Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. die den Juristen vom Laien unterscheidet, nicht die Masse derKenntnisse, sie ist es, die den Werth des Juristen bestimmt, nicht das Maß der Gelehrsamkeit. Darum kann Jemand bei mäßigem Wissen ein ausgezeichneter, und bei großem Wissen ein schlechter Jurist sein. Keine im Uebrigen noch so werthvolle Beschäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphilosophische und rechtshistorische, kann für sie Ersatz gewähren, ja so hoch ich ein Wissen der letzteren Art stelle, als juristisches läßt es sich nicht bezeichnen. Die juristische Bildung wird zwar erworben an einem Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. die den Juriſten vom Laien unterſcheidet, nicht die Maſſe derKenntniſſe, ſie iſt es, die den Werth des Juriſten beſtimmt, nicht das Maß der Gelehrſamkeit. Darum kann Jemand bei mäßigem Wiſſen ein ausgezeichneter, und bei großem Wiſſen ein ſchlechter Juriſt ſein. Keine im Uebrigen noch ſo werthvolle Beſchäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphiloſophiſche und rechtshiſtoriſche, kann für ſie Erſatz gewähren, ja ſo hoch ich ein Wiſſen der letzteren Art ſtelle, als juriſtiſches läßt es ſich nicht bezeichnen. Die juriſtiſche Bildung wird zwar erworben an einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0032" n="326"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Im allgem.</fw><lb/> die den Juriſten vom Laien unterſcheidet, nicht die <hi rendition="#g">Maſſe</hi> der<lb/> Kenntniſſe, <hi rendition="#g">ſie</hi> iſt es, die den Werth des Juriſten beſtimmt,<lb/> nicht das Maß der Gelehrſamkeit. Darum kann Jemand bei<lb/> mäßigem Wiſſen ein ausgezeichneter, und bei großem Wiſſen<lb/> ein ſchlechter Juriſt ſein. Keine im Uebrigen noch ſo werthvolle<lb/> Beſchäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphiloſophiſche und<lb/> rechtshiſtoriſche, kann für ſie Erſatz gewähren, ja ſo hoch ich ein<lb/> Wiſſen der letzteren Art ſtelle, als <hi rendition="#g">juriſtiſches</hi> läßt es ſich<lb/> nicht bezeichnen.</p><lb/> <p>Die juriſtiſche Bildung wird zwar <hi rendition="#g">erworben</hi> an einem<lb/> einzelnen poſitiven Recht, allein ſie iſt darum nicht an letzteres<lb/> gebunden, ſteht und fällt nicht mit ihm. Wäre dies der Fall, ſo<lb/> müßte der Juriſt zittern bei dem Gedanken, daß das bisherige<lb/> Recht und damit ſeine Exiſtenz als Juriſt aufgehoben würde. Al-<lb/> lein in dem beſtimmten einzelnen Recht lernt er zugleich <hi rendition="#g">das</hi><lb/> Recht kennen, ſo wie Jemand, der <hi rendition="#g">eine</hi> Sprache wiſſenſchaft-<lb/> lich ſtudirt, zugleich das Weſen, die Geſetze u. ſ. w. <hi rendition="#g">der</hi><lb/> Sprache. Neben ſeinem rein poſitiven Wiſſen, der Kenntniß<lb/><hi rendition="#g">dieſes</hi> Rechts, beſitzt er alſo noch ein höheres allgemeineres<lb/> Gut, das nicht an die Scholle gebunden iſt, das keine Rechts-<lb/> und Orts-Veränderung ihm entwerthen kann, und gerade dies<lb/> iſt die eigentliche Blüthe, die edelſte Frucht eines dem Recht<lb/> gewidmeten Lebens. Die juriſtiſche Bildung ragt über das<lb/> Landesrecht weit hinaus, in ihr begegnen ſich wie auf neutra-<lb/> lem Boden die Juriſten aller Länder und Zeiten. Die Gegen-<lb/> ſtände ihrer Kenntniſſe, die Einrichtungen und Rechte der ein-<lb/> zelnen Länder ſind verſchieden, aber die Art, ſie zu betrachten<lb/> und aufzufaſſen, dieſelbe — <hi rendition="#g">die wahren Juriſten aller<lb/> Orten und Zeiten reden dieſelbe Sprache</hi>, ſie verſte-<lb/> hen ſich untereinander; aber Juriſten und Laien verſtehen ſich nicht,<lb/> auch wenn ſie über das Recht ihres Landes mit einander reden. Die<lb/> Kluft zwiſchen dem gebildetſten Laien und einem Juriſten der Ge-<lb/> genwart iſt z. B. ungleich größer, als ſie es zwiſchen einem Juriſten<lb/> des alten Rom und einem engliſchen, der nichts vom römiſchen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [326/0032]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
die den Juriſten vom Laien unterſcheidet, nicht die Maſſe der
Kenntniſſe, ſie iſt es, die den Werth des Juriſten beſtimmt,
nicht das Maß der Gelehrſamkeit. Darum kann Jemand bei
mäßigem Wiſſen ein ausgezeichneter, und bei großem Wiſſen
ein ſchlechter Juriſt ſein. Keine im Uebrigen noch ſo werthvolle
Beſchäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphiloſophiſche und
rechtshiſtoriſche, kann für ſie Erſatz gewähren, ja ſo hoch ich ein
Wiſſen der letzteren Art ſtelle, als juriſtiſches läßt es ſich
nicht bezeichnen.
Die juriſtiſche Bildung wird zwar erworben an einem
einzelnen poſitiven Recht, allein ſie iſt darum nicht an letzteres
gebunden, ſteht und fällt nicht mit ihm. Wäre dies der Fall, ſo
müßte der Juriſt zittern bei dem Gedanken, daß das bisherige
Recht und damit ſeine Exiſtenz als Juriſt aufgehoben würde. Al-
lein in dem beſtimmten einzelnen Recht lernt er zugleich das
Recht kennen, ſo wie Jemand, der eine Sprache wiſſenſchaft-
lich ſtudirt, zugleich das Weſen, die Geſetze u. ſ. w. der
Sprache. Neben ſeinem rein poſitiven Wiſſen, der Kenntniß
dieſes Rechts, beſitzt er alſo noch ein höheres allgemeineres
Gut, das nicht an die Scholle gebunden iſt, das keine Rechts-
und Orts-Veränderung ihm entwerthen kann, und gerade dies
iſt die eigentliche Blüthe, die edelſte Frucht eines dem Recht
gewidmeten Lebens. Die juriſtiſche Bildung ragt über das
Landesrecht weit hinaus, in ihr begegnen ſich wie auf neutra-
lem Boden die Juriſten aller Länder und Zeiten. Die Gegen-
ſtände ihrer Kenntniſſe, die Einrichtungen und Rechte der ein-
zelnen Länder ſind verſchieden, aber die Art, ſie zu betrachten
und aufzufaſſen, dieſelbe — die wahren Juriſten aller
Orten und Zeiten reden dieſelbe Sprache, ſie verſte-
hen ſich untereinander; aber Juriſten und Laien verſtehen ſich nicht,
auch wenn ſie über das Recht ihres Landes mit einander reden. Die
Kluft zwiſchen dem gebildetſten Laien und einem Juriſten der Ge-
genwart iſt z. B. ungleich größer, als ſie es zwiſchen einem Juriſten
des alten Rom und einem engliſchen, der nichts vom römiſchen
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