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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
spricht. 780) Bei beweglichen Sachen geschieht dies an der Ge-
richtsstätte, bei unbeweglichen verfügten sich ursprünglich die
Partheien mit dem Gerichtspersonal (Prätor und Lictoren) und
Zeugen (superstites) an Ort und Stelle, und der Act ward
insofern vor Gericht (in jure im Sinne der XII Tafeln 781))
vorgenommen. Späterhin gingen die Partheien ohne den
Prätor hinaus, der Act ward also ein außergerichtlicher,
wie dies durch die Aufforderungsformel: ex jure (vom Gericht
weg) manum consertum vocare 782) angedeutet wird, ja schließ-
lich ersparten sie sich diesen das Verfahren unterbrechenden Gang
dadurch, daß sie von vornherein die das Grundstück repräsenti-
rende Scholle (S. 540) mitbrachten, zu der sie dann als zum
Grundstück selbst (wenn auch mit zwei Schritten) sich hin-
ausverfügten
d. h. der Act blieb juristisch ein außer-
gerichtlicher
. 783) Diese effective Aufgabe des Requisits

780) Gaj. IV, 16.
781) So stellte Gell. XX, 10 wenigstens die Sache dar.
782) Cic. pro Mur. c. 12. Ich komme auf die Formel später zurück.
783) Keller Der röm. Civilproceß §. 14 construirt den Vorgang etwas
anders, indem er den Bericht von Cicero und Gajus in einer Weise combi-
nirt, die ihm selbst nicht ganz unbedenklich erscheint. Ex jure vocare kann
aber nur den Sinn haben: zu einem Act aufzufordern, der nicht in jure
vorgenommen werden soll, dieser Act aber wird bezeichnet nicht als Holen
der Scholle -- die muß bereits da sein -- sondern als "manum conserere".
Dasselbe geschieht also extra jus, möge es an dem Grundstück selbst oder
an der dasselbe repräsentirenden Scholle vorgenommen werden, und eben diese
Abweichung von dem: in jure manum conserere der XII Tafeln (Gell:
contra XII tabulas
) wird durch jenes: ex jure ... vocare in solenner
Weise kundgegeben. Nach der Kellerschen Auffassung würden die Partheien
im Widerspruch mit dieser Formel das manum conserere in jure vornehmen
und (vermöge der Scholle) ein Grundstück vor Gericht bringen, extra jus
hingegen das nicht thun, zu dem sie sich durch die obige Formel auffor-
dern: das manum conserere, und wiederum zu dem, was sie thun: zu dem
Holen der Scholle, sich nicht auffordern. Mit der Rückkehr vor Ge-
richt ist meiner Ansicht nach der Act des manum conserere beendet, nach
Keller (und ebenso Puchta Instit. II §. 162 zu Note o im Texte) beginnt er
erst jetzt.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ſpricht. 780) Bei beweglichen Sachen geſchieht dies an der Ge-
richtsſtätte, bei unbeweglichen verfügten ſich urſprünglich die
Partheien mit dem Gerichtsperſonal (Prätor und Lictoren) und
Zeugen (superstites) an Ort und Stelle, und der Act ward
inſofern vor Gericht (in jure im Sinne der XII Tafeln 781))
vorgenommen. Späterhin gingen die Partheien ohne den
Prätor hinaus, der Act ward alſo ein außergerichtlicher,
wie dies durch die Aufforderungsformel: ex jure (vom Gericht
weg) manum consertum vocare 782) angedeutet wird, ja ſchließ-
lich erſparten ſie ſich dieſen das Verfahren unterbrechenden Gang
dadurch, daß ſie von vornherein die das Grundſtück repräſenti-
rende Scholle (S. 540) mitbrachten, zu der ſie dann als zum
Grundſtück ſelbſt (wenn auch mit zwei Schritten) ſich hin-
ausverfügten
d. h. der Act blieb juriſtiſch ein außer-
gerichtlicher
. 783) Dieſe effective Aufgabe des Requiſits

780) Gaj. IV, 16.
781) So ſtellte Gell. XX, 10 wenigſtens die Sache dar.
782) Cic. pro Mur. c. 12. Ich komme auf die Formel ſpäter zurück.
