Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Der Selbständigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. entgegensetzt. Sodann aber: stützte sich nicht auch das Jus wiealles, was im römischen Staat bestand und geschah, wenigstens auf die Zustimmung der Götter, wenn es auch nur den Willen des Volks zu seinem Inhalt hatte?44) Man nenne immerhin die Einholung der Zustimmung der Götter durch die Auspicien eine leere Formalität, durch die das Volk sich in sei- nem materiellen Wollen nicht beschränkt finden konnte: erkann- ten denn die Römer für dies Wollen nicht Rechtsprinzipien, also objektive Schranken an? Ich erinnere zuerst an die bekannte Klausel der Gesetzvorschläge: si quid jus non esset rogari, ejus ea lege nihilum rogatum.45) Diese Klausel allein, sollte ich sa- gen, würde schon den Versuch, die Idee von der Omnipotenz der Volkssouveränetät aus der heutigen Zeit ins römische Alterthum hinein zu übertragen, unmöglich machen. Man lese dazu nun die Ausführungen Ciceros, der mit klaren Worten jene Omni- potenz der Volksgewalt in Abrede und ihr das Prinzip des sub- jektiven Rechts als unantastbare Schranke gegenüber stellt.46) Auch an einer andern Stelle berührt er dieselbe Frage, und man kann nicht bestimmter und deutlicher jene ganze Idee verwerfen, 44) Ich habe bei der folgenden Widerlegung manche Gründe, die sich uns im Verlauf der spätern Darstellung noch ergeben werden, gar nicht geltend gemacht. Ihre Benutzung an dieser Stelle würde ein näheres Eingehen er- fordern, als es mit dem Grade der Beachtung, die die Schmidt'sche Idee be- anspruchen darf, im Verhältniß stehen würde. 45) Brisson. de voc. ac. form. Lib. II. c. 19. 46) Cic. pro Caecina c. 33: Quid est, quod jus non sit, quod populus
jubere aut vetare non possit? Ut ne longius abeam (d. h. also: um nicht anderer Gründe, deren es mithin gibt, zu gedenken) declarat ista adscriptio esse aliquid. Nam nisi esset, hoc in omnibus legibus non adscriberetur. Sed quaero abs te, putesne si populus jusserit, me tuum aut item te meum servum esse, id jussum ratum atque firmum futurum? Perspicis hoc nihil esse. Primum illud concedis: non quidquid populus jus- serit, ratum esse oportere; pro Balbo c. 13: O jura praeclara atque divinitus jam inde a principio Romani nominis a majoribus nostris comparata, ne quis .... invitus civitate mutetur, neve in civitate ma I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26. entgegenſetzt. Sodann aber: ſtützte ſich nicht auch das Jus wiealles, was im römiſchen Staat beſtand und geſchah, wenigſtens auf die Zuſtimmung der Götter, wenn es auch nur den Willen des Volks zu ſeinem Inhalt hatte?44) Man nenne immerhin die Einholung der Zuſtimmung der Götter durch die Auſpicien eine leere Formalität, durch die das Volk ſich in ſei- nem materiellen Wollen nicht beſchränkt finden konnte: erkann- ten denn die Römer für dies Wollen nicht Rechtsprinzipien, alſo objektive Schranken an? Ich erinnere zuerſt an die bekannte Klauſel der Geſetzvorſchläge: si quid jus non esset rogari, ejus ea lege nihilum rogatum.45) Dieſe Klauſel allein, ſollte ich ſa- gen, würde ſchon den Verſuch, die Idee von der Omnipotenz der Volksſouveränetät aus der heutigen Zeit ins römiſche Alterthum hinein zu übertragen, unmöglich machen. Man leſe dazu nun die Ausführungen Ciceros, der mit klaren Worten jene Omni- potenz der Volksgewalt in Abrede und ihr das Prinzip des ſub- jektiven Rechts als unantaſtbare Schranke gegenüber ſtellt.46) Auch an einer andern Stelle berührt er dieſelbe Frage, und man kann nicht beſtimmter und deutlicher jene ganze Idee verwerfen, 44) Ich habe bei der folgenden Widerlegung manche Gründe, die ſich uns im Verlauf der ſpätern Darſtellung noch ergeben werden, gar nicht geltend gemacht. Ihre Benutzung an dieſer Stelle würde ein näheres Eingehen er- fordern, als es mit dem Grade der Beachtung, die die Schmidt’ſche Idee be- anſpruchen darf, im Verhältniß ſtehen würde. 45) Brisson. de voc. ac. form. Lib. II. c. 19. 46) Cic. pro Caecina c. 33: Quid est, quod jus non sit, quod populus
