Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. daß das Gesetz selbst an Inhalt gewinnt, sondern daß es auchallseitig Wurzeln treibt und mit der Totalität des Rechts ver- wächst. Anfänglich ein Ding für sich, wie das Samenkorn, ist es, seitdem es Wurzeln geschlagen, ein Theil des Ganzen ge- worden, und darin liegt schon, daß es sich nicht so leicht mehr entfernen läßt. Kehren wir jetzt zu dem Zwölftafeln-Gesetz zurück. Wir sag- 55) Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus esto. 56) Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto. 57) L. 4 de colleg. (47. 22) Gajus Lib. 4 ad leg. XII tab. Sodales
sunt, qui ejusdem collegii sunt, quam Graeci etairian vocant. His au- tem potestatem facit lex, pactionem, quam velint, sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. daß das Geſetz ſelbſt an Inhalt gewinnt, ſondern daß es auchallſeitig Wurzeln treibt und mit der Totalität des Rechts ver- wächſt. Anfänglich ein Ding für ſich, wie das Samenkorn, iſt es, ſeitdem es Wurzeln geſchlagen, ein Theil des Ganzen ge- worden, und darin liegt ſchon, daß es ſich nicht ſo leicht mehr entfernen läßt. Kehren wir jetzt zu dem Zwölftafeln-Geſetz zurück. Wir ſag- 55) Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus esto. 56) Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto. 57) L. 4 de colleg. (47. 22) Gajus Lib. 4 ad leg. XII tab. Sodales
sunt, qui ejusdem collegii sunt, quam Graeci ἑταιϱίαν vocant. His au- tem potestatem facit lex, pactionem, quam velint, sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0082" n="68"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> daß das Geſetz ſelbſt an Inhalt gewinnt, ſondern daß es auch<lb/> allſeitig Wurzeln treibt und mit der Totalität des Rechts ver-<lb/> wächſt. Anfänglich ein Ding für ſich, wie das Samenkorn, iſt<lb/> es, ſeitdem es Wurzeln geſchlagen, ein Theil des Ganzen ge-<lb/> worden, und darin liegt ſchon, daß es ſich nicht ſo leicht mehr<lb/> entfernen läßt.</p><lb/> <p>Kehren wir jetzt zu dem Zwölftafeln-Geſetz zurück. Wir ſag-<lb/> ten oben, daß ſeine Dauerhaftigkeit zum Theil in ſeiner ge-<lb/> ſunden Conſtitution ihren Grund gehabt habe. Dies ſoll hei-<lb/> ßen, daß die Beſchaffenheit des Geſetzes ein ſolches inneres Ge-<lb/> deihen und Wachsthum, von dem eben die Rede war, in hohem<lb/> Grade möglich gemacht habe. Die innere Bildungsfähigkeit der<lb/> Geſetze iſt begreiflicherweiſe verſchieden; es kann Geſetze geben,<lb/> bei denen ſich das innere Leben nur ſehr mühſam in geringem<lb/> Maße entwickelt, und andere, für die das Entgegengeſetzte gilt.<lb/> Zu dieſer letzteren Klaſſe gehörte unſer Geſetz. Einen Haupt-<lb/> grund ſeiner Bildungsfähigkeit finde ich darin, daß daſſelbe das<lb/> Prinzip der Autonomie in ausgedehnteſter Weiſe anerkannt<lb/> hatte ſowohl für das individuelle Rechtsleben hinſichtlich der<lb/> ſolennen Rechtsgeſchäfte <note place="foot" n="55)"><hi rendition="#aq">Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus<lb/> esto.</hi></note> unter Lebenden und der letztwilligen<lb/> Verfügungen, <note place="foot" n="56)"><hi rendition="#aq">Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto.</hi></note> als für das corporative Leben.<note place="foot" n="57)"><hi rendition="#aq">L. 4 de colleg. (47. 22) Gajus Lib. 4 ad leg. XII tab. Sodales<lb/> sunt, qui ejusdem collegii sunt, quam Graeci</hi> ἑταιϱίαν <hi rendition="#aq">vocant. His au-<lb/> tem potestatem facit lex, pactionem, quam velint, sibi ferre, dum ne<lb/> quid ex publica lege corrumpant</hi>.</note> Denn damit<lb/> war nicht bloß einerſeits die Gefahr, die der Bildungstrieb des<lb/> Lebens dem Geſetz hätte bereiten können, aus dem Wege ge-<lb/> räumt, da dieſem Triebe ja der weiteſte Spielraum geöffnet<lb/> war, ſondern andererſeits diente gerade die Bethätigung dieſes<lb/> Triebes recht zur Befeſtigung des Geſetzes, inſofern nämlich<lb/> der rechtliche Beſtand der Schöpfungen, die er hervorgebracht<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0082]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
daß das Geſetz ſelbſt an Inhalt gewinnt, ſondern daß es auch
allſeitig Wurzeln treibt und mit der Totalität des Rechts ver-
wächſt. Anfänglich ein Ding für ſich, wie das Samenkorn, iſt
es, ſeitdem es Wurzeln geſchlagen, ein Theil des Ganzen ge-
worden, und darin liegt ſchon, daß es ſich nicht ſo leicht mehr
entfernen läßt.
Kehren wir jetzt zu dem Zwölftafeln-Geſetz zurück. Wir ſag-
ten oben, daß ſeine Dauerhaftigkeit zum Theil in ſeiner ge-
ſunden Conſtitution ihren Grund gehabt habe. Dies ſoll hei-
ßen, daß die Beſchaffenheit des Geſetzes ein ſolches inneres Ge-
deihen und Wachsthum, von dem eben die Rede war, in hohem
Grade möglich gemacht habe. Die innere Bildungsfähigkeit der
Geſetze iſt begreiflicherweiſe verſchieden; es kann Geſetze geben,
bei denen ſich das innere Leben nur ſehr mühſam in geringem
Maße entwickelt, und andere, für die das Entgegengeſetzte gilt.
Zu dieſer letzteren Klaſſe gehörte unſer Geſetz. Einen Haupt-
grund ſeiner Bildungsfähigkeit finde ich darin, daß daſſelbe das
Prinzip der Autonomie in ausgedehnteſter Weiſe anerkannt
hatte ſowohl für das individuelle Rechtsleben hinſichtlich der
ſolennen Rechtsgeſchäfte 55) unter Lebenden und der letztwilligen
Verfügungen, 56) als für das corporative Leben. 57) Denn damit
war nicht bloß einerſeits die Gefahr, die der Bildungstrieb des
Lebens dem Geſetz hätte bereiten können, aus dem Wege ge-
räumt, da dieſem Triebe ja der weiteſte Spielraum geöffnet
war, ſondern andererſeits diente gerade die Bethätigung dieſes
Triebes recht zur Befeſtigung des Geſetzes, inſofern nämlich
der rechtliche Beſtand der Schöpfungen, die er hervorgebracht
55) Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus
esto.
56) Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto.
57) L. 4 de colleg. (47. 22) Gajus Lib. 4 ad leg. XII tab. Sodales
sunt, qui ejusdem collegii sunt, quam Graeci ἑταιϱίαν vocant. His au-
tem potestatem facit lex, pactionem, quam velint, sibi ferre, dum ne
quid ex publica lege corrumpant.
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