Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
Idiot. Und darauf muß man halten, denn es gibt kein Ende
des Streites, wenn man die einzelnen Streitpunkte nicht fixirt
und einfach durch Frage und Antwort erledigt." In ähnlicher
Weise, meinten die alten Juristen, ließe sich auch bei den Ver-
handlungen rechtlicher Art die Gewißheit der erreichten Ei-
nigung nur dadurch constatiren, daß der Schuldner sich streng
an die Frage binde; thue er es nicht, so sei das ein Zeichen,
daß die Partheien noch nicht eins geworden. Im Geist der
alten Zeit (§. 47) darf man annehmen, daß der Schuldner ur-
sprünglich den ganzen Inhalt der Stipulation wiederholen
mußte und sich nicht wie später mit einem einfachen Ja oder
spondeo, dabo u. s. w. begnügen durfte. Das wahre Wesen
der Stipulationsidee ist sowohl von ihrer psychologischen als
praktischen Seite bereits von einem Andern 743) in so vorzüg-
licher Weise entwickelt, daß ich nichts besseres thun kann, als
dessen Worte wörtlich wieder zu geben.

"Die neuern gebildeten Sprachen und die gebildeten Spre-
cher dieser gebrauchen zum Ausdruck absoluter Bejahung oder
Verneinung der Frage ein einfaches Abstractum, welches abso-
lut und rein nur Bejahung oder Verneinung ohne weitere Be-
stimmung ist. Wie kurz, wie lang, welchen Inhalts immer die
Frage sei, so wird die Bejahung mit "Ja" u. s. w. gleichmäßig
auf die kürzeste und bündigste Weise abstract ausgedrückt. Die
ältern concreteren Sprachen überhaupt wie auch noch die un-
geübteren Sprecher ausgebildeter Sprachen haben nur eine con-
crete Bejahung. So auch die römische Sprache. Sie kennt gar
keine abstracte Bejahung. Statt der reinen Antwort hat sie
nur ein Antworten auf dieses Gefragte. Es wird in die Ant-
wort mehr oder minder alles Gefragte wieder aufgenommen.

743) J. Christiansen (der Aeltere) Institutionen des römischen Rechts
S. 308--310 -- ein Buch, das neben manchem Ungenießbaren und Verwe-
genen viele tiefe Einblicke enthält. Die zum Theil nicht unverschuldete geringe
Verbreitung des Buchs hat mich bestimmt, die citirte Stelle mit Auslassung
einiger überflüssigen Breiten wörtlich abdrucken zu lassen.

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
Idiot. Und darauf muß man halten, denn es gibt kein Ende
des Streites, wenn man die einzelnen Streitpunkte nicht fixirt
und einfach durch Frage und Antwort erledigt.“ In ähnlicher
Weiſe, meinten die alten Juriſten, ließe ſich auch bei den Ver-
handlungen rechtlicher Art die Gewißheit der erreichten Ei-
nigung nur dadurch conſtatiren, daß der Schuldner ſich ſtreng
an die Frage binde; thue er es nicht, ſo ſei das ein Zeichen,
daß die Partheien noch nicht eins geworden. Im Geiſt der
alten Zeit (§. 47) darf man annehmen, daß der Schuldner ur-
ſprünglich den ganzen Inhalt der Stipulation wiederholen
mußte und ſich nicht wie ſpäter mit einem einfachen Ja oder
spondeo, dabo u. ſ. w. begnügen durfte. Das wahre Weſen
der Stipulationsidee iſt ſowohl von ihrer pſychologiſchen als
praktiſchen Seite bereits von einem Andern 743) in ſo vorzüg-
licher Weiſe entwickelt, daß ich nichts beſſeres thun kann, als
deſſen Worte wörtlich wieder zu geben.

