Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. es der alten Zeit mit ihren Vorstellungen vom Hausregimentwiderstreben mußte. Eine fremde Gewalt reichte hier in das römische Haus hinein, durchkreuzte die Herrschaft des Ehe- manns und stellte den Bestand der Ehe jeden Augenblick in Frage. Und wozu diese Abnormität? Ein vermögensrechtliches Interesse des Vaters der Frau ist kaum abzusehen, denn wenn letztere gleich, so lange sie filia familias blieb, alles, was ihr zufiel, ihm erwarb, so frage man sich, was konnte dies viel sein, da Schenkungen unter Ehegatten nichtig, Erwerb von dritten Personen mindestens eine Seltenheit sein mußte. 290) Ein Interesse des Vaters anderer Art läßt sich denken z. B. weil er einem Mann, den er nicht näher kannte, die volle und unwiderrufliche Gewalt über die Tochter nicht anvertrauen, vielmehr mit der Ehe ohne manus erst einen weniger gefährli- chen Versuch machen wollte, um, wenn derselbe gelang, nach- träglich auch die manus zu verleihen oder durch usus eines Jah- res übergehen zu lassen. Jedenfalls aber dürfen wir uns die Ehe ohne manus bei einer Haustochter, abgesehen von einem solchen Transitorium, also als dauernden Zustand, nicht als etwas Häufiges vorstellen. Ganz anders machte sich die Sache in dem zweiten Fall, 290) Ab intestato konnte die filia familias, so lange der Vater lebte,
nichts erben, testamentarische Zuwendungen von dritten Personen kamen ge- wiß kaum vor (sie waren ja im Grunde nur Zuwendungen an den Vater selbst), also blieb nicht viel übrig, als die beiden Erwerbsquellen, welche Plautus Casina III. 2. 28 nennt .. quin viro subtrahat aut stupro inve- nerit. Hierauf fußte auch die praesumtio Muciana. Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. es der alten Zeit mit ihren Vorſtellungen vom Hausregimentwiderſtreben mußte. Eine fremde Gewalt reichte hier in das römiſche Haus hinein, durchkreuzte die Herrſchaft des Ehe- manns und ſtellte den Beſtand der Ehe jeden Augenblick in Frage. Und wozu dieſe Abnormität? Ein vermögensrechtliches Intereſſe des Vaters der Frau iſt kaum abzuſehen, denn wenn letztere gleich, ſo lange ſie filia familias blieb, alles, was ihr zufiel, ihm erwarb, ſo frage man ſich, was konnte dies viel ſein, da Schenkungen unter Ehegatten nichtig, Erwerb von dritten Perſonen mindeſtens eine Seltenheit ſein mußte. 290) Ein Intereſſe des Vaters anderer Art läßt ſich denken z. B. weil er einem Mann, den er nicht näher kannte, die volle und unwiderrufliche Gewalt über die Tochter nicht anvertrauen, vielmehr mit der Ehe ohne manus erſt einen weniger gefährli- chen Verſuch machen wollte, um, wenn derſelbe gelang, nach- träglich auch die manus zu verleihen oder durch usus eines Jah- res übergehen zu laſſen. Jedenfalls aber dürfen wir uns die Ehe ohne manus bei einer Haustochter, abgeſehen von einem ſolchen Transitorium, alſo als dauernden Zuſtand, nicht als etwas Häufiges vorſtellen. Ganz anders machte ſich die Sache in dem zweiten Fall, 290) Ab intestato konnte die filia familias, ſo lange der Vater lebte,
nichts erben, teſtamentariſche Zuwendungen von dritten Perſonen kamen ge- wiß kaum vor (ſie waren ja im Grunde nur Zuwendungen an den Vater ſelbſt), alſo blieb nicht viel übrig, als die beiden Erwerbsquellen, welche Plautus Casina III. 2. 28 nennt .. quin viro subtrahat aut stupro inve- nerit. Hierauf fußte auch die praesumtio Muciana. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0212" n="198"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/> es der alten Zeit mit ihren Vorſtellungen vom Hausregiment<lb/> widerſtreben mußte. Eine fremde Gewalt reichte hier in das<lb/> römiſche Haus hinein, durchkreuzte die Herrſchaft des Ehe-<lb/> manns und ſtellte den Beſtand der Ehe jeden Augenblick in<lb/> Frage. Und wozu dieſe Abnormität? Ein vermögensrechtliches<lb/> Intereſſe des Vaters der Frau iſt kaum abzuſehen, denn wenn<lb/> letztere gleich, ſo lange ſie <hi rendition="#aq">filia familias</hi> blieb, alles, was ihr<lb/> zufiel, <hi rendition="#g">ihm</hi> erwarb, ſo frage man ſich, was konnte dies viel<lb/> ſein, da Schenkungen unter Ehegatten nichtig, Erwerb von<lb/> dritten Perſonen mindeſtens eine Seltenheit ſein mußte. <note place="foot" n="290)"><hi rendition="#aq">Ab intestato</hi> konnte die <hi rendition="#aq">filia familias,</hi> ſo lange der Vater lebte,<lb/> nichts erben, teſtamentariſche Zuwendungen von dritten Perſonen kamen ge-<lb/> wiß kaum vor (ſie waren ja im Grunde nur Zuwendungen an den Vater<lb/> ſelbſt), alſo blieb nicht viel übrig, als die beiden Erwerbsquellen, welche<lb/><hi rendition="#aq">Plautus Casina III.