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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.
Liv. IV, 8) eine bedeutende Steigerung desselben zur Folge
haben mußte. Das Wachsen der Prätur aber war nur möglich
auf Kosten der Pontifices, und es ist außer Zweifel, daß letztere
schließlich ihre Gerichtsbarkeit d. h. die legis actio sacramento
an die Prätoren verloren haben, denn in der Darstellung dieser
legis actio bei Gajus ist nur vom Prätor die Rede. Die Ver-
änderung, die bei dem Uebergange derselben auf die Prätoren
eintrat, war eine doppelte; einmal nämlich die Verweltlichung
des sacramentum (dasselbe fiel jetzt ans Aerar statt wie früher
an den geistlichen Fond) und sodann der Erlaß der reellen Depo-
sition der Summe gegen Sicherheitsbestellung an den Prätor.
Allein bevor eine solche totale Reform des bisherigen Zustan-
des eintrat, muß dieselbe, wenn sich das Gesetz der historischen
Entwickelung in Rom hier nicht ausnahmsweise völlig sollte
verläugnet haben, allmählig vorbereitet gewesen sein, es muß
ein Uebergang Statt gefunden haben. Solche Uebergänge pfleg-
ten in Rom in der Weise zu erfolgen, daß dem Alten ein Neues
an die Seite gesetzt ward. Im vorliegenden Fall glaube ich nun,
daß dieser Uebergang durch die beiden Gesetze vermittelt ward,
welche nach Gajus die legis actio per condictionem einführten,
die lex Silia und Calpurnia. 559) Den Pontifices verblieb nach
wie vor die legis actio sacramento, allein da die neue Prozeß-
form einen entschiedenen Vortheil bot, nämlich die Ersparniß des
Succumbenzgeldes, so läßt sich annehmen, daß in Fällen, wo
sie anwendbar war (bei den actiones in personam auf Geld
und andern res certae direct, bei act. in rem durch Einkleidung
derselben in eine sponsio praejudicialis d. h. also in allen
Fällen der pontificischen Competenz), sich kaum Jemand mehr
an die Pontifices wandte. So ward denn die Gerichtsbarkeit
derselben zwar nicht direct, aber indirect durch diese Maßregel

559) Auf diese Weise würde sich der Zweifel von Gajus IV, §. 20: quare
autem haec actio desiderata sit, cum de eo, quod nobis dari oportet,
potuerimus sacramento [aut per judicis postulationem] agere, valde
quaeritur.

Die Jurisprudenz. §. 42.
Liv. IV, 8) eine bedeutende Steigerung deſſelben zur Folge
haben mußte. Das Wachſen der Prätur aber war nur möglich
auf Koſten der Pontifices, und es iſt außer Zweifel, daß letztere
ſchließlich ihre Gerichtsbarkeit d. h. die legis actio sacramento
an die Prätoren verloren haben, denn in der Darſtellung dieſer
legis actio bei Gajus iſt nur vom Prätor die Rede. Die Ver-
änderung, die bei dem Uebergange derſelben auf die Prätoren
eintrat, war eine doppelte; einmal nämlich die Verweltlichung
des sacramentum (daſſelbe fiel jetzt ans Aerar ſtatt wie früher
an den geiſtlichen Fond) und ſodann der Erlaß der reellen Depo-
ſition der Summe gegen Sicherheitsbeſtellung an den Prätor.
Allein bevor eine ſolche totale Reform des bisherigen Zuſtan-
des eintrat, muß dieſelbe, wenn ſich das Geſetz der hiſtoriſchen
Entwickelung in Rom hier nicht ausnahmsweiſe völlig ſollte
verläugnet haben, allmählig vorbereitet geweſen ſein, es muß
ein Uebergang Statt gefunden haben. Solche Uebergänge pfleg-
ten in Rom in der Weiſe zu erfolgen, daß dem Alten ein Neues
an die Seite geſetzt ward. Im vorliegenden Fall glaube ich nun,
daß dieſer Uebergang durch die beiden Geſetze vermittelt ward,
welche nach Gajus die legis actio per condictionem einführten,
die lex Silia und Calpurnia. 559) Den Pontifices verblieb nach
wie vor die legis actio sacramento, allein da die neue Prozeß-
form einen entſchiedenen Vortheil bot, nämlich die Erſparniß des
Succumbenzgeldes, ſo läßt ſich annehmen, daß in Fällen, wo
ſie anwendbar war (bei den actiones in personam auf Geld
und andern res certae direct, bei act. in rem durch Einkleidung
derſelben in eine sponsio praejudicialis d. h. alſo in allen
Fällen der pontificiſchen Competenz), ſich kaum Jemand mehr
an die Pontifices wandte. So ward denn die Gerichtsbarkeit
derſelben zwar nicht direct, aber indirect durch dieſe Maßregel

559) Auf dieſe Weiſe würde ſich der Zweifel von Gajus IV, §. 20: quare
autem haec actio desiderata sit, cum de eo, quod nobis dari oportet,
potuerimus sacramento [aut per judicis postulationem] agere, valde
quaeritur.
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[431/0137] Die Jurisprudenz. §. 42. Liv. IV, 8) eine bedeutende Steigerung deſſelben zur Folge haben mußte. Das Wachſen der Prätur aber war nur möglich auf Koſten der Pontifices, und es iſt außer Zweifel, daß letztere ſchließlich ihre Gerichtsbarkeit d. h. die legis actio sacramento an die Prätoren verloren haben, denn in der Darſtellung dieſer legis actio bei Gajus iſt nur vom Prätor die Rede. Die Ver- änderung, die bei dem Uebergange derſelben auf die Prätoren eintrat, war eine doppelte; einmal nämlich die Verweltlichung des sacramentum (daſſelbe fiel jetzt ans Aerar ſtatt wie früher an den geiſtlichen Fond) und ſodann der Erlaß der reellen Depo- ſition der Summe gegen Sicherheitsbeſtellung an den Prätor. Allein bevor eine ſolche totale Reform des bisherigen Zuſtan- des eintrat, muß dieſelbe, wenn ſich das Geſetz der hiſtoriſchen Entwickelung in Rom hier nicht ausnahmsweiſe völlig ſollte verläugnet haben, allmählig vorbereitet geweſen ſein, es muß ein Uebergang Statt gefunden haben. Solche Uebergänge pfleg- ten in Rom in der Weiſe zu erfolgen, daß dem Alten ein Neues an die Seite geſetzt ward. Im vorliegenden Fall glaube ich nun, daß dieſer Uebergang durch die beiden Geſetze vermittelt ward, welche nach Gajus die legis actio per condictionem einführten, die lex Silia und Calpurnia. 559) Den Pontifices verblieb nach wie vor die legis actio sacramento, allein da die neue Prozeß- form einen entſchiedenen Vortheil bot, nämlich die Erſparniß des Succumbenzgeldes, ſo läßt ſich annehmen, daß in Fällen, wo ſie anwendbar war (bei den actiones in personam auf Geld und andern res certae direct, bei act. in rem durch Einkleidung derſelben in eine sponsio praejudicialis d. h. alſo in allen Fällen der pontificiſchen Competenz), ſich kaum Jemand mehr an die Pontifices wandte. So ward denn die Gerichtsbarkeit derſelben zwar nicht direct, aber indirect durch dieſe Maßregel 559) Auf dieſe Weiſe würde ſich der Zweifel von Gajus IV, §. 20: quare autem haec actio desiderata sit, cum de eo, quod nobis dari oportet, potuerimus sacramento [aut per judicis postulationem] agere, valde quaeritur.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/137>, abgerufen am 14.05.2024.