Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Feind, sein Versucher genannt werden -- ein Hinderniß seines
vortheilhaften, eine Quelle seines unheilvollen Einflusses, ein
Fluch unseres heutigen Rechtslebens. Das Geld ist es, das
ihm da, wo er nicht fehlen dürfte, beim Abschluß der Rechts-
geschäfte den Weg versperrt, das Geld, das ihn, wenn er endlich
im Fall der Noth zugezogen wird, auf Abwege lockt, auf Ab-
wege, wo seine Kunst nur dazu dient, das Feuer der Zwietracht
anzufachen und zu unterhalten und der Lüge und dem Unrecht die
Mittel zum längern Widerstand und selbst zum Siege zu leihen.
An das Geld knüpfen sich die frivolen und langen Prozesse, an
das Geld die Juristen ohne Lust und Liebe, ohne Talent und
Verständniß für ihre Wissenschaft, an das Geld die gerechten
und ungerechten Vorwürfe des Volks, kurz an dem Gelde
klebt der Schmutz unseres Standes und die Er-
niedrigung unseres Berufes
.

Alles dies blieb der römischen Jurisprudenz erspart. Wer
sich ihr widmete, suchte nicht in ihr das Geld, sondern sie
selbst; der innere Beruf war das Motiv für die Wahl des
äußern, die falschen, unfähigen, verdrossenen Jünger blie-
ben ihr fern. Darum aber stieß sie auch im Volk nicht auf Ab-
neigung, Mißtrauen, Widerstand; gern und dankbar nahm
dasselbe eine Hand, die sich nicht, indem sie half, zugleich nach
dem Gelde krümmte. Daher auch die Allgegenwart des Juri-
sten. Wo der rechtliche Rath und Beistand ein Handelsartikel
ist, der nur gegen Bezahlung verabreicht wird, wie dies bei
uns der Fall, ökonomisirt man im Gebrauch desselben, und der
Jurist wird wie der Arzt häufig erst dann gerufen, wenn es
zu spät ist. Anders aber, wo dieser Artikel, wie in Rom,
kein Handelsartikel, sondern eine res communis war, überall
umsonst zu haben wie Luft und Wasser. Hier durfte man von
ihm den verschwenderischsten Gebrauch machen und that es
auch. Darauf aber beruhte wiederum die ganze Herrschaft und
Macht der alten Jurisprudenz über das Leben, ihre Aufsicht,
ihre Erziehungsgewalt, ihr bildender Einfluß, die Gewöhnung

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Feind, ſein Verſucher genannt werden — ein Hinderniß ſeines
vortheilhaften, eine Quelle ſeines unheilvollen Einfluſſes, ein
Fluch unſeres heutigen Rechtslebens. Das Geld iſt es, das
ihm da, wo er nicht fehlen dürfte, beim Abſchluß der Rechts-
geſchäfte den Weg verſperrt, das Geld, das ihn, wenn er endlich
im Fall der Noth zugezogen wird, auf Abwege lockt, auf Ab-
wege, wo ſeine Kunſt nur dazu dient, das Feuer der Zwietracht
anzufachen und zu unterhalten und der Lüge und dem Unrecht die
Mittel zum längern Widerſtand und ſelbſt zum Siege zu leihen.
An das Geld knüpfen ſich die frivolen und langen Prozeſſe, an
das Geld die Juriſten ohne Luſt und Liebe, ohne Talent und
Verſtändniß für ihre Wiſſenſchaft, an das Geld die gerechten
und ungerechten Vorwürfe des Volks, kurz an dem Gelde
klebt der Schmutz unſeres Standes und die Er-
niedrigung unſeres Berufes
.