„Die neuern gebildeten Sprachen und die gebildeten Spre-
cher dieſer gebrauchen zum Ausdruck abſoluter Bejahung oder
Verneinung der Frage ein einfaches Abſtractum, welches abſo-
lut und rein nur Bejahung oder Verneinung ohne weitere Be-
ſtimmung iſt. Wie kurz, wie lang, welchen Inhalts immer die
Frage ſei, ſo wird die Bejahung mit „Ja“ u. ſ. w. gleichmäßig
auf die kürzeſte und bündigſte Weiſe abſtract ausgedrückt. Die
ältern concreteren Sprachen überhaupt wie auch noch die un-
geübteren Sprecher ausgebildeter Sprachen haben nur eine con-
crete Bejahung. So auch die römiſche Sprache. Sie kennt gar
keine abſtracte Bejahung. Statt der reinen Antwort hat ſie
nur ein Antworten auf dieſes Gefragte. Es wird in die Ant-
wort mehr oder minder alles Gefragte wieder aufgenommen.

743) J. Chriſtianſen (der Aeltere) Inſtitutionen des römiſchen Rechts
S. 308—310 — ein Buch, das neben manchem Ungenießbaren und Verwe-
genen viele tiefe Einblicke enthält. Die zum Theil nicht unverſchuldete geringe
Verbreitung des Buchs hat mich beſtimmt, die citirte Stelle mit Auslaſſung
einiger überflüſſigen Breiten wörtlich abdrucken zu laſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0289" n="583"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 46.</fw><lb/>
Idiot. Und darauf muß man halten, denn es gibt kein Ende<lb/>
des Streites, wenn man die einzelnen Streitpunkte nicht fixirt<lb/>
und einfach durch Frage und Antwort erledigt.&#x201C; In ähnlicher<lb/>
Wei&#x017F;e, meinten die alten Juri&#x017F;ten, ließe &#x017F;ich auch bei den Ver-<lb/>
handlungen <hi rendition="#g">rechtlicher</hi> Art die Gewißheit der erreichten Ei-<lb/>
nigung nur dadurch con&#x017F;tatiren, daß der Schuldner &#x017F;ich &#x017F;treng<lb/>
an die Frage binde; thue er es nicht, &#x017F;o &#x017F;ei das ein Zeichen,<lb/>
daß die Partheien noch nicht eins geworden. Im Gei&#x017F;t der<lb/>
alten Zeit (§. 47) darf man annehmen, daß der Schuldner ur-<lb/>
&#x017F;prünglich den ganzen Inhalt der Stipulation wiederholen<lb/>
mußte und &#x017F;ich nicht wie &#x017F;päter mit einem einfachen Ja oder<lb/><hi rendition="#aq">spondeo, dabo</hi> u. &#x017F;. w. begnügen durfte. Das wahre We&#x017F;en<lb/>
der Stipulationsidee i&#x017F;t &#x017F;owohl von ihrer p&#x017F;ychologi&#x017F;chen als<lb/>
prakti&#x017F;chen Seite bereits von einem Andern <note place="foot" n="743)">J. Chri&#x017F;tian&#x017F;en (der Aeltere) In&#x017F;titutionen des römi&#x017F;chen Rechts<lb/>
S. 308&#x2014;310 &#x2014; ein Buch, das neben manchem Ungenießbaren und Verwe-<lb/>
genen viele tiefe Einblicke enthält. Die zum Theil nicht unver&#x017F;chuldete geringe<lb/>
Verbreitung des Buchs hat mich be&#x017F;timmt, die citirte Stelle mit Ausla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
einiger überflü&#x017F;&#x017F;igen Breiten wörtlich abdrucken zu la&#x017F;&#x017F;en.</note> in &#x017F;o vorzüg-<lb/>
licher Wei&#x017F;e entwickelt, daß ich nichts be&#x017F;&#x017F;eres thun kann, als<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Worte wörtlich wieder zu geben.</p><lb/>
                    <p>&#x201E;Die neuern gebildeten Sprachen und die gebildeten Spre-<lb/>
cher die&#x017F;er gebrauchen zum Ausdruck ab&#x017F;oluter Bejahung oder<lb/>
