Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
recht halten und auch nur er während der Dauer seines Amts-
jahres. Sein Nachfolger konnte das Edict ändern, und darum
durfte er, wenn er nicht mehr versprechen wollte, als er zu hal-
ten vermochte, nur sagen: ich werde die Klage ertheilen oder
nicht ertheilen, die Verträge aufrecht halten u. s. w. So ist
mithin diese stylistische Nüancirung ungemein prägnant; sie
zeichnet wie mit einem Pinselstrich das ganze Wesen des präto-
rischen Rechts, und ich glaube damit meine Behauptung auf
S. 625 gerechtfertigt zu haben.

In den solennen Formeln des ältern Civilrechts hingegen
hat umgekehrt das Futurum keinen Raum. Sie lauten
sämmtlich auf das Präsens.837) Für die eigentlichen Legis-
actionen ist dies ausdrücklich bezeugt. Nulla legis actio, sagt
Paulus,838) prodita est de futuro; es könnte ebensogut heißen:
in Futuro: im Futurum. Allein auch für die Rechtsgeschäfte
ist dies außer allem Zweifel, es hängt mit einem Princip zu-
sammen, das ich erst an einem spätern Orte (Theorie des subj.
Willens) näher begründen kann, nämlich mit dem Princip der
Präsenz der Requisite und Wirkungen des Rechts-
geschäfts im Moment seines Abschlusses -- jene sollen in diesem
Moment bereits vorhanden sein, diese sofort beginnen,
das Rechtsgeschäft kann nicht anticipirt, noch suspendirt
werden.

Es bleibt mir schließlich noch:

5. Die Form der Frage und Antwort. Für ge-
wisse Gelegenheiten versteht sie sich von selbst, für andere Ver-
hältnisse hingegen ist ihre Wahl eine bedeutungsvollere; es
liegt ihr eine bestimmte Absicht zu Grunde, die wir zu ermitteln
haben.

837) So auch die römische Stipulationsform mit spondeo. Die
abstractere an kein bestimmtes Wort gebundene Stipulation des jus gentium
hingegen (S. 581) kann im Futurum geschlossen werden: dabis dabo,
facies faciam.
838) Vat. fragm. §. 49.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
recht halten und auch nur er während der Dauer ſeines Amts-
jahres. Sein Nachfolger konnte das Edict ändern, und darum
durfte er, wenn er nicht mehr verſprechen wollte, als er zu hal-
ten vermochte, nur ſagen: ich werde die Klage ertheilen oder
nicht ertheilen, die Verträge aufrecht halten u. ſ. w. So iſt
mithin dieſe ſtyliſtiſche Nüancirung ungemein prägnant; ſie
zeichnet wie mit einem Pinſelſtrich das ganze Weſen des präto-
riſchen Rechts, und ich glaube damit meine Behauptung auf
S. 625 gerechtfertigt zu haben.

In den ſolennen Formeln des ältern Civilrechts hingegen
hat umgekehrt das Futurum keinen Raum. Sie lauten
ſämmtlich auf das Präſens.837) Für die eigentlichen Legis-
actionen