jubere aut vetare non possit? Ut ne longius abeam (d. h. alſo: um nicht anderer Gründe, deren es mithin gibt, zu gedenken) declarat ista adscriptio esse aliquid. Nam nisi esset, hoc in omnibus legibus non adscriberetur. Sed quaero abs te, putesne si populus jusserit, me tuum aut item te meum servum esse, id jussum ratum atque firmum futurum? Perspicis hoc nihil esse. Primum illud concedis: non quidquid populus jus- serit, ratum esse oportere; pro Balbo c. 13: O jura praeclara atque divinitus jam inde a principio Romani nominis a majoribus nostris comparata, ne quis .... invitus civitate mutetur, neve in civitate ma <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0073" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26.</fw><lb/> entgegenſetzt. Sodann aber: ſtützte ſich nicht auch das <hi rendition="#aq">Jus</hi> wie<lb/> alles, was im römiſchen Staat beſtand und geſchah, wenigſtens<lb/> auf die <hi rendition="#g">Zuſtimmung</hi> der Götter, wenn es auch nur den<lb/> Willen des Volks zu ſeinem <hi rendition="#g">Inhalt</hi> hatte?<note place="foot" n="44)">Ich habe bei der folgenden Widerlegung manche Gründe, die ſich uns<lb/> im Verlauf der ſpätern Darſtellung noch ergeben werden, gar nicht geltend<lb/> gemacht. Ihre Benutzung an dieſer Stelle würde ein näheres Eingehen er-<lb/> fordern, als es mit dem Grade der Beachtung, die die Schmidt’ſche Idee be-<lb/> anſpruchen darf, im Verhältniß ſtehen würde.</note> Man nenne<lb/> immerhin die Einholung der Zuſtimmung der Götter durch die<lb/> Auſpicien eine leere Formalität, durch die das Volk ſich in ſei-<lb/> nem materiellen Wollen nicht beſchränkt finden konnte: erkann-<lb/> ten denn die Römer für dies Wollen nicht Rechtsprinzipien, alſo<lb/> objektive Schranken an? Ich erinnere zuerſt an die bekannte<lb/> Klauſel der Geſetzvorſchläge: <hi rendition="#aq">si quid jus non esset rogari, ejus<lb/> ea lege nihilum rogatum</hi>.<note place="foot" n="45)"><hi rendition="#aq">Brisson. de voc. ac. form. Lib. II. c.</hi> 19.</note> Dieſe Klauſel allein, ſollte ich ſa-<lb/> gen, würde ſchon den Verſuch, die Idee von der Omnipotenz der<lb/> Volksſouveränetät aus der heutigen Zeit ins römiſche Alterthum<lb/> hinein zu übertragen, unmöglich machen. Man leſe dazu nun<lb/> die Ausführungen Ciceros, der mit klaren Worten jene Omni-<lb/> potenz der Volksgewalt in Abrede und ihr das Prinzip des ſub-<lb/> jektiven Rechts als unantaſtbare Schranke gegenüber ſtellt.<note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="46)"><hi rendition="#aq">Cic. pro Caecina c. 33: Quid est, quod jus non sit, quod populus<lb/> jubere aut vetare non possit? Ut ne longius abeam</hi> (d. h. alſo: um nicht<lb/> anderer Gründe, deren es mithin gibt, zu gedenken) <hi rendition="#aq">declarat ista adscriptio<lb/> esse aliquid. Nam nisi esset, hoc in omnibus legibus non adscriberetur.<lb/> Sed quaero abs te, putesne si populus jusserit, me tuum aut item te meum<lb/> servum esse, id jussum ratum atque firmum futurum? Perspicis hoc<lb/> nihil esse. Primum illud concedis: <hi rendition="#g">non quidquid populus jus-<lb/> serit, ratum esse oportere</hi>; pro Balbo c. 13: O jura praeclara<lb/> atque divinitus jam inde a principio Romani nominis a majoribus nostris<lb/> comparata, ne quis .... invitus civitate mutetur, neve in civitate ma</hi></note><lb/> Auch an einer andern Stelle berührt er dieſelbe Frage, und man<lb/> kann nicht beſtimmter und deutlicher jene ganze Idee verwerfen,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0073]
I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 2. Zu-Sich-Kommen des Rechts. §. 26.
