Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Wir haben einen entscheidenden Gesichtspunkt, der unsere bei-
den Verhältnisse erst ins rechte Licht setzt, bis zuletzt aufgespart.
Zu den oben (S. 146 u. fl.) angegebenen Einflüssen, durch welche
die rechtliche Unbeschränktheit des Subjekts faktisch moderirt
und bestimmt erschien, gesellt sich nämlich für das Familienleben
noch ein unendlich wichtiger und einflußreicher Faktor hinzu,
das ist die Familie selbst. Der natürlich-sittliche Zusammen-
hang des Einzelnen mit seiner Familie, der in der Gentilver-
fassung rechtliche Gestaltung gewonnen hatte, in dem Recht
der gegenwärtigen Periode aber der abstracten Persönlichkeit
geopfert worden war, ward durch die Sitte wieder zur Geltung
gebracht. Die Bande, die das Recht fallen ließ, um die reine,
zu ihrem absoluten Für-Sich-Sein gebrachte Rechtspersönlich-
keit zu gewinnen, die Sitte nahm sie auf, um sie nur um so
fester wieder zu knüpfen, um der Familie einen Antheil an dem

sunt, id apud virum necesse est permanere. Daher werden die Kinder selbst
domini und heri genannt z. B. bei Plautus Capt. Prolog. 18: Domo quem
profugiens dominum abstulerat, vendidit, Asin. II. 2, 63 heres ma-
jor ... minor hic est intus, Capt III. 5, 49 herum servavi
(den Sohn) ..
cui me custodem addiderat herus major meus. Daher auch die cura pro-
digi
im Interesse der Kinder. -- Mit dem peculium verhält es sich hier, wie
bei den Sklaven, nur daß es oft unendlich größer war. Manche römische
filiifamilias hatten bereits bei Lebzeiten ihres Vaters ein bedeutendes Ver-
mögen in Händen, führten einen eignen Haushalt und machten großen Auf-
wand, ohne daß ihre Unfähigkeit, eignes Vermögen zu besitzen, je eine prak-
tische Folge gehabt hätte. Man denke sich, daß ein Vater seinem Sohn, der
eine hervorragende Stellung im Leben einnahm, die höchsten Ehrenämter be-
kleidete, eigne Familie hatte u. s. w. plötzlich aus reiner Laune sein Vermö-
gen hätte entziehen sollen! So etwas ist auf dem Papiere leicht gesagt, aber
im Leben stellt sich die Sache doch etwas anders. Ein solcher selbständiger
Haushalt und faktische Unabhängigkeit des erwachsenen Sohnes kam schon in
ältester Zeit vor, z. B. erwähnen einige Autoren bereits beim Sp. Cassius,
dem Urheber der ersten lex agraria (U. C. 261) ein peculium. Val. Max.
V. 8. 2. VI. 3. 1 (domum). Liv. II. 41 (.. signum inde factum et in-
scriptum: ex cassia familia datum). Dionys. VIII.
78 nimmt Anstoß
daran, daß seine Quellen dem Cassius nach der Vorstellung des gewöhnlichen
Lebens Eigenthum beilegten, und macht ihn darum zum paterfamilias.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Wir haben einen entſcheidenden Geſichtspunkt, der unſere bei-
den Verhältniſſe erſt ins rechte Licht ſetzt, bis zuletzt aufgeſpart.
Zu den oben (S. 146 u. fl.) angegebenen Einflüſſen, durch welche
die rechtliche Unbeſchränktheit des Subjekts faktiſch moderirt
und beſtimmt erſchien, geſellt ſich nämlich für das Familienleben
noch ein unendlich wichtiger und einflußreicher Faktor hinzu,
das iſt die Familie ſelbſt. Der natürlich-ſittliche Zuſammen-
hang des Einzelnen mit ſeiner Familie, der in der Gentilver-
faſſung rechtliche Geſtaltung gewonnen hatte, in dem Recht
der gegenwärtigen Periode aber der abſtracten Perſönlichkeit
geopfert worden war, ward durch die Sitte wieder zur Geltung
gebracht. Die Bande, die das Recht fallen ließ, um die reine,
zu ihrem abſoluten Für-Sich-Sein gebrachte Rechtsperſönlich-
keit zu gewinnen, die Sitte nahm ſie auf, um ſie nur um ſo
feſter wieder zu knüpfen, um der Familie einen Antheil an dem

sunt, id apud virum necesse est permanere. Daher werden die Kinder ſelbſt
domini und heri genannt z. B. bei Plautus Capt. Prolog. 18: Domo quem
profugiens dominum abstulerat, vendidit, Asin. II. 2, 63 heres ma-
jor … minor hic est intus, Capt III. 5, 49 herum servavi
(den Sohn) ..
