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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Vorrede.

Und ist denn das älteste römische Recht, wie Puchta
(Cursus der Instit. §. 40) es schildert, mit seinem Gegen-
satz des "quiritischen und ramnischen Rechtsbewußtseins", sei-
nem fehlenden Privateigenthum u. s. w. besser als eine der
verwegensten meiner Hypothesen? Ich habe absichtlich diese
drei Schriftsteller herausgenommen, weil gerade ihnen trotz
dieser "kühnen Griffe" Niemand bestreiten wird, daß sie zu un-
sern ersten Rechtshistorikern gehören. Wollte ich tiefer hinab-
steigen, wie manches stände mir da zu Gebote. Wie vieles wird
selbst in unsern Institutionenlehrbüchern als ausgemachte
Wahrheit hingestellt, was rein auf Construction beruht. Aus
einem der gangbarsten will ich folgende Proben mittheilen.
"Das älteste Recht spaltete sich in ein patricisches und plebeji-
sches." Es bestand aus "Rechtsgewohnheiten, von denen manche
gleich anfangs aus den verschiedenen Gegenden Italiens und
von den verschiedenen Volksstämmen, also auch mit einer par-
ticularrechtlichen Färbung in den neugebildeten Staat mitge-
bracht worden sind. Viele aber fanden dort erst ihren Ursprung.
-- Die vielen ursprünglich zusammengetroffenen particular-
rechtlichen Elemente gingen allmählig in einem gemeinen römi-
schen Recht unter." In der zweiten Periode beginnt derselbe
Proceß von neuem. Das römische Recht "vereinfacht sich durch
allmählige Verschmelzung mancher genealogisch oder sonst ver-
schiedenartiger Elemente darin, namentlich des besondern Pa-
tricierrechts mit dem Plebejerrecht, zu einem mehr allgemeinen
gleichförmigen Recht." Um dieselbe Zeit "fühlten die Römer
auch, daß ihr bisheriges strenges Princip, wornach alle Pere-
grinen für ganz rechtlos gelten, sich nicht mehr durchsetzen lasse,
seitdem sie mit Peregrinen nicht bloß in feindliche, sondern auch
in freundschaftliche Berührungen des Verkehrs und Zusammen-
lebens gekommen, der peregrinus also nicht mehr als hostis

Vorrede.

Und iſt denn das älteſte römiſche Recht, wie Puchta
(Curſus der Inſtit. §. 40) es ſchildert, mit ſeinem Gegen-
ſatz des „quiritiſchen und ramniſchen Rechtsbewußtſeins“, ſei-
nem fehlenden Privateigenthum u. ſ. w. beſſer als eine der
verwegenſten meiner Hypotheſen? Ich habe abſichtlich dieſe
drei Schriftſteller herausgenommen, weil gerade ihnen trotz
dieſer „kühnen Griffe“ Niemand beſtreiten wird, daß ſie zu un-
ſern erſten Rechtshiſtorikern gehören. Wollte ich tiefer hinab-
ſteigen, wie manches ſtände mir da zu Gebote. Wie vieles wird
ſelbſt in unſern Inſtitutionenlehrbüchern als ausgemachte
Wahrheit hingeſtellt, was rein auf Conſtruction beruht. Aus
einem der gangbarſten will ich folgende Proben mittheilen.
„Das älteſte Recht ſpaltete ſich in ein patriciſches und plebeji-
ſches.“ Es beſtand aus „Rechtsgewohnheiten, von denen manche
gleich anfangs aus den verſchiedenen Gegenden Italiens und
von den verſchiedenen Volksſtämmen, alſo auch mit einer par-
ticularrechtlichen Färbung in den neugebildeten Staat mitge-
bracht worden ſind. Viele aber fanden dort erſt ihren Urſprung.
— Die vielen urſprünglich zuſammengetroffenen particular-
rechtlichen Elemente gingen allmählig in einem gemeinen römi-
ſchen Recht unter.“ In der zweiten Periode beginnt derſelbe
Proceß von neuem. Das römiſche Recht „vereinfacht ſich durch
allmählige Verſchmelzung mancher genealogiſch oder ſonſt ver-
ſchiedenartiger Elemente darin, namentlich des beſondern Pa-
tricierrechts mit dem Plebejerrecht, zu einem mehr allgemeinen
gleichförmigen Recht.“ Um dieſelbe Zeit „fühlten die Römer
auch, daß ihr bisheriges ſtrenges Princip, wornach alle Pere-
grinen für ganz rechtlos gelten, ſich nicht mehr durchſetzen laſſe,
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[XVI/0022] Vorrede. Und iſt denn das älteſte römiſche Recht, wie Puchta (Curſus der Inſtit. §. 40) es ſchildert, mit ſeinem Gegen- ſatz des „quiritiſchen und ramniſchen Rechtsbewußtſeins“, ſei- nem fehlenden Privateigenthum u. ſ. w. beſſer als eine der verwegenſten meiner Hypotheſen? Ich habe abſichtlich dieſe drei Schriftſteller herausgenommen, weil gerade ihnen trotz dieſer „kühnen Griffe“ Niemand beſtreiten wird, daß ſie zu un- ſern erſten Rechtshiſtorikern gehören. Wollte ich tiefer hinab- ſteigen, wie manches ſtände mir da zu Gebote. Wie vieles wird ſelbſt in unſern Inſtitutionenlehrbüchern als ausgemachte Wahrheit hingeſtellt, was rein auf Conſtruction beruht. Aus einem der gangbarſten will ich folgende Proben mittheilen. „Das älteſte Recht ſpaltete ſich in ein patriciſches und plebeji- ſches.“ Es beſtand aus „Rechtsgewohnheiten, von denen manche gleich anfangs aus den verſchiedenen Gegenden Italiens und von den verſchiedenen Volksſtämmen, alſo auch mit einer par- ticularrechtlichen Färbung in den neugebildeten Staat mitge- bracht worden ſind. Viele aber fanden dort erſt ihren Urſprung. — Die vielen urſprünglich zuſammengetroffenen particular- rechtlichen Elemente gingen allmählig in einem gemeinen römi- ſchen Recht unter.“ In der zweiten Periode beginnt derſelbe Proceß von neuem. Das römiſche Recht „vereinfacht ſich durch allmählige Verſchmelzung mancher genealogiſch oder ſonſt ver- ſchiedenartiger Elemente darin, namentlich des beſondern Pa- tricierrechts mit dem Plebejerrecht, zu einem mehr allgemeinen gleichförmigen Recht.“ Um dieſelbe Zeit „fühlten die Römer auch, daß ihr bisheriges ſtrenges Princip, wornach alle Pere- grinen für ganz rechtlos gelten, ſich nicht mehr durchſetzen laſſe, ſeitdem ſie mit Peregrinen nicht bloß in feindliche, ſondern auch in freundſchaftliche Berührungen des Verkehrs und Zuſammen- lebens gekommen, der peregrinus alſo nicht mehr als hostis

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/22>, abgerufen am 28.04.2024.