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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.
gerichteten Verhältnisses (in rem und in personam actiones)
Grund eines accessorischen Anspruches werden (omnis causa
und mora). Daß nun das furtum usus späteren Ursprunges ist,
als das furtum rei, davon bin ich zwar fest überzeugt, habe
dafür jedoch keinen äußeren Beleg. Anders aber rücksichtlich des
zweiten Falles. Hier läßt sich meiner Ansicht nach positiv nach-
weisen, daß das ältere Recht auf entzogene Nutzungen, inso-
fern sie sich nicht räumlich d. h. als Früchte abgelöst hatten,
keine Rücksicht genommen hat. Denn bei den persönlichen Kla-
gen lassen sich dieselben nur unter dem Gesichtspunkte des In-
teresses verfolgen, das ältere Recht aber kennt keine Liquidation
des Interesses (S. 112 fl.), bei dinglichen Klagen aber kom-
men nur die Früchte in Anrechnung. Nun fallen zwar im
neuern Recht auch die Nutzungen (als fructus civiles) unter den
Fruchtbegriff, 596) allein daß der ursprüngliche Umfang dieses
Begriffs ein engerer war, sich auf die wirklichen Früchte be-
schränkte, liegt schon im Namen, und jene Ausdehnung verräth
meines Erachtens unverkennbar die spiritualistischere Auffassung
einer späteren Zeit. Der Grund, warum man in allen jenen
Fällen die entzogenen Nutzungen nicht in Anrechnung bringen
konnte, liegt nicht in der Strenge des alten Rechts, welchen
Ausdruck man namentlich gern für die Condictionen gebraucht
-- das ist eine hohle Phrase -- sondern in der Rohheit der
wirthschaftlichen Ansicht, der nur das sichtbare und greifbare
Object, die Sache selbst und die Früchte, nicht aber das idea-
lere Stück der Sache, die zeitweise Möglichkeit ihres Gebrauchs
als wirthschaftliches Gut und rechtlich zu verfolgendes Object
erschien. Hätte man den wirthschaftlichen Werth desselben er-
kannt, so würde auch der Richter ihn haben zuerkennen müssen.
Was der Verkehr schätzt, schätzt (aestimat) auch der Richter.
Die richterliche aestimatio enthält den rechtlichen

596) L. 62 pr. de R. V. (6. 1). Den ersten Anstoß zu jener Ausdeh-
nung mag die fructus licitatio beim interdictum uti possidetis gegeben
haben; hier machte sie sich gewissermaßen von selbst.

Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.
gerichteten Verhältniſſes (in rem und in personam actiones)
Grund eines acceſſoriſchen Anſpruches werden (omnis causa
und mora). Daß nun das furtum usus ſpäteren Urſprunges iſt,
als das furtum rei, davon bin ich zwar feſt überzeugt, habe
dafür jedoch keinen äußeren Beleg. Anders aber rückſichtlich des
zweiten Falles. Hier läßt ſich meiner Anſicht nach poſitiv nach-
weiſen, daß das ältere Recht auf entzogene Nutzungen, inſo-
fern ſie ſich nicht räumlich d. h. als Früchte abgelöſt hatten,
keine Rückſicht genommen hat. Denn bei den perſönlichen Kla-
gen laſſen ſich dieſelben nur unter dem Geſichtspunkte des In-
tereſſes verfolgen, das ältere Recht aber kennt keine Liquidation
des Intereſſes (S. 112 fl.), bei dinglichen Klagen aber kom-
men nur die Früchte in Anrechnung. Nun fallen zwar im
neuern Recht auch die Nutzungen (als fructus civiles) unter den
Fruchtbegriff, 596) allein daß der urſprüngliche Umfang dieſes
Begriffs ein engerer war, ſich auf die wirklichen Früchte be-
ſchränkte, liegt ſchon im Namen, und jene Ausdehnung verräth
meines Erachtens unverkennbar die ſpiritualiſtiſchere Auffaſſung
einer ſpäteren Zeit. Der Grund, warum man in allen jenen
Fällen die entzogenen Nutzungen nicht in Anrechnung bringen
konnte, liegt nicht in der Strenge des alten Rechts, welchen
Ausdruck man namentlich gern für die Condictionen gebraucht
— das iſt eine hohle Phraſe — ſondern in der Rohheit der
wirthſchaftlichen Anſicht, der nur das ſichtbare und greifbare
Object, die Sache ſelbſt und die Früchte, nicht aber das idea-
lere Stück der Sache, die zeitweiſe Möglichkeit ihres Gebrauchs
als wirthſchaftliches Gut und rechtlich zu verfolgendes Object
erſchien. Hätte man den wirthſchaftlichen Werth deſſelben er-
kannt, ſo würde auch der Richter ihn haben zuerkennen müſſen.
Was der Verkehr ſchätzt, ſchätzt (aestimat) auch der Richter.
Die richterliche aestimatio enthält den rechtlichen