cui me custodem addiderat herus major meus. Daher auch die cura pro-
digi
im Intereſſe der Kinder. — Mit dem peculium verhält es ſich hier, wie
bei den Sklaven, nur daß es oft unendlich größer war. Manche römiſche
filiifamilias hatten bereits bei Lebzeiten ihres Vaters ein bedeutendes Ver-
mögen in Händen, führten einen eignen Haushalt und machten großen Auf-
wand, ohne daß ihre Unfähigkeit, eignes Vermögen zu beſitzen, je eine prak-
tiſche Folge gehabt hätte. Man denke ſich, daß ein Vater ſeinem Sohn, der
eine hervorragende Stellung im Leben einnahm, die höchſten Ehrenämter be-
kleidete, eigne Familie hatte u. ſ. w. plötzlich aus reiner Laune ſein Vermö-
gen hätte entziehen ſollen! So etwas iſt auf dem Papiere leicht geſagt, aber
im Leben ſtellt ſich die Sache doch etwas anders. Ein ſolcher ſelbſtändiger
Haushalt und faktiſche Unabhängigkeit des erwachſenen Sohnes kam ſchon in
älteſter Zeit vor, z. B. erwähnen einige Autoren bereits beim Sp. Cassius,
dem Urheber der erſten lex agraria (U. C. 261) ein peculium. Val. Max.
V. 8. 2. VI. 3. 1 (domum). Liv. II. 41 (.. signum inde factum et in-
scriptum: ex cassia familia datum). Dionys. VIII.
78 nimmt Anſtoß
daran, daß ſeine Quellen dem Caſſius nach der Vorſtellung des gewöhnlichen
Lebens Eigenthum beilegten, und macht ihn darum zum paterfamilias.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <pb facs="#f0230" n="216"/>
                      <fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
                      <p>Wir haben einen ent&#x017F;cheidenden Ge&#x017F;ichtspunkt, der un&#x017F;ere bei-<lb/>
den Verhältni&#x017F;&#x017F;e er&#x017F;t ins rechte Licht &#x017F;etzt, bis zuletzt aufge&#x017F;part.<lb/>
Zu den oben (S. 146 u. fl.) angegebenen Einflü&#x017F;&#x017F;en, durch welche<lb/>
die rechtliche Unbe&#x017F;chränktheit des Subjekts fakti&#x017F;ch moderirt<lb/>
und be&#x017F;timmt er&#x017F;chien, ge&#x017F;ellt &#x017F;ich nämlich für das Familienleben<lb/>
noch ein unendlich wichtiger und einflußreicher Faktor hinzu,<lb/>
das i&#x017F;t die Familie &#x017F;elb&#x017F;t. Der natürlich-&#x017F;ittliche Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang des Einzelnen mit &#x017F;einer Familie, der in der Gentilver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#g">rechtliche</hi> Ge&#x017F;taltung gewonnen hatte, in dem Recht<lb/>
der gegenwärtigen Periode aber der ab&#x017F;tracten Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
geopfert worden war, ward durch die Sitte wieder zur Geltung<lb/>
gebracht. Die Bande, die das Recht fallen ließ, um die reine,<lb/>
zu ihrem ab&#x017F;oluten Für-Sich-Sein gebrachte Rechtsper&#x017F;önlich-<lb/>
keit zu gewinnen, die Sitte nahm &#x017F;ie auf, um &#x017F;ie nur um &#x017F;o<lb/>
fe&#x017F;ter wieder zu knüpfen, um der Familie einen Antheil an dem<lb/><note xml:id="seg2pn_32_2" prev="#seg2pn_32_1" place="foot" n="324)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">sunt</hi>, id apud virum necesse est permanere.</hi> Daher werden die Kinder &#x017F;elb&#x017F;t<lb/><hi rendition="#aq">domini</hi> und <hi rendition="#aq">heri</hi> genannt z. B. bei <hi rendition="#aq">Plautus Capt. Prolog. 18: Domo quem<lb/>
profugiens <hi rendition="#g">dominum</hi> abstulerat, vendidit, Asin. II. 2, 63 heres ma-<lb/>
jor &#x2026; minor hic est intus, Capt III. 5, 49 herum servavi</hi> (den Sohn) ..<lb/><hi rendition="#aq">cui me custodem addiderat herus major meus.</hi> Daher auch die <hi rendition="#aq">cura pro-<lb/>
digi</hi> im Intere&#x017F;&#x017F;e der Kinder. &#x2014; Mit dem <hi rendition="#aq">peculium</hi> verhält es &#x017F;ich hier, wie<lb/>
bei den Sklaven, nur daß es oft unendlich größer war. Manche römi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#aq">filiifamilias</hi> hatten bereits bei Lebzeiten ihres Vaters ein bedeutendes Ver-<lb/>
mögen in Händen, führten einen eignen Haushalt und machten großen Auf-<lb/>
wand, ohne daß ihre Unfähigkeit, eignes Vermögen zu be&#x017F;itzen, je eine prak-<lb/>
ti&#x017F;che Folge gehabt hätte. Man denke &#x017F;ich, daß ein Vater &#x017F;einem Sohn, der<lb/>
eine hervorragende Stellung im Leben einnahm, die höch&#x017F;ten Ehrenämter be-<lb/>
kleidete, eigne Familie hatte u. &#x017F;. w. plötzlich aus reiner Laune &#x017F;ein Vermö-<lb/>
gen hätte entziehen &#x017F;ollen! So etwas i&#x017F;t auf dem Papiere leicht ge&#x017F;agt, aber<lb/>
im Leben &#x017F;tellt &#x017F;ich die Sache doch etwas anders. Ein &#x017F;olcher &#x017F;elb&#x017F;tändiger<lb/>
Haushalt und fakti&#x017F;che Unabhängigkeit des erwach&#x017F;enen Sohnes kam &#x017F;chon in<lb/>
älte&#x017F;ter Zeit vor, z. B. erwähnen einige Autoren bereits beim <hi rendition="#aq">Sp. Cassius,</hi><lb/>
dem Urheber der er&#x017F;ten <hi rendition="#aq">lex agraria (U. C. 261)</hi> ein <hi rendition="#aq">peculium. Val. Max.<lb/>
V. 8. 2. VI. 3. 1 (domum). Liv. II. 41 (.. signum inde factum et in-<lb/>
scriptum: ex cassia <hi rendition="#g">familia</hi> datum). Dionys. VIII.</hi> 78 nimmt An&#x017F;toß<lb/>
daran, daß &#x017F;eine Quellen dem Ca&#x017F;&#x017F;ius nach der Vor&#x017F;tellung des gewöhnlichen<lb/>
Lebens Eigenthum beilegten, und macht ihn darum zum <hi rendition="#aq">paterfamilias.</hi></note><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0230] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Wir haben einen entſcheidenden Geſichtspunkt, der unſere bei- den Verhältniſſe erſt ins rechte Licht ſetzt, bis zuletzt aufgeſpart. Zu den oben (S. 146 u. fl.) angegebenen Einflüſſen, durch welche die rechtliche Unbeſchränktheit des Subjekts faktiſch moderirt und beſtimmt erſchien, geſellt ſich nämlich für das Familienleben noch ein unendlich wichtiger und einflußreicher Faktor hinzu, das iſt die Familie ſelbſt. Der natürlich-ſittliche Zuſammen- hang des Einzelnen mit ſeiner Familie, der in der Gentilver- faſſung rechtliche Geſtaltung gewonnen hatte, in dem Recht der gegenwärtigen Periode aber der abſtracten Perſönlichkeit geopfert worden war, ward durch die Sitte wieder zur Geltung gebracht. Die Bande, die das Recht fallen ließ, um die reine, zu ihrem abſoluten Für-Sich-Sein gebrachte Rechtsperſönlich- keit zu gewinnen, die Sitte nahm ſie auf, um ſie nur um ſo feſter wieder zu knüpfen, um der Familie einen Antheil an dem 324) 324) sunt, id apud virum necesse est permanere. Daher werden die Kinder ſelbſt domini und heri genannt z. B. bei Plautus Capt. Prolog. 18: Domo quem profugiens dominum abstulerat, vendidit, Asin. II. 2, 63 heres ma- jor … minor hic est intus, Capt III. 5, 49 herum servavi (den Sohn) .. cui me custodem addiderat herus major meus. Daher auch die cura pro- digi im Intereſſe der Kinder. — Mit dem peculium verhält es ſich hier, wie bei den Sklaven, nur daß es oft unendlich größer war. Manche römiſche filiifamilias hatten bereits bei Lebzeiten ihres Vaters ein bedeutendes Ver- mögen in Händen, führten einen eignen Haushalt und machten großen Auf- wand, ohne daß ihre Unfähigkeit, eignes Vermögen zu beſitzen, je eine prak- tiſche Folge gehabt hätte. Man denke ſich, daß ein Vater ſeinem Sohn, der eine hervorragende Stellung im Leben einnahm, die höchſten Ehrenämter be- kleidete, eigne Familie hatte u. ſ. w. plötzlich aus reiner Laune ſein Vermö- gen hätte entziehen ſollen! So etwas iſt auf dem Papiere leicht geſagt, aber im Leben ſtellt ſich die Sache doch etwas anders. Ein ſolcher ſelbſtändiger Haushalt und faktiſche Unabhängigkeit des erwachſenen Sohnes kam ſchon in älteſter Zeit vor, z. B. erwähnen einige Autoren bereits beim Sp. Cassius, dem Urheber der erſten lex agraria (U. C. 261) ein peculium. Val. Max. V. 8. 2. VI. 3. 1 (domum). Liv. II. 41 (.. signum inde factum et in- scriptum: ex cassia familia datum). Dionys. VIII. 78 nimmt Anſtoß daran, daß ſeine Quellen dem Caſſius nach der Vorſtellung des gewöhnlichen Lebens Eigenthum beilegten, und macht ihn darum zum paterfamilias.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/230
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/230>, abgerufen am 24.11.2024.