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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Vorrede.
druck: heredium, nebst der ihm von Varro hinzugefügten Er-
klärung quod heredem sequeretur und 2) der angebliche gänz-
liche Mangel einer Veräußerungsform. Die mancipatio soll
nämlich ursprünglich nur bei beweglichen Sachen gegolten und
erst unter dem Einfluß der mobilisirenden Tendenz von dem
Verkehr auf die unbeweglichen übertragen, diese "Praxis" aber
sodann von den XII Tafeln sanctionirt worden sein.

Nun, wenn der "Boden des soliden Erkennens" solche Früchte
trägt, so können auch die meinigen auf ihm gewachsen sein! Fassen
wir die äußere Beglaubigung jener in Form einer historischen
Thatsache vorgetragenen Hypothese, so hängt sie mit ihrem gan-
zen Gewicht an einem einzigen Nagel: dem Wort heredium.
Und ich denke, es ist ein recht schwacher. Denn der Gegensatz,
den heredium involvirt, braucht nicht zu sein der zwischen un-
veräußerlichem und veräußerlichem Eigenthum, sondern er kann
auch sein der zwischen Privateigenthum und Gemeindeland,
heredium und ager publicus. Der letztere Gegensatz ist historisch
beglaubigt, von dem ersteren wissen wir nichts. Dem lateinischen
heredium entspricht das deutsche "Erbeigen". Würde ein Ger-
manist sich noch auf dem Boden solider Forschung wissen, wenn
er ohne weitere positive Anhaltspunkte bloß auf dies eine Wort
hin sich eine Geschichte des deutschen Eigenthums construirte,
die mit dem historisch allein erkennbaren Zustand in grellem
Widerspruch stände?

An Jeden, der eine Hypothese aufstellt, darf man die An-
forderung erheben, daß er sich ihres Zusammenhanges mit dem
ganzen System, dem sie angehört, ihres Eingreifens in connexe
Gebiete, ihrer Postulate u. s. w. bewußt sei. Ob jener Schrift-
steller diese Anforderung erfüllt hat? Ich möchte es sehr be-
zweifeln. War die Veräußerung des Grundeigenthums un-
möglich, so war es auch die Bestellung von Servituten, da sie

Vorrede.
druck: heredium, nebſt der ihm von Varro hinzugefügten Er-
klärung quod heredem sequeretur und 2) der angebliche gänz-
liche Mangel einer Veräußerungsform. Die mancipatio ſoll
nämlich urſprünglich nur bei beweglichen Sachen gegolten und
erſt unter dem Einfluß der mobiliſirenden Tendenz von dem
Verkehr auf die unbeweglichen übertragen, dieſe „Praxis“ aber
ſodann von den XII Tafeln ſanctionirt worden ſein.

Nun, wenn der „Boden des ſoliden Erkennens“ ſolche Früchte
trägt, ſo können auch die meinigen auf ihm gewachſen ſein! Faſſen
wir die äußere Beglaubigung jener in Form einer hiſtoriſchen
Thatſache vorgetragenen Hypotheſe, ſo hängt ſie mit ihrem gan-
zen Gewicht an einem einzigen Nagel: dem Wort heredium.
Und ich denke, es iſt ein recht ſchwacher. Denn der Gegenſatz,
den heredium involvirt, braucht nicht zu ſein der zwiſchen un-
veräußerlichem und veräußerlichem Eigenthum, ſondern er kann
auch ſein der zwiſchen Privateigenthum und Gemeindeland,
heredium und ager publicus. Der letztere Gegenſatz iſt hiſtoriſch
beglaubigt, von dem erſteren wiſſen wir nichts. Dem lateiniſchen
heredium entſpricht das deutſche „Erbeigen“. Würde ein Ger-
maniſt ſich noch auf dem Boden ſolider Forſchung wiſſen, wenn
er ohne weitere poſitive Anhaltspunkte bloß auf dies eine Wort
hin ſich eine Geſchichte des deutſchen Eigenthums conſtruirte,
die mit dem hiſtoriſch allein erkennbaren Zuſtand in grellem
Widerſpruch ſtände?

An Jeden, der eine Hypotheſe aufſtellt, darf man die An-
forderung erheben, daß er ſich ihres Zuſammenhanges mit dem
ganzen Syſtem, dem ſie angehört, ihres Eingreifens in connexe
Gebiete, ihrer Poſtulate u. ſ. w. bewußt ſei. Ob jener Schrift-
ſteller dieſe Anforderung erfüllt hat? Ich möchte es ſehr be-
zweifeln. War die Veräußerung des Grundeigenthums un-
möglich, ſo war es auch die Beſtellung von Servituten, da ſie

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[XIV/0020] Vorrede. druck: heredium, nebſt der ihm von Varro hinzugefügten Er- klärung quod heredem sequeretur und 2) der angebliche gänz- liche Mangel einer Veräußerungsform. Die mancipatio ſoll nämlich urſprünglich nur bei beweglichen Sachen gegolten und erſt unter dem Einfluß der mobiliſirenden Tendenz von dem Verkehr auf die unbeweglichen übertragen, dieſe „Praxis“ aber ſodann von den XII Tafeln ſanctionirt worden ſein. Nun, wenn der „Boden des ſoliden Erkennens“ ſolche Früchte trägt, ſo können auch die meinigen auf ihm gewachſen ſein! Faſſen wir die äußere Beglaubigung jener in Form einer hiſtoriſchen Thatſache vorgetragenen Hypotheſe, ſo hängt ſie mit ihrem gan- zen Gewicht an einem einzigen Nagel: dem Wort heredium. Und ich denke, es iſt ein recht ſchwacher. Denn der Gegenſatz, den heredium involvirt, braucht nicht zu ſein der zwiſchen un- veräußerlichem und veräußerlichem Eigenthum, ſondern er kann auch ſein der zwiſchen Privateigenthum und Gemeindeland, heredium und ager publicus. Der letztere Gegenſatz iſt hiſtoriſch beglaubigt, von dem erſteren wiſſen wir nichts. Dem lateiniſchen heredium entſpricht das deutſche „Erbeigen“. Würde ein Ger- maniſt ſich noch auf dem Boden ſolider Forſchung wiſſen, wenn er ohne weitere poſitive Anhaltspunkte bloß auf dies eine Wort hin ſich eine Geſchichte des deutſchen Eigenthums conſtruirte, die mit dem hiſtoriſch allein erkennbaren Zuſtand in grellem Widerſpruch ſtände? An Jeden, der eine Hypotheſe aufſtellt, darf man die An- forderung erheben, daß er ſich ihres Zuſammenhanges mit dem ganzen Syſtem, dem ſie angehört, ihres Eingreifens in connexe Gebiete, ihrer Poſtulate u. ſ. w. bewußt ſei. Ob jener Schrift- ſteller dieſe Anforderung erfüllt hat? Ich möchte es ſehr be- zweifeln. War die Veräußerung des Grundeigenthums un- möglich, ſo war es auch die Beſtellung von Servituten, da ſie

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/20>, abgerufen am 28.04.2024.