Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Oeffentl. Maßregeln. §. 34. Für gewöhnliche Zeiten gehörte das Getraidewesen zur Kompe-tenz der Aedilen, für besondere Nothzustände ward wohl ein eigner Beamter (praefectus annonae) oder eine Commission er- nannt. Die Fürsorge dieser Personen äußerte sich zunächst darin, daß sie dem verderblichen Wirken des Kornwuchers entgegentra- ten,398) sodann darin,399) daß sie auswärts auf eigne oder auf Kosten des Staats Getraide aufkaufen und dasselbe zu einem mä- ßigen Preis an die Bedürftigen verabfolgen ließen. Völlig unent- geltliche Vertheilung des Getraides, wie gegen das Ende der Re- publik in Gemäßheit eines Gesetzes von Clodius kam anfänglich nicht vor. Daß aber der Staat oder der Beamte dennoch schenkte d. h. unter dem Einkaufspreis verkaufte, wird nicht bloß aus- drücklich bezeugt,400) sondern es läßt sich auch von vornherein an- nehmen, daß er bei einem Preise von Einem As und darunter für den Modius, wie er uns für verschiedene Zeiten bezeugt wird,401) nicht seine Rechnung finden konnte.402) Diese Sorge für das lassen mußten (L. 27 §. 3 de usufr. L. 18 §. 25 de muner). Sie steht mit der Sorge für die Wohlfeilheit der Lebensmittel in den Municipien in Ver- bindung" u. s. w. 398) Theils durch polizeiliche und kriminelle Verfolgung desselben, Liv. XXXVIII, 35. IV, 12: et objiciendo irae populi frumentarios, Rein Kriminalrecht der Römer S. 829, theils dadurch, daß sie mittelst der im Text besprochenen Concurrenz die Preise herabdrückten Plin. H. N. XVIII, 4. 399) In der äußersten Noth ergriff einmal ein Praefectus annonae ein sehr gewaltsames Mittel, das freilich wie alle derartige Eingriffe seinen Zweck völlig verfehlte; er verordnete nämlich, daß jeder seine Vorräthe angeben und, soweit sie den Bedarf eines Monats überstiegen, verkaufen solle, Liv. IV, 12. 400) Plin. H. N. XVIII, 4 .. frumentum populo in modios assibus donavit. 401) Außer den Beispielen auf S. 244, Anm. 365 s. Liv. XXX, 26. XXXI, 4 (quaternis aeris 4/12 As) XXX, 50 und XXXIII, 42 (binis aeris 2/12 As). Epitome LX. (lex frumentaria des C. Gracchus: ut se- misse et triente [ 5/6 As] frumentum plebi daretur). 402) Der Preis war ein sehr niedriger, denn der Marktpreis des Wei-
zens betrug in guten Zeiten etwa 3 Sesterzen für den Modius, also dreimal so viel als der Modius dem Volk abgelassen ward, wenn man das Pfund-As nur zu einem Sesterz rechnete. Nach Rubino's plausibler Annahme (a. a. O. A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Oeffentl. Maßregeln. §. 34. Für gewöhnliche Zeiten gehörte das Getraideweſen zur Kompe-tenz der Aedilen, für beſondere Nothzuſtände ward wohl ein eigner Beamter (praefectus annonae) oder eine Commiſſion er- nannt. Die Fürſorge dieſer Perſonen äußerte ſich zunächſt darin, daß ſie dem verderblichen Wirken des Kornwuchers entgegentra- ten,398) ſodann darin,399) daß ſie auswärts auf eigne oder auf Koſten des Staats Getraide aufkaufen und daſſelbe zu einem mä- ßigen Preis an die Bedürftigen verabfolgen ließen. Völlig unent- geltliche Vertheilung des Getraides, wie gegen das Ende der Re- publik in Gemäßheit eines Geſetzes von Clodius kam anfänglich nicht vor. Daß aber der Staat oder der Beamte dennoch ſchenkte d. h. unter dem Einkaufspreis verkaufte, wird nicht bloß aus- drücklich bezeugt,400) ſondern es läßt ſich auch von vornherein an- nehmen, daß er bei einem Preiſe von Einem As und darunter für den Modius, wie er uns für verſchiedene Zeiten bezeugt wird,401) nicht ſeine Rechnung finden konnte.402) Dieſe Sorge für das laſſen mußten (L. 27 §. 3 de usufr. L. 18 §. 25 de muner). Sie ſteht mit der Sorge für die Wohlfeilheit der Lebensmittel in den Municipien in Ver- bindung“ u. ſ. w. 398) Theils durch polizeiliche und kriminelle Verfolgung deſſelben, Liv. XXXVIII, 35. IV, 12: et objiciendo irae populi frumentarios, Rein Kriminalrecht der Römer S. 829, theils dadurch, daß ſie mittelſt der im Text beſprochenen Concurrenz die Preiſe herabdrückten Plin. H. N. XVIII, 4. 399) In der äußerſten Noth ergriff einmal ein Praefectus annonae ein ſehr gewaltſames Mittel, das freilich wie alle derartige Eingriffe ſeinen Zweck völlig verfehlte; er verordnete nämlich, daß jeder ſeine Vorräthe angeben und, ſoweit ſie den Bedarf eines Monats überſtiegen, verkaufen ſolle, Liv. IV, 12. 400) Plin. H. N. XVIII, 4 .. frumentum populo in modios assibus donavit. 401) Außer den Beiſpielen auf S. 244, Anm. 365 ſ. Liv. XXX, 26. XXXI, 4 (quaternis aeris 4/12 As) XXX, 50 und XXXIII, 42 (binis aeris 2/12 As). Epitome LX. (lex frumentaria des C. Gracchus: ut se- misse et triente [⅚ As] frumentum plebi daretur). 402) Der Preis war ein ſehr niedriger, denn der Marktpreis des Wei-
zens betrug in guten Zeiten etwa 3 Seſterzen für den Modius, alſo dreimal ſo viel als der Modius dem Volk abgelaſſen ward, wenn man das Pfund-As nur zu einem Seſterz rechnete. Nach Rubino’s plauſibler Annahme (a. a. O. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0277" n="263"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Oeffentl. Maßregeln. §. 34.</fw><lb/> Für gewöhnliche Zeiten gehörte das Getraideweſen zur Kompe-<lb/> tenz der Aedilen, für beſondere Nothzuſtände ward wohl ein<lb/> eigner Beamter (<hi rendition="#aq">praefectus annonae</hi>) oder eine Commiſſion er-<lb/> nannt. Die Fürſorge dieſer Perſonen äußerte ſich zunächſt darin,<lb/> daß ſie dem verderblichen Wirken des Kornwuchers entgegentra-<lb/> ten,<note place="foot" n="398)">Theils durch polizeiliche und kriminelle Verfolgung deſſelben, <hi rendition="#aq">Liv.<lb/> XXXVIII, 35. IV, 12: et objiciendo irae populi frumentarios,</hi> Rein<lb/> Kriminalrecht der Römer S. 829, theils dadurch, daß ſie mittelſt der im Text<lb/> beſprochenen Concurrenz die Preiſe herabdrückten <hi rendition="#aq">Plin. H. N. XVIII,</hi> 4.</note> ſodann darin,<note place="foot" n="399)">In der äußerſten Noth ergriff einmal ein <hi rendition="#aq">Praefectus annonae</hi> ein<lb/> ſehr gewaltſames Mittel, das freilich wie alle derartige Eingriffe ſeinen Zweck<lb/> völlig verfehlte; er verordnete nämlich, daß jeder ſeine Vorräthe angeben und,<lb/> ſoweit ſie den Bedarf eines Monats überſtiegen, verkaufen ſolle, <hi rendition="#aq">Liv. IV,</hi> 12.</note> daß ſie auswärts auf eigne oder auf<lb/> Koſten des Staats Getraide aufkaufen und daſſelbe zu einem mä-<lb/> ßigen Preis an die Bedürftigen verabfolgen ließen. Völlig unent-<lb/> geltliche Vertheilung des Getraides, wie gegen das Ende der Re-<lb/> publik in Gemäßheit eines Geſetzes von Clodius kam anfänglich<lb/> nicht vor. Daß aber der Staat oder der Beamte dennoch ſchenkte<lb/> d. h. unter dem Einkaufspreis verkaufte, wird nicht bloß aus-<lb/> drücklich bezeugt,<note place="foot" n="400)"><hi rendition="#aq">Plin. H. N. XVIII, 4 .. frumentum populo in modios assibus<lb/><hi rendition="#g">donavit.</hi></hi></note> ſondern es läßt ſich auch von vornherein an-<lb/> nehmen, daß er bei einem Preiſe von Einem As und darunter für<lb/> den Modius, wie er uns für verſchiedene Zeiten bezeugt wird,<note place="foot" n="401)">Außer den Beiſpielen auf S. 244, Anm. 365 ſ. <hi rendition="#aq">Liv. XXX, 26.<lb/> XXXI, 4 (quaternis aeris</hi> 4/12 As) <hi rendition="#aq">XXX,</hi> 50 und <hi rendition="#aq">XXXIII, 42 (binis<lb/> aeris</hi> 2/12 As). <hi rendition="#aq">Epitome LX. (lex frumentaria</hi> des C. Gracchus: <hi rendition="#aq">ut se-<lb/> misse et triente</hi> [⅚ As] <hi rendition="#aq">frumentum plebi daretur).</hi></note><lb/> nicht ſeine Rechnung finden konnte.<note xml:id="seg2pn_40_1" next="#seg2pn_40_2" place="foot" n="402)">Der Preis war ein ſehr niedriger, denn der Marktpreis des Wei-<lb/> zens betrug in guten Zeiten etwa 3 Seſterzen für den Modius, alſo dreimal<lb/> ſo viel als der Modius dem Volk abgelaſſen ward, wenn man das Pfund-As<lb/> nur zu einem Seſterz rechnete. Nach Rubino’s plauſibler Annahme (a. a. O.</note> Dieſe Sorge für das<lb/><note xml:id="seg2pn_39_2" prev="#seg2pn_39_1" place="foot" n="397)">laſſen mußten (<hi rendition="#aq">L. 27 §. 3 de usufr. L. 18 §. 25 de muner</hi>). Sie ſteht mit<lb/> der Sorge für die Wohlfeilheit der Lebensmittel in den Municipien in Ver-<lb/> bindung“ u. ſ. w.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [263/0277]
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Oeffentl. Maßregeln. §. 34.
Für gewöhnliche Zeiten gehörte das Getraideweſen zur Kompe-
tenz der Aedilen, für beſondere Nothzuſtände ward wohl ein
eigner Beamter (praefectus annonae) oder eine Commiſſion er-
nannt. Die Fürſorge dieſer Perſonen äußerte ſich zunächſt darin,
daß ſie dem verderblichen Wirken des Kornwuchers entgegentra-
ten, 398) ſodann darin, 399) daß ſie auswärts auf eigne oder auf
Koſten des Staats Getraide aufkaufen und daſſelbe zu einem mä-
ßigen Preis an die Bedürftigen verabfolgen ließen. Völlig unent-
geltliche Vertheilung des Getraides, wie gegen das Ende der Re-
publik in Gemäßheit eines Geſetzes von Clodius kam anfänglich
nicht vor. Daß aber der Staat oder der Beamte dennoch ſchenkte
d. h. unter dem Einkaufspreis verkaufte, wird nicht bloß aus-
drücklich bezeugt, 400) ſondern es läßt ſich auch von vornherein an-
nehmen, daß er bei einem Preiſe von Einem As und darunter für
den Modius, wie er uns für verſchiedene Zeiten bezeugt wird, 401)
nicht ſeine Rechnung finden konnte. 402) Dieſe Sorge für das
397)
398) Theils durch polizeiliche und kriminelle Verfolgung deſſelben, Liv.
XXXVIII, 35. IV, 12: et objiciendo irae populi frumentarios, Rein
Kriminalrecht der Römer S. 829, theils dadurch, daß ſie mittelſt der im Text
beſprochenen Concurrenz die Preiſe herabdrückten Plin. H. N. XVIII, 4.
399) In der äußerſten Noth ergriff einmal ein Praefectus annonae ein
ſehr gewaltſames Mittel, das freilich wie alle derartige Eingriffe ſeinen Zweck
völlig verfehlte; er verordnete nämlich, daß jeder ſeine Vorräthe angeben und,
ſoweit ſie den Bedarf eines Monats überſtiegen, verkaufen ſolle, Liv. IV, 12.
400) Plin. H. N. XVIII, 4 .. frumentum populo in modios assibus
donavit.
401) Außer den Beiſpielen auf S. 244, Anm. 365 ſ. Liv. XXX, 26.
XXXI, 4 (quaternis aeris 4/12 As) XXX, 50 und XXXIII, 42 (binis
aeris 2/12 As). Epitome LX. (lex frumentaria des C. Gracchus: ut se-
misse et triente [⅚ As] frumentum plebi daretur).
402) Der Preis war ein ſehr niedriger, denn der Marktpreis des Wei-
zens betrug in guten Zeiten etwa 3 Seſterzen für den Modius, alſo dreimal
ſo viel als der Modius dem Volk abgelaſſen ward, wenn man das Pfund-As
nur zu einem Seſterz rechnete. Nach Rubino’s plauſibler Annahme (a. a. O.
397) laſſen mußten (L. 27 §. 3 de usufr. L. 18 §. 25 de muner). Sie ſteht mit
der Sorge für die Wohlfeilheit der Lebensmittel in den Municipien in Ver-
bindung“ u. ſ. w.
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