Alles dies blieb der römiſchen Jurisprudenz erſpart. Wer
ſich ihr widmete, ſuchte nicht in ihr das Geld, ſondern ſie
ſelbſt; der innere Beruf war das Motiv für die Wahl des
äußern, die falſchen, unfähigen, verdroſſenen Jünger blie-
ben ihr fern. Darum aber ſtieß ſie auch im Volk nicht auf Ab-
neigung, Mißtrauen, Widerſtand; gern und dankbar nahm
daſſelbe eine Hand, die ſich nicht, indem ſie half, zugleich nach
dem Gelde krümmte. Daher auch die Allgegenwart des Juri-
ſten. Wo der rechtliche Rath und Beiſtand ein Handelsartikel
iſt, der nur gegen Bezahlung verabreicht wird, wie dies bei
uns der Fall, ökonomiſirt man im Gebrauch deſſelben, und der
Juriſt wird wie der Arzt häufig erſt dann gerufen, wenn es
zu ſpät iſt. Anders aber, wo dieſer Artikel, wie in Rom,
kein Handelsartikel, ſondern eine res communis war, überall
umſonſt zu haben wie Luft und Waſſer. Hier durfte man von
ihm den verſchwenderiſchſten Gebrauch machen und that es
auch. Darauf aber beruhte wiederum die ganze Herrſchaft und
Macht der alten Jurisprudenz über das Leben, ihre Aufſicht,
ihre Erziehungsgewalt, ihr bildender Einfluß, die Gewöhnung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0150" n="444"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
Feind, &#x017F;ein Ver&#x017F;ucher genannt werden &#x2014; ein Hinderniß &#x017F;eines<lb/>
vortheilhaften, eine Quelle &#x017F;eines unheilvollen Einflu&#x017F;&#x017F;es, ein<lb/>
Fluch un&#x017F;eres heutigen Rechtslebens. Das Geld i&#x017F;t es, das<lb/>
ihm da, wo er nicht fehlen dürfte, beim Ab&#x017F;chluß der Rechts-<lb/>
ge&#x017F;chäfte den Weg ver&#x017F;perrt, das Geld, das ihn, wenn er endlich<lb/>
im Fall der Noth zugezogen wird, auf Abwege lockt, auf Ab-<lb/>
wege, wo &#x017F;eine Kun&#x017F;t nur dazu dient, das Feuer der Zwietracht<lb/>
anzufachen und zu unterhalten und der Lüge und dem Unrecht die<lb/>
Mittel zum längern Wider&#x017F;tand und &#x017F;elb&#x017F;t zum Siege zu leihen.<lb/>
An das Geld knüpfen &#x017F;ich die frivolen und langen Proze&#x017F;&#x017F;e, an<lb/>
das Geld die Juri&#x017F;ten ohne Lu&#x017F;t und Liebe, ohne Talent und<lb/>
Ver&#x017F;tändniß für ihre Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, an das Geld die gerechten<lb/>
und ungerechten Vorwürfe des Volks, kurz <hi rendition="#g">an dem Gelde<lb/>
klebt der Schmutz un&#x017F;eres Standes und die Er-<lb/>
niedrigung un&#x017F;eres Berufes</hi>.</p><lb/>
                <p>Alles dies blieb der römi&#x017F;chen Jurisprudenz er&#x017F;part. Wer<lb/>
&#x017F;ich <hi rendition="#g">ihr</hi> widmete, &#x017F;uchte nicht in ihr das Geld, &#x017F;ondern &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; der <hi rendition="#g">innere</hi> Beruf war das Motiv für die Wahl des<lb/><hi rendition="#g">äußern</hi>, die fal&#x017F;chen, unfähigen, verdro&#x017F;&#x017F;enen Jünger blie-<lb/>
ben ihr fern. Darum aber &#x017F;tieß &#x017F;ie auch im Volk nicht auf Ab-<lb/>
neigung, Mißtrauen, Wider&#x017F;tand; gern und dankbar nahm<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe eine Hand, die &#x017F;ich nicht, indem &#x017F;ie half, zugleich nach<lb/>