entgegenſetzt. Sodann aber: ſtützte ſich nicht auch das Jus wie
alles, was im römiſchen Staat beſtand und geſchah, wenigſtens
auf die Zuſtimmung der Götter, wenn es auch nur den
Willen des Volks zu ſeinem Inhalt hatte? 44) Man nenne
immerhin die Einholung der Zuſtimmung der Götter durch die
Auſpicien eine leere Formalität, durch die das Volk ſich in ſei-
nem materiellen Wollen nicht beſchränkt finden konnte: erkann-
ten denn die Römer für dies Wollen nicht Rechtsprinzipien, alſo
objektive Schranken an? Ich erinnere zuerſt an die bekannte
Klauſel der Geſetzvorſchläge: si quid jus non esset rogari, ejus
ea lege nihilum rogatum. 45) Dieſe Klauſel allein, ſollte ich ſa-
gen, würde ſchon den Verſuch, die Idee von der Omnipotenz der
Volksſouveränetät aus der heutigen Zeit ins römiſche Alterthum
hinein zu übertragen, unmöglich machen. Man leſe dazu nun
die Ausführungen Ciceros, der mit klaren Worten jene Omni-
potenz der Volksgewalt in Abrede und ihr das Prinzip des ſub-
jektiven Rechts als unantaſtbare Schranke gegenüber ſtellt. 46)
Auch an einer andern Stelle berührt er dieſelbe Frage, und man
kann nicht beſtimmter und deutlicher jene ganze Idee verwerfen,
44) Ich habe bei der folgenden Widerlegung manche Gründe, die ſich uns
im Verlauf der ſpätern Darſtellung noch ergeben werden, gar nicht geltend
gemacht. Ihre Benutzung an dieſer Stelle würde ein näheres Eingehen er-
fordern, als es mit dem Grade der Beachtung, die die Schmidt’ſche Idee be-
anſpruchen darf, im Verhältniß ſtehen würde.
45) Brisson. de voc. ac. form. Lib. II. c. 19.
46) Cic. pro Caecina c. 33: Quid est, quod jus non sit, quod populus
jubere aut vetare non possit? Ut ne longius abeam (d. h. alſo: um nicht
anderer Gründe, deren es mithin gibt, zu gedenken) declarat ista adscriptio
esse aliquid. Nam nisi esset, hoc in omnibus legibus non adscriberetur.
Sed quaero abs te, putesne si populus jusserit, me tuum aut item te meum
servum esse, id jussum ratum atque firmum futurum? Perspicis hoc
nihil esse. Primum illud concedis: non quidquid populus jus-
serit, ratum esse oportere; pro Balbo c. 13: O jura praeclara
atque divinitus jam inde a principio Romani nominis a majoribus nostris
comparata, ne quis .... invitus civitate mutetur, neve in civitate ma
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