Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dieser Umstand war gewiß einer der Hauptgründe der in derersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts durch die lex Poetelia erfolgten Abschaffung des Nexum. Zwar konnte man auch jetzt noch durch Stipulation oder Literalcontract sich einer Summe, die man nicht erhalten hatte, schuldig bekennen, allein hier ge- langte der Anspruch doch zur gerichtlichen Verhandlung, und die exceptio doli, die nicht so lange nachher aufgekommen sein kann, gewährte dem Schuldner Rettung. Nur bei dem auf Geld gerichteten Damnationslegat, das sich auf ein Geschäft per aes et libram, das Testament, stützte, erhielt sich noch einige Zeit ein minder gefährlicher Anwendungsfall des Nexum, bis die allmäh- lige Abschwächung 708a) und schließliche Aufhebung der legis actio per manus injectionem der Sache nach auch diesen beseitigte. Die Theorie freilich ließ sich ihn noch zu Gajus Zeit nicht neh- men; man sprach hier fortwährend noch von einer per aes et libram begründeten Schuld, 709) und es war von diesem Stand- punkt aus eine, praktisch freilich höchst müßige, Consequenz, daß man zum Zweck der Aufhebung derselben fortdauernd noch eine Scheinzahlung per aes et libram: die nexi solutio oder libera- tio erforderte. 710) Den zweiten Anwendungsfall dieser Schein- zahlung enthält, wie oben bemerkt, die Mancipatio, nur daß sie hier nicht, wie im Nexum, allein und selbständig, sondern in Verbindung mit einer andern Handlung auftrat. War nun diese Verbindung eine uranfängliche? Kannte 708a) Gaj. IV §. 24, 25. 709) Gaj. III, 173. 175. 710) Gaj. III §. 173--175. Ein anderer Fall, bei dem sich diesem
Zeugniß zufolge diese Scheinhandlung noch erhalten, war der Erlaß der Ju- dicatsschuld, welche letztere zwar niemals unter, aber stets neben dem Nexum gestanden hatte. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dieſer Umſtand war gewiß einer der Hauptgründe der in dererſten Hälfte des ſechſten Jahrhunderts durch die lex Poetelia erfolgten Abſchaffung des Nexum. Zwar konnte man auch jetzt noch durch Stipulation oder Literalcontract ſich einer Summe, die man nicht erhalten hatte, ſchuldig bekennen, allein hier ge- langte der Anſpruch doch zur gerichtlichen Verhandlung, und die exceptio doli, die nicht ſo lange nachher aufgekommen ſein kann, gewährte dem Schuldner Rettung. Nur bei dem auf Geld gerichteten Damnationslegat, das ſich auf ein Geſchäft per aes et libram, das Teſtament, ſtützte, erhielt ſich noch einige Zeit ein minder gefährlicher Anwendungsfall des Nexum, bis die allmäh- lige Abſchwächung 708a) und ſchließliche Aufhebung der legis actio per manus injectionem der Sache nach auch dieſen beſeitigte. Die Theorie freilich ließ ſich ihn noch zu Gajus Zeit nicht neh- men; man ſprach hier fortwährend noch von einer per aes et libram begründeten Schuld, 709) und es war von dieſem Stand- punkt aus eine, praktiſch freilich höchſt müßige, Conſequenz, daß man zum Zweck der Aufhebung derſelben fortdauernd noch eine Scheinzahlung per aes et libram: die nexi solutio oder libera- tio erforderte. 710) Den zweiten Anwendungsfall dieſer Schein- zahlung enthält, wie oben bemerkt, die Mancipatio, nur daß ſie hier nicht, wie im Nexum, allein und ſelbſtändig, ſondern in Verbindung mit einer andern Handlung auftrat. War nun dieſe Verbindung eine uranfängliche? Kannte 708a) Gaj. IV §. 24, 25. 709) Gaj. III, 173. 175. 710) Gaj. III §. 173—175. Ein anderer Fall, bei dem ſich dieſem
Zeugniß zufolge dieſe Scheinhandlung noch erhalten, war der Erlaß der Ju- dicatsſchuld, welche letztere zwar niemals unter, aber ſtets neben dem Nexum geſtanden hatte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0273" n="567"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 46.</fw><lb/> dieſer Umſtand war gewiß einer der Hauptgründe der in der<lb/> erſten Hälfte des ſechſten Jahrhunderts durch die <hi rendition="#aq">lex Poetelia</hi><lb/> erfolgten Abſchaffung des Nexum. Zwar konnte man auch jetzt<lb/> noch durch Stipulation oder Literalcontract ſich einer Summe,<lb/> die man nicht erhalten hatte, ſchuldig bekennen, allein hier ge-<lb/> langte der Anſpruch doch zur gerichtlichen Verhandlung, und die<lb/><hi rendition="#aq">exceptio doli,</hi> die nicht ſo lange nachher aufgekommen ſein<lb/> kann, gewährte dem Schuldner Rettung. Nur bei dem auf Geld<lb/> gerichteten Damnationslegat, das ſich auf ein Geſchäft <hi rendition="#aq">per aes<lb/> et libram,</hi> das Teſtament, ſtützte, erhielt ſich noch einige Zeit ein<lb/> minder gefährlicher Anwendungsfall des Nexum, bis die allmäh-<lb/> lige Abſchwächung <note place="foot" n="708a)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV</hi> §. 