B. Stellung der Magistratur. -- Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35.
zu suchen, hat man dem ganzen Institut der Vormundschaft einen Zuschnitt gegeben, der, auf völlig unfähige Vormünder berechnet, den tüchtigen aller Orten hemmt und lähmt und ihm alle Lust und Freude an seinem Amt verkümmert.
Die absurdeste Consequenz, zu der es diese Politik der Angst gebracht, war wohl die, daß man den Feldherrn, der dem Feinde gegenüberstand, unter die Leitung einer entfernten Kriegskanzlei stellte, ihn anwies, sich von ihr die Autorisation zur Schlacht und die Genehmigung des Schlachtplanes einzu- holen.
Es ist nun nicht meine Absicht, dieses unser heutiges System schlechthin einer Kritik zu unterwerfen, sondern nur von einem ganz bestimmten Gesichtspunkte aus. Ich habe es früher als das Recht und Bedürfniß der Persönlichkeit bezeichnet, sich in freier, schöpferisch gestaltender Weise zu bethätigen. Das Be- dürfniß einer solchen Thätigkeit beschränkt sich aber nicht auf den engen Kreis der privatrechtlichen Existenz, sondern wohin die Persönlichkeit sich wendet, im öffentlichen Leben, in Kunst und Wissenschaft, da bringt sie diesen Trieb mit sich, und in demselben Maße, in dem sie Gelegenheit findet, ihn zu befriedi- gen, stellt sich jene Liebe zum Beruf ein, die gerade in der Hin- gebung, die sie bewähren, und den Opfern, die sie bringen darf, ihre Befriedigung und ihr Glück findet. Dieses heilige Feuer wahrer Liebe, dieser höhere Schwung der Persönlichkeit wird aber nur durch die Ekstase, in die das Schaffen, das freie Wirken sie versetzt, geweckt. Beraubt die Persönlichkeit der Frei- heit, umgebt sie von allen Seiten mit einem Netz von Beschrän- kungen, -- und jener ganze Reichthum sittlicher Kräfte, die in der Persönlichkeit schlummern, geht für die Aufgabe, die ihr gestellt ist, verloren. Allerdings gibt es im Staat wie auf dem Gebiete des Geistes Stellungen und Aufgaben, die ihrer Natur nach ein freies Wirken und eine schöpferische Thätigkeit aus- schließen und lediglich Handlangerdienste erfordern und zulassen: sie machen das Wesen des subalternen Berufs aus. Wer sich
B. Stellung der Magiſtratur. — Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35.
zu ſuchen, hat man dem ganzen Inſtitut der Vormundſchaft einen Zuſchnitt gegeben, der, auf völlig unfähige Vormünder berechnet, den tüchtigen aller Orten hemmt und lähmt und ihm alle Luſt und Freude an ſeinem Amt verkümmert.
Die abſurdeſte Conſequenz, zu der es dieſe Politik der Angſt gebracht, war wohl die, daß man den Feldherrn, der dem Feinde gegenüberſtand, unter die Leitung einer entfernten Kriegskanzlei ſtellte, ihn anwies, ſich von ihr die Autoriſation zur Schlacht und die Genehmigung des Schlachtplanes einzu- holen.
Es iſt nun nicht meine Abſicht, dieſes unſer heutiges Syſtem ſchlechthin einer Kritik zu unterwerfen, ſondern nur von einem ganz beſtimmten Geſichtspunkte aus. Ich habe es früher als das Recht und Bedürfniß der Perſönlichkeit bezeichnet, ſich in freier, ſchöpferiſch geſtaltender Weiſe zu bethätigen. Das Be- dürfniß einer ſolchen Thätigkeit beſchränkt ſich aber nicht auf den engen Kreis der privatrechtlichen Exiſtenz, ſondern wohin die Perſönlichkeit ſich wendet, im öffentlichen Leben, in Kunſt und Wiſſenſchaft, da bringt ſie dieſen Trieb mit ſich, und in demſelben Maße, in dem ſie Gelegenheit findet, ihn zu befriedi- gen, ſtellt ſich jene Liebe zum Beruf ein, die gerade in der Hin- gebung, die ſie bewähren, und den Opfern, die ſie bringen darf, ihre Befriedigung und ihr Glück findet. Dieſes heilige Feuer wahrer Liebe, dieſer höhere Schwung der Perſönlichkeit wird aber nur durch die Ekſtaſe, in die das Schaffen, das freie Wirken ſie verſetzt, geweckt. Beraubt die Perſönlichkeit der Frei- heit, umgebt ſie von allen Seiten mit einem Netz von Beſchrän- kungen, — und jener ganze Reichthum ſittlicher Kräfte, die in der Perſönlichkeit ſchlummern, geht für die Aufgabe, die ihr geſtellt iſt, verloren. Allerdings gibt es im Staat wie auf dem Gebiete des Geiſtes Stellungen und Aufgaben, die ihrer Natur nach ein freies Wirken und eine ſchöpferiſche Thätigkeit aus- ſchließen und lediglich Handlangerdienſte erfordern und zulaſſen: ſie machen das Weſen des ſubalternen Berufs aus. Wer ſich
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B. Stellung der Magiſtratur. — Das Bedürfniß der Freiheit. §. 35.
zu ſuchen, hat man dem ganzen Inſtitut der Vormundſchaft
einen Zuſchnitt gegeben, der, auf völlig unfähige Vormünder
berechnet, den tüchtigen aller Orten hemmt und lähmt und ihm
alle Luſt und Freude an ſeinem Amt verkümmert.
Die abſurdeſte Conſequenz, zu der es dieſe Politik der Angſt
gebracht, war wohl die, daß man den Feldherrn, der dem
Feinde gegenüberſtand, unter die Leitung einer entfernten
Kriegskanzlei ſtellte, ihn anwies, ſich von ihr die Autoriſation
zur Schlacht und die Genehmigung des Schlachtplanes einzu-
holen.
Es iſt nun nicht meine Abſicht, dieſes unſer heutiges Syſtem
ſchlechthin einer Kritik zu unterwerfen, ſondern nur von einem
ganz beſtimmten Geſichtspunkte aus. Ich habe es früher als
das Recht und Bedürfniß der Perſönlichkeit bezeichnet, ſich in
freier, ſchöpferiſch geſtaltender Weiſe zu bethätigen. Das Be-
dürfniß einer ſolchen Thätigkeit beſchränkt ſich aber nicht auf
den engen Kreis der privatrechtlichen Exiſtenz, ſondern wohin
die Perſönlichkeit ſich wendet, im öffentlichen Leben, in Kunſt
und Wiſſenſchaft, da bringt ſie dieſen Trieb mit ſich, und in
demſelben Maße, in dem ſie Gelegenheit findet, ihn zu befriedi-
gen, ſtellt ſich jene Liebe zum Beruf ein, die gerade in der Hin-
gebung, die ſie bewähren, und den Opfern, die ſie bringen
darf, ihre Befriedigung und ihr Glück findet. Dieſes heilige
Feuer wahrer Liebe, dieſer höhere Schwung der Perſönlichkeit
wird aber nur durch die Ekſtaſe, in die das Schaffen, das freie
Wirken ſie verſetzt, geweckt. Beraubt die Perſönlichkeit der Frei-
heit, umgebt ſie von allen Seiten mit einem Netz von Beſchrän-
kungen, — und jener ganze Reichthum ſittlicher Kräfte, die in
der Perſönlichkeit ſchlummern, geht für die Aufgabe, die ihr
geſtellt iſt, verloren. Allerdings gibt es im Staat wie auf dem
Gebiete des Geiſtes Stellungen und Aufgaben, die ihrer Natur
nach ein freies Wirken und eine ſchöpferiſche Thätigkeit aus-
ſchließen und lediglich Handlangerdienſte erfordern und zulaſſen:
ſie machen das Weſen des ſubalternen Berufs aus. Wer ſich
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/285>, abgerufen am 17.06.2024.
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