</hi> 2. 28 nennt .. <hi rendition="#aq">quin viro subtrahat aut stupro inve-<lb/> nerit.</hi> Hierauf fußte auch die <hi rendition="#aq">praesumtio Muciana.</hi></note><lb/> Ein Intereſſe des Vaters <hi rendition="#g">anderer</hi> Art läßt ſich denken z. B.<lb/> weil er einem Mann, den er nicht näher kannte, die volle und<lb/> unwiderrufliche Gewalt über die Tochter nicht anvertrauen,<lb/> vielmehr mit der Ehe ohne <hi rendition="#aq">manus</hi> erſt einen weniger gefährli-<lb/> chen Verſuch machen wollte, um, wenn derſelbe gelang, nach-<lb/> träglich auch die <hi rendition="#aq">manus</hi> zu verleihen oder durch <hi rendition="#aq">usus</hi> eines Jah-<lb/> res übergehen zu laſſen. Jedenfalls aber dürfen wir uns die<lb/> Ehe ohne <hi rendition="#aq">manus</hi> bei einer Haustochter, abgeſehen von einem<lb/> ſolchen Transitorium, alſo als dauernden Zuſtand, nicht als<lb/> etwas Häufiges vorſtellen.</p><lb/> <p>Ganz anders machte ſich die Sache in dem zweiten Fall,<lb/> wenn nämlich das Frauenzimmer <hi rendition="#aq">sui juris</hi> war. Einmal näm-<lb/> lich war hier nicht bloß ein ungleich gewichtigerer Grund für<lb/> die Ehe ohne <hi rendition="#aq">manus</hi> vorhanden, ſondern andererſeits fiel der<lb/> hauptſächlichſte Gegengrund hinweg. Denn da die Tutoren<lb/> nur das Vermögen der Frau zu bewachen hatten, die Frau<lb/> ihnen aber in perſönlicher Beziehung gar nicht untergeordnet<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [198/0212]
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
es der alten Zeit mit ihren Vorſtellungen vom Hausregiment
widerſtreben mußte. Eine fremde Gewalt reichte hier in das
römiſche Haus hinein, durchkreuzte die Herrſchaft des Ehe-
manns und ſtellte den Beſtand der Ehe jeden Augenblick in
Frage. Und wozu dieſe Abnormität? Ein vermögensrechtliches
Intereſſe des Vaters der Frau iſt kaum abzuſehen, denn wenn
letztere gleich, ſo lange ſie filia familias blieb, alles, was ihr
zufiel, ihm erwarb, ſo frage man ſich, was konnte dies viel
ſein, da Schenkungen unter Ehegatten nichtig, Erwerb von
dritten Perſonen mindeſtens eine Seltenheit ſein mußte. 290)
Ein Intereſſe des Vaters anderer Art läßt ſich denken z. B.
weil er einem Mann, den er nicht näher kannte, die volle und
unwiderrufliche Gewalt über die Tochter nicht anvertrauen,
vielmehr mit der Ehe ohne manus erſt einen weniger gefährli-
chen Verſuch machen wollte, um, wenn derſelbe gelang, nach-
träglich auch die manus zu verleihen oder durch usus eines Jah-
res übergehen zu laſſen. Jedenfalls aber dürfen wir uns die
Ehe ohne manus bei einer Haustochter, abgeſehen von einem
ſolchen Transitorium, alſo als dauernden Zuſtand, nicht als
etwas Häufiges vorſtellen.
Ganz anders machte ſich die Sache in dem zweiten Fall,
wenn nämlich das Frauenzimmer sui juris war. Einmal näm-
lich war hier nicht bloß ein ungleich gewichtigerer Grund für
die Ehe ohne manus vorhanden, ſondern andererſeits fiel der
hauptſächlichſte Gegengrund hinweg. Denn da die Tutoren
nur das Vermögen der Frau zu bewachen hatten, die Frau
ihnen aber in perſönlicher Beziehung gar nicht untergeordnet
290) Ab intestato konnte die filia familias, ſo lange der Vater lebte,
nichts erben, teſtamentariſche Zuwendungen von dritten Perſonen kamen ge-
wiß kaum vor (ſie waren ja im Grunde nur Zuwendungen an den Vater
ſelbſt), alſo blieb nicht viel übrig, als die beiden Erwerbsquellen, welche
Plautus Casina III. 2. 28 nennt .. quin viro subtrahat aut stupro inve-
nerit. Hierauf fußte auch die praesumtio Muciana.
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