24, 25.</note> und ſchließliche Aufhebung der <hi rendition="#aq">legis actio<lb/> per manus injectionem</hi> der Sache nach auch dieſen beſeitigte.<lb/> Die Theorie freilich ließ ſich ihn noch zu Gajus Zeit nicht neh-<lb/> men; man ſprach hier fortwährend noch von einer <hi rendition="#aq">per aes et<lb/> libram</hi> begründeten Schuld, <note place="foot" n="709)"><hi rendition="#aq">Gaj. III,</hi> 173. 175.</note> und es war von dieſem Stand-<lb/> punkt aus eine, praktiſch freilich höchſt müßige, Conſequenz, daß<lb/> man zum Zweck der Aufhebung derſelben fortdauernd noch eine<lb/> Scheinzahlung <hi rendition="#aq">per aes et libram:</hi> die <hi rendition="#aq">nexi solutio</hi> oder <hi rendition="#aq">libera-<lb/> tio</hi> erforderte. <note place="foot" n="710)"><hi rendition="#aq">Gaj. III</hi> §. 173—175. Ein anderer Fall, bei dem ſich dieſem<lb/> Zeugniß zufolge dieſe Scheinhandlung noch erhalten, war der Erlaß der Ju-<lb/> dicatsſchuld, welche letztere zwar niemals <hi rendition="#g">unter</hi>, aber ſtets <hi rendition="#g">neben</hi> dem<lb/> Nexum geſtanden hatte.</note> Den zweiten Anwendungsfall dieſer Schein-<lb/> zahlung enthält, wie oben bemerkt, die <hi rendition="#aq">Mancipatio,</hi> nur daß ſie<lb/> hier nicht, wie im Nexum, allein und ſelbſtändig, ſondern in<lb/> Verbindung mit einer andern Handlung auftrat.</p><lb/> <p>War nun dieſe Verbindung eine uranfängliche? Kannte<lb/> das römiſche Recht von jeher keine andere Weiſe, Eigenthum<lb/> zu übertragen, als gegen Baarzahlung? Mußte in älteſter Zeit,<lb/> wer einen Stier gegen eine Kuh vertauſchen wollte, den Con-<lb/> tract in Form zweier Käufe kleiden und zwei Mal — und hier<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [567/0273]
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
dieſer Umſtand war gewiß einer der Hauptgründe der in der
erſten Hälfte des ſechſten Jahrhunderts durch die lex Poetelia
erfolgten Abſchaffung des Nexum. Zwar konnte man auch jetzt
noch durch Stipulation oder Literalcontract ſich einer Summe,
die man nicht erhalten hatte, ſchuldig bekennen, allein hier ge-
langte der Anſpruch doch zur gerichtlichen Verhandlung, und die
exceptio doli, die nicht ſo lange nachher aufgekommen ſein
kann, gewährte dem Schuldner Rettung. Nur bei dem auf Geld
gerichteten Damnationslegat, das ſich auf ein Geſchäft per aes
et libram, das Teſtament, ſtützte, erhielt ſich noch einige Zeit ein
minder gefährlicher Anwendungsfall des Nexum, bis die allmäh-
lige Abſchwächung 708a) und ſchließliche Aufhebung der legis actio
per manus injectionem der Sache nach auch dieſen beſeitigte.
Die Theorie freilich ließ ſich ihn noch zu Gajus Zeit nicht neh-
men; man ſprach hier fortwährend noch von einer per aes et
libram begründeten Schuld, 709) und es war von dieſem Stand-
punkt aus eine, praktiſch freilich höchſt müßige, Conſequenz, daß
man zum Zweck der Aufhebung derſelben fortdauernd noch eine
Scheinzahlung per aes et libram: die nexi solutio oder libera-
tio erforderte. 710) Den zweiten Anwendungsfall dieſer Schein-
zahlung enthält, wie oben bemerkt, die Mancipatio, nur daß ſie
hier nicht, wie im Nexum, allein und ſelbſtändig, ſondern in
Verbindung mit einer andern Handlung auftrat.
War nun dieſe Verbindung eine uranfängliche? Kannte
das römiſche Recht von jeher keine andere Weiſe, Eigenthum
zu übertragen, als gegen Baarzahlung? Mußte in älteſter Zeit,
wer einen Stier gegen eine Kuh vertauſchen wollte, den Con-
tract in Form zweier Käufe kleiden und zwei Mal — und hier
708a) Gaj. IV §. 24, 25.
709) Gaj. III, 173. 175.
710) Gaj. III §. 173—175. Ein anderer Fall, bei dem ſich dieſem
Zeugniß zufolge dieſe Scheinhandlung noch erhalten, war der Erlaß der Ju-
dicatsſchuld, welche letztere zwar niemals unter, aber ſtets neben dem
Nexum geſtanden hatte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |