunkt nicht als Endpunkt des zweiten Syſtems aufzufaſſen iſt, daß vielmehr über der Bil- dung des dritten und der allmähligen Umgeſtaltung des gegen- wärtigen Syſtems noch viele Jahrhunderte verfloſſen. Der Zeit nach wird ſich alſo unſere Darſtellung von jetzt an vorzugsweiſe in der Glanzperiode der römiſchen Republik verweilen, ohne daß wir aber, wie bereits bemerkt, auf eine ſtoffliche Ergänzung des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/19
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/19>, abgerufen am 23.11.2024.