Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Der Selbständigkeitstrieb. 3. Selbsterhaltungstrieb des Rechts. §. 27. hatte, sich auf die im Gesetz enthaltene Anerkennung des Prin-zips der Autonomie gründete, letztere sich nicht als etwas außer dem Gesetz Existirendes neben dasselbe, sondern als etwas durch das Gesetz Existirendes unter dasselbe stellten.58) So gewährte gerade das Neue eine Garantie des Alten! Das Recht, das sich auf diesem Wege einer freien Entwick- 58) Nicht also als Gewohnheitsrecht, wie Puchta meint, sondern als gesetzliches Recht. 59) Wir werden auf die Jurisprudenz als auf ein wesentliches Element
des römischen Rechtslebens im letzten Abschnitt dieses Buches: "das Recht im Leben" zurückkommen. I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 3. Selbſterhaltungstrieb des Rechts. §. 27. hatte, ſich auf die im Geſetz enthaltene Anerkennung des Prin-zips der Autonomie gründete, letztere ſich nicht als etwas außer dem Geſetz Exiſtirendes neben daſſelbe, ſondern als etwas durch das Geſetz Exiſtirendes unter daſſelbe ſtellten.58) So gewährte gerade das Neue eine Garantie des Alten! Das Recht, das ſich auf dieſem Wege einer freien Entwick- 58) Nicht alſo als Gewohnheitsrecht, wie Puchta meint, ſondern als geſetzliches Recht. 59) Wir werden auf die Jurisprudenz als auf ein weſentliches Element
des römiſchen Rechtslebens im letzten Abſchnitt dieſes Buches: „das Recht im Leben“ zurückkommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0083" n="69"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Selbſtändigkeitstrieb. 3. Selbſterhaltungstrieb des Rechts. §. 27.</fw><lb/> hatte, ſich auf die im Geſetz enthaltene Anerkennung des Prin-<lb/> zips der Autonomie gründete, letztere ſich nicht als etwas <hi rendition="#g">außer</hi><lb/> dem Geſetz Exiſtirendes <hi rendition="#g">neben</hi> daſſelbe, ſondern als etwas<lb/><hi rendition="#g">durch</hi> das Geſetz Exiſtirendes <hi rendition="#g">unter</hi> daſſelbe ſtellten.<note place="foot" n="58)">Nicht alſo als Gewohnheitsrecht, wie Puchta meint, ſondern als<lb/> geſetzliches Recht.</note> So<lb/> gewährte gerade das Neue eine Garantie des Alten!</p><lb/> <p>Das Recht, das ſich auf dieſem Wege einer freien Entwick-<lb/> lung des Zwölftafeln-Geſetzes bildete, nennen die Römer <hi rendition="#aq">jus ci-<lb/> vile</hi> im engern Sinn, die Mitwirkung der Juriſten bei dieſem<lb/> Werke <hi rendition="#aq">interpretatio</hi>. Es war dies aber nicht eine bloße Ausle-<lb/> gung des Geſetzes, ſondern, wie dies auch urſprünglich im Na-<lb/> men liegt, eine Vermittlung zwiſchen dem geſchriebenen Recht<lb/> und dem Leben. Alſo die Zurichtung des Rechts zum Zweck der<lb/> gerichtlichen Geltendmachung, die prozeſſualiſche Formulirung<lb/> deſſelben, die Verarbeitung deſſelben zum Zweck des Verkehrs,<lb/> die Ausarbeitung von Formularen für Contrakte, Rechtsge-<lb/> ſchäfte, letztwillige Dispoſitionen aller Art, die Entdeckung von<lb/> Mitteln und Wegen, um rechtliche Zwecke, deren unmittelbare<lb/> Verfolgung hätte zweifelhaft ſein können, auf indirekte Weiſe<lb/> möglich zu machen. Die <hi rendition="#aq">interpretatio,</hi> wir wollen ſie die ältere<lb/> Jurisprudenz nennen, ſteht aber nicht da als eine bloße Diene-<lb/> rin des Rechtsverkehrs,<note place="foot" n="59)">Wir werden auf die Jurisprudenz als auf ein weſentliches Element<lb/> des römiſchen Rechtslebens im letzten Abſchnitt dieſes Buches: „das Recht<lb/> im Leben“ zurückkommen.</note> ſondern zugleich als Zuchtmeiſterin<lb/> und Wegweiſerin deſſelben. Durch die Zuziehung der Juriſten<lb/> zu allen Geſchäften des römiſchen Lebens ward es denſelben<lb/> möglich — was heutzutage, freilich in unendlich verringertem<lb/> Maße, unſern Notaren gleichfalls möglich wäre — den einzel-<lb/> nen Arten der Rechtsgeſchäfte durch die Redaction einen gewiſſen<lb/> typiſchen Inhalt, eine conſtante Erſcheinungsform zu verleihen,<lb/> durch ſtete Anwendung derſelben Formel des Rechtsgeſchäfts im<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0083]
I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 3. Selbſterhaltungstrieb des Rechts. §. 27.
hatte, ſich auf die im Geſetz enthaltene Anerkennung des Prin-
zips der Autonomie gründete, letztere ſich nicht als etwas außer
dem Geſetz Exiſtirendes neben daſſelbe, ſondern als etwas
durch das Geſetz Exiſtirendes unter daſſelbe ſtellten. 58) So
gewährte gerade das Neue eine Garantie des Alten!
Das Recht, das ſich auf dieſem Wege einer freien Entwick-
lung des Zwölftafeln-Geſetzes bildete, nennen die Römer jus ci-
vile im engern Sinn, die Mitwirkung der Juriſten bei dieſem
Werke interpretatio. Es war dies aber nicht eine bloße Ausle-
gung des Geſetzes, ſondern, wie dies auch urſprünglich im Na-
men liegt, eine Vermittlung zwiſchen dem geſchriebenen Recht
und dem Leben. Alſo die Zurichtung des Rechts zum Zweck der
gerichtlichen Geltendmachung, die prozeſſualiſche Formulirung
deſſelben, die Verarbeitung deſſelben zum Zweck des Verkehrs,
die Ausarbeitung von Formularen für Contrakte, Rechtsge-
ſchäfte, letztwillige Dispoſitionen aller Art, die Entdeckung von
Mitteln und Wegen, um rechtliche Zwecke, deren unmittelbare
Verfolgung hätte zweifelhaft ſein können, auf indirekte Weiſe
möglich zu machen. Die interpretatio, wir wollen ſie die ältere
Jurisprudenz nennen, ſteht aber nicht da als eine bloße Diene-
rin des Rechtsverkehrs, 59) ſondern zugleich als Zuchtmeiſterin
und Wegweiſerin deſſelben. Durch die Zuziehung der Juriſten
zu allen Geſchäften des römiſchen Lebens ward es denſelben
möglich — was heutzutage, freilich in unendlich verringertem
Maße, unſern Notaren gleichfalls möglich wäre — den einzel-
nen Arten der Rechtsgeſchäfte durch die Redaction einen gewiſſen
typiſchen Inhalt, eine conſtante Erſcheinungsform zu verleihen,
durch ſtete Anwendung derſelben Formel des Rechtsgeſchäfts im
58) Nicht alſo als Gewohnheitsrecht, wie Puchta meint, ſondern als
geſetzliches Recht.
59) Wir werden auf die Jurisprudenz als auf ein weſentliches Element
des römiſchen Rechtslebens im letzten Abſchnitt dieſes Buches: „das Recht
im Leben“ zurückkommen.
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