Verneinung der Frage ein einfaches Ab&#x017F;tractum, welches ab&#x017F;o-<lb/>
lut und rein <hi rendition="#g">nur</hi> Bejahung oder Verneinung ohne weitere Be-<lb/>
&#x017F;timmung i&#x017F;t. Wie kurz, wie lang, welchen Inhalts immer die<lb/>
Frage &#x017F;ei, &#x017F;o wird die Bejahung mit &#x201E;Ja&#x201C; u. &#x017F;. w. gleichmäßig<lb/>
auf die kürze&#x017F;te und bündig&#x017F;te Wei&#x017F;e ab&#x017F;tract ausgedrückt. Die<lb/>
ältern concreteren Sprachen überhaupt wie auch noch die un-<lb/>
geübteren Sprecher ausgebildeter Sprachen haben nur eine con-<lb/>
crete Bejahung. So auch die römi&#x017F;che Sprache. Sie kennt gar<lb/>
keine ab&#x017F;tracte Bejahung. Statt der reinen Antwort hat &#x017F;ie<lb/>
nur ein Antworten auf die&#x017F;es Gefragte. Es wird in die Ant-<lb/>
wort mehr oder minder alles Gefragte wieder aufgenommen.<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0289] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Idiot. Und darauf muß man halten, denn es gibt kein Ende des Streites, wenn man die einzelnen Streitpunkte nicht fixirt und einfach durch Frage und Antwort erledigt.“ In ähnlicher Weiſe, meinten die alten Juriſten, ließe ſich auch bei den Ver- handlungen rechtlicher Art die Gewißheit der erreichten Ei- nigung nur dadurch conſtatiren, daß der Schuldner ſich ſtreng an die Frage binde; thue er es nicht, ſo ſei das ein Zeichen, daß die Partheien noch nicht eins geworden. Im Geiſt der alten Zeit (§. 47) darf man annehmen, daß der Schuldner ur- ſprünglich den ganzen Inhalt der Stipulation wiederholen mußte und ſich nicht wie ſpäter mit einem einfachen Ja oder spondeo, dabo u. ſ. w. begnügen durfte. Das wahre Weſen der Stipulationsidee iſt ſowohl von ihrer pſychologiſchen als praktiſchen Seite bereits von einem Andern 743) in ſo vorzüg- licher Weiſe entwickelt, daß ich nichts beſſeres thun kann, als deſſen Worte wörtlich wieder zu geben. „Die neuern gebildeten Sprachen und die gebildeten Spre- cher dieſer gebrauchen zum Ausdruck abſoluter Bejahung oder Verneinung der Frage ein einfaches Abſtractum, welches abſo- lut und rein nur Bejahung oder Verneinung ohne weitere Be- ſtimmung iſt. Wie kurz, wie lang, welchen Inhalts immer die Frage ſei, ſo wird die Bejahung mit „Ja“ u. ſ. w. gleichmäßig auf die kürzeſte und bündigſte Weiſe abſtract ausgedrückt. Die ältern concreteren Sprachen überhaupt wie auch noch die un- geübteren Sprecher ausgebildeter Sprachen haben nur eine con- crete Bejahung. So auch die römiſche Sprache. Sie kennt gar keine abſtracte Bejahung. Statt der reinen Antwort hat ſie nur ein Antworten auf dieſes Gefragte. Es wird in die Ant- wort mehr oder minder alles Gefragte wieder aufgenommen. 743) J. Chriſtianſen (der Aeltere) Inſtitutionen des römiſchen Rechts S. 308—310 — ein Buch, das neben manchem Ungenießbaren und Verwe- genen viele tiefe Einblicke enthält. Die zum Theil nicht unverſchuldete geringe Verbreitung des Buchs hat mich beſtimmt, die citirte Stelle mit Auslaſſung einiger überflüſſigen Breiten wörtlich abdrucken zu laſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/289
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/289>, abgerufen am 24.11.2024.