dem Gelde krümmte. Daher auch die Allgegenwart des Juri-<lb/>
&#x017F;ten. Wo der rechtliche Rath und Bei&#x017F;tand ein Handelsartikel<lb/>
i&#x017F;t, der nur gegen Bezahlung verabreicht wird, wie dies bei<lb/>
uns der Fall, ökonomi&#x017F;irt man im Gebrauch de&#x017F;&#x017F;elben, und der<lb/>
Juri&#x017F;t wird wie der Arzt häufig er&#x017F;t dann gerufen, wenn es<lb/>
zu &#x017F;pät i&#x017F;t. Anders aber, wo die&#x017F;er Artikel, wie in Rom,<lb/>
kein Handelsartikel, &#x017F;ondern eine <hi rendition="#aq">res communis</hi> war, überall<lb/>
um&#x017F;on&#x017F;t zu haben wie Luft und Wa&#x017F;&#x017F;er. Hier durfte man von<lb/>
ihm den ver&#x017F;chwenderi&#x017F;ch&#x017F;ten Gebrauch machen und that es<lb/>
auch. Darauf aber beruhte wiederum die ganze Herr&#x017F;chaft und<lb/>
Macht der alten Jurisprudenz über das Leben, ihre Auf&#x017F;icht,<lb/>
ihre Erziehungsgewalt, ihr bildender Einfluß, die Gewöhnung<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0150] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Feind, ſein Verſucher genannt werden — ein Hinderniß ſeines vortheilhaften, eine Quelle ſeines unheilvollen Einfluſſes, ein Fluch unſeres heutigen Rechtslebens. Das Geld iſt es, das ihm da, wo er nicht fehlen dürfte, beim Abſchluß der Rechts- geſchäfte den Weg verſperrt, das Geld, das ihn, wenn er endlich im Fall der Noth zugezogen wird, auf Abwege lockt, auf Ab- wege, wo ſeine Kunſt nur dazu dient, das Feuer der Zwietracht anzufachen und zu unterhalten und der Lüge und dem Unrecht die Mittel zum längern Widerſtand und ſelbſt zum Siege zu leihen. An das Geld knüpfen ſich die frivolen und langen Prozeſſe, an das Geld die Juriſten ohne Luſt und Liebe, ohne Talent und Verſtändniß für ihre Wiſſenſchaft, an das Geld die gerechten und ungerechten Vorwürfe des Volks, kurz an dem Gelde klebt der Schmutz unſeres Standes und die Er- niedrigung unſeres Berufes. Alles dies blieb der römiſchen Jurisprudenz erſpart. Wer ſich ihr widmete, ſuchte nicht in ihr das Geld, ſondern ſie ſelbſt; der innere Beruf war das Motiv für die Wahl des äußern, die falſchen, unfähigen, verdroſſenen Jünger blie- ben ihr fern. Darum aber ſtieß ſie auch im Volk nicht auf Ab- neigung, Mißtrauen, Widerſtand; gern und dankbar nahm daſſelbe eine Hand, die ſich nicht, indem ſie half, zugleich nach dem Gelde krümmte. Daher auch die Allgegenwart des Juri- ſten. Wo der rechtliche Rath und Beiſtand ein Handelsartikel iſt, der nur gegen Bezahlung verabreicht wird, wie dies bei uns der Fall, ökonomiſirt man im Gebrauch deſſelben, und der Juriſt wird wie der Arzt häufig erſt dann gerufen, wenn es zu ſpät iſt. Anders aber, wo dieſer Artikel, wie in Rom, kein Handelsartikel, ſondern eine res communis war, überall umſonſt zu haben wie Luft und Waſſer. Hier durfte man von ihm den verſchwenderiſchſten Gebrauch machen und that es auch. Darauf aber beruhte wiederum die ganze Herrſchaft und Macht der alten Jurisprudenz über das Leben, ihre Aufſicht, ihre Erziehungsgewalt, ihr bildender Einfluß, die Gewöhnung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/150
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/150>, abgerufen am 14.05.2024.