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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Ehe ohne manus. §. 32.
Sklaven und in mancipio befindlichen Personen und endlich in
der Ernennung von Tutoren für die Frau, Töchter und die un-
mündigen Söhne. Den mündigen Söhnen hingegen konnte der
Vater ihre persönliche Selbständigkeit durch keine Anordnung
verkümmern; hinsichtlich der freien Personen läßt sich also die
tutela testamentaria als die letzte Nachwirkung der hausherr-
lichen Gewalt bezeichnen.

Es verbleibt uns noch die Ehe ohne manus. Die Manus-
Ehe hatte für den Fall, daß ein Frauenzimmer, das sui juris
war, heirathen wollte, ihre Anstände; nicht sowohl der Frau,
als ihrer gesetzlichen Tutoren wegen. Denn die capitis de-
minutio,
welche die Frau durch Eintritt in die manus erlitt,
hatte die Wirkung, daß die Tutel erlosch und das Vermögen
der Frau, welches nach ihrem Tode an die Tutoren gefallen
wäre, und dessen Conservirung der wesentliche Zweck der Tutel
war, 282) auf den Mann überging. Für die Frau hatte diese
Veränderung nichts Nachtheiliges, im Gegentheil konnte sie
dieselbe nur wünschen, denn auf diesem Wege gelangte bei
ihrem und ihres Mannes Tode das Vermögen an die Kinder,
im andern Fall hingegen an die Tutoren als die nächsten
Agnaten. Aus demselben Grunde aber waren letztere aufs
höchste dabei interessirt, daß die Frau keine Manus-Ehe ein-
ging, und da es dazu ihrer Autoritas bedurfte, 283) sie zur Er-
theilung derselben aber nicht gezwungen werden konnten, 284) so

282) Gaj. I. §. 192.
283) Cic. pro Flacco. c. 34.
284) Gajus I. §. 192 berichtet, die gesetzlichen Tutoren (seiner Zeit) könn-
ten dem selbstnützigen Zwecke der Geschlechtstutel gemäß nur ausnahmsweise
zur Ertheilung ihrer Autoritas gezwungen werden. Ob das ältere Recht
schon solche Ausnahmen gekannt habe, möchte ich sehr bezweifeln, schwerlich
aber wird der Fall im Text zu den Ausnahmen gehört haben. Man verge-
genwärtige sich nur die Consequenzen! Unter dieser Voraussetzung wäre
nicht die Frau in der Hand der Tutoren gewesen, wie uns für die ältere Zeit
bezeugt wird, sondern umgekehrt die Tutoren in der Hand der Frau. Mit der
Drohung sich zu verheirathen, hätte die Frau alles von ihnen erreichen kön-
13*

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Ehe ohne manus. §. 32.
Sklaven und in mancipio befindlichen Perſonen und endlich in
der Ernennung von Tutoren für die Frau, Töchter und die un-
mündigen Söhne. Den mündigen Söhnen hingegen konnte der
Vater ihre perſönliche Selbſtändigkeit durch keine Anordnung
verkümmern; hinſichtlich der freien Perſonen läßt ſich alſo die
tutela testamentaria als die letzte Nachwirkung der hausherr-
lichen Gewalt bezeichnen.

Es verbleibt uns noch die Ehe ohne manus. Die Manus-
Ehe hatte für den Fall, daß ein Frauenzimmer, das sui juris
war, heirathen wollte, ihre Anſtände; nicht ſowohl der Frau,
als ihrer geſetzlichen Tutoren wegen. Denn die capitis de-
minutio,
welche die Frau durch Eintritt in die manus erlitt,
hatte die Wirkung, daß die Tutel erloſch und das Vermögen
der Frau, welches nach ihrem Tode an die Tutoren gefallen
wäre, und deſſen Conſervirung der weſentliche Zweck der Tutel
war, 282) auf den Mann überging. Für die Frau hatte dieſe
Veränderung nichts Nachtheiliges, im Gegentheil konnte ſie
dieſelbe nur wünſchen, denn auf dieſem Wege gelangte bei
ihrem und ihres Mannes Tode das Vermögen an die Kinder,
im andern Fall hingegen an die Tutoren als die nächſten
Agnaten. Aus demſelben Grunde aber waren letztere aufs
höchſte dabei intereſſirt, daß die Frau keine Manus-Ehe ein-
ging, und da es dazu ihrer Autoritas bedurfte, 283) ſie zur Er-
theilung derſelben aber nicht gezwungen werden konnten, 284) ſo

282) Gaj. I. §. 192.
283) Cic. pro Flacco. c. 34.
284) Gajus I. §. 192 berichtet, die geſetzlichen Tutoren (ſeiner Zeit) könn-
ten dem ſelbſtnützigen Zwecke der Geſchlechtstutel gemäß nur ausnahmsweiſe
zur Ertheilung ihrer Autoritas gezwungen werden. Ob das ältere Recht
ſchon ſolche Ausnahmen gekannt habe, möchte ich ſehr bezweifeln, ſchwerlich
aber wird der Fall im Text zu den Ausnahmen gehört haben. Man verge-
genwärtige ſich nur die Conſequenzen! Unter dieſer Vorausſetzung wäre
nicht die Frau in der Hand der Tutoren geweſen, wie uns für die ältere Zeit
bezeugt wird, ſondern umgekehrt die Tutoren in der Hand der Frau. Mit der
Drohung ſich zu verheirathen, hätte die Frau alles von ihnen erreichen kön-
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[195/0209] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Ehe ohne manus. §. 32. Sklaven und in mancipio befindlichen Perſonen und endlich in der Ernennung von Tutoren für die Frau, Töchter und die un- mündigen Söhne. Den mündigen Söhnen hingegen konnte der Vater ihre perſönliche Selbſtändigkeit durch keine Anordnung verkümmern; hinſichtlich der freien Perſonen läßt ſich alſo die tutela testamentaria als die letzte Nachwirkung der hausherr- lichen Gewalt bezeichnen. Es verbleibt uns noch die Ehe ohne manus. Die Manus- Ehe hatte für den Fall, daß ein Frauenzimmer, das sui juris war, heirathen wollte, ihre Anſtände; nicht ſowohl der Frau, als ihrer geſetzlichen Tutoren wegen. Denn die capitis de- minutio, welche die Frau durch Eintritt in die manus erlitt, hatte die Wirkung, daß die Tutel erloſch und das Vermögen der Frau, welches nach ihrem Tode an die Tutoren gefallen wäre, und deſſen Conſervirung der weſentliche Zweck der Tutel war, 282) auf den Mann überging. Für die Frau hatte dieſe Veränderung nichts Nachtheiliges, im Gegentheil konnte ſie dieſelbe nur wünſchen, denn auf dieſem Wege gelangte bei ihrem und ihres Mannes Tode das Vermögen an die Kinder, im andern Fall hingegen an die Tutoren als die nächſten Agnaten. Aus demſelben Grunde aber waren letztere aufs höchſte dabei intereſſirt, daß die Frau keine Manus-Ehe ein- ging, und da es dazu ihrer Autoritas bedurfte, 283) ſie zur Er- theilung derſelben aber nicht gezwungen werden konnten, 284) ſo 282) Gaj. I. §. 192. 283) Cic. pro Flacco. c. 34. 284) Gajus I. §. 192 berichtet, die geſetzlichen Tutoren (ſeiner Zeit) könn- ten dem ſelbſtnützigen Zwecke der Geſchlechtstutel gemäß nur ausnahmsweiſe zur Ertheilung ihrer Autoritas gezwungen werden. Ob das ältere Recht ſchon ſolche Ausnahmen gekannt habe, möchte ich ſehr bezweifeln, ſchwerlich aber wird der Fall im Text zu den Ausnahmen gehört haben. Man verge- genwärtige ſich nur die Conſequenzen! Unter dieſer Vorausſetzung wäre nicht die Frau in der Hand der Tutoren geweſen, wie uns für die ältere Zeit bezeugt wird, ſondern umgekehrt die Tutoren in der Hand der Frau. Mit der Drohung ſich zu verheirathen, hätte die Frau alles von ihnen erreichen kön- 13*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/209>, abgerufen am 21.11.2024.