596) L. 62 pr. de R. V. (6. 1). Den erſten Anſtoß zu jener Ausdeh-
nung mag die fructus licitatio beim interdictum uti possidetis gegeben
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[459/0165] Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. gerichteten Verhältniſſes (in rem und in personam actiones) Grund eines acceſſoriſchen Anſpruches werden (omnis causa und mora). Daß nun das furtum usus ſpäteren Urſprunges iſt, als das furtum rei, davon bin ich zwar feſt überzeugt, habe dafür jedoch keinen äußeren Beleg. Anders aber rückſichtlich des zweiten Falles. Hier läßt ſich meiner Anſicht nach poſitiv nach- weiſen, daß das ältere Recht auf entzogene Nutzungen, inſo- fern ſie ſich nicht räumlich d. h. als Früchte abgelöſt hatten, keine Rückſicht genommen hat. Denn bei den perſönlichen Kla- gen laſſen ſich dieſelben nur unter dem Geſichtspunkte des In- tereſſes verfolgen, das ältere Recht aber kennt keine Liquidation des Intereſſes (S. 112 fl.), bei dinglichen Klagen aber kom- men nur die Früchte in Anrechnung. Nun fallen zwar im neuern Recht auch die Nutzungen (als fructus civiles) unter den Fruchtbegriff, 596) allein daß der urſprüngliche Umfang dieſes Begriffs ein engerer war, ſich auf die wirklichen Früchte be- ſchränkte, liegt ſchon im Namen, und jene Ausdehnung verräth meines Erachtens unverkennbar die ſpiritualiſtiſchere Auffaſſung einer ſpäteren Zeit. Der Grund, warum man in allen jenen Fällen die entzogenen Nutzungen nicht in Anrechnung bringen konnte, liegt nicht in der Strenge des alten Rechts, welchen Ausdruck man namentlich gern für die Condictionen gebraucht — das iſt eine hohle Phraſe — ſondern in der Rohheit der wirthſchaftlichen Anſicht, der nur das ſichtbare und greifbare Object, die Sache ſelbſt und die Früchte, nicht aber das idea- lere Stück der Sache, die zeitweiſe Möglichkeit ihres Gebrauchs als wirthſchaftliches Gut und rechtlich zu verfolgendes Object erſchien. Hätte man den wirthſchaftlichen Werth deſſelben er- kannt, ſo würde auch der Richter ihn haben zuerkennen müſſen. Was der Verkehr ſchätzt, ſchätzt (aestimat) auch der Richter. Die richterliche aestimatio enthält den rechtlichen 596) L. 62 pr. de R. V. (6. 1). Den erſten Anſtoß zu jener Ausdeh- nung mag die fructus licitatio beim interdictum uti possidetis gegeben haben; hier machte ſie ſich gewiſſermaßen von ſelbſt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/165>, abgerufen am 21.11.2024.