783) Keller Der röm. Civilproceß §. 14 conſtruirt den Vorgang etwas
anders, indem er den Bericht von Cicero und Gajus in einer Weiſe combi-
nirt, die ihm ſelbſt nicht ganz unbedenklich erſcheint. Ex jure vocare kann
aber nur den Sinn haben: zu einem Act aufzufordern, der nicht in jure
vorgenommen werden ſoll, dieſer Act aber wird bezeichnet nicht als Holen
der Scholle — die muß bereits da ſein — ſondern als „manum conserere“.
Daſſelbe geſchieht alſo extra jus, möge es an dem Grundſtück ſelbſt oder
an der daſſelbe repräſentirenden Scholle vorgenommen werden, und eben dieſe
Abweichung von dem: in jure manum conserere der XII Tafeln (Gell:
contra XII tabulas
) wird durch jenes: ex jure … vocare in ſolenner
Weiſe kundgegeben. Nach der Kellerſchen Auffaſſung würden die Partheien
im Widerſpruch mit dieſer Formel das manum conserere in jure vornehmen
und (vermöge der Scholle) ein Grundſtück vor Gericht bringen, extra jus
hingegen das nicht thun, zu dem ſie ſich durch die obige Formel auffor-
dern: das manum conserere, und wiederum zu dem, was ſie thun: zu dem
Holen der Scholle, ſich nicht auffordern. Mit der Rückkehr vor Ge-
richt iſt meiner Anſicht nach der Act des manum conserere beendet, nach
Keller (und ebenſo Puchta Inſtit. II §. 162 zu Note o im Texte) beginnt er
erſt jetzt.
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[600/0306] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. ſpricht. 780) Bei beweglichen Sachen geſchieht dies an der Ge- richtsſtätte, bei unbeweglichen verfügten ſich urſprünglich die Partheien mit dem Gerichtsperſonal (Prätor und Lictoren) und Zeugen (superstites) an Ort und Stelle, und der Act ward inſofern vor Gericht (in jure im Sinne der XII Tafeln 781)) vorgenommen. Späterhin gingen die Partheien ohne den Prätor hinaus, der Act ward alſo ein außergerichtlicher, wie dies durch die Aufforderungsformel: ex jure (vom Gericht weg) manum consertum vocare 782) angedeutet wird, ja ſchließ- lich erſparten ſie ſich dieſen das Verfahren unterbrechenden Gang dadurch, daß ſie von vornherein die das Grundſtück repräſenti- rende Scholle (S. 540) mitbrachten, zu der ſie dann als zum Grundſtück ſelbſt (wenn auch mit zwei Schritten) ſich hin- ausverfügten d. h. der Act blieb juriſtiſch ein außer- gerichtlicher. 783) Dieſe effective Aufgabe des Requiſits 780) Gaj. IV, 16. 781) So ſtellte Gell. XX, 10 wenigſtens die Sache dar. 782) Cic. pro Mur. c. 12. Ich komme auf die Formel ſpäter zurück. 783) Keller Der röm. Civilproceß §. 14 conſtruirt den Vorgang etwas anders, indem er den Bericht von Cicero und Gajus in einer Weiſe combi- nirt, die ihm ſelbſt nicht ganz unbedenklich erſcheint. Ex jure vocare kann aber nur den Sinn haben: zu einem Act aufzufordern, der nicht in jure vorgenommen werden ſoll, dieſer Act aber wird bezeichnet nicht als Holen der Scholle — die muß bereits da ſein — ſondern als „manum conserere“. Daſſelbe geſchieht alſo extra jus, möge es an dem Grundſtück ſelbſt oder an der daſſelbe repräſentirenden Scholle vorgenommen werden, und eben dieſe Abweichung von dem: in jure manum conserere der XII Tafeln (Gell: contra XII tabulas) wird durch jenes: ex jure … vocare in ſolenner Weiſe kundgegeben. Nach der Kellerſchen Auffaſſung würden die Partheien im Widerſpruch mit dieſer Formel das manum conserere in jure vornehmen und (vermöge der Scholle) ein Grundſtück vor Gericht bringen, extra jus hingegen das nicht thun, zu dem ſie ſich durch die obige Formel auffor- dern: das manum conserere, und wiederum zu dem, was ſie thun: zu dem Holen der Scholle, ſich nicht auffordern. Mit der Rückkehr vor Ge- richt iſt meiner Anſicht nach der Act des manum conserere beendet, nach Keller (und ebenſo Puchta Inſtit. II §. 162 zu Note o im Texte) beginnt er erſt jetzt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/306>, abgerufen am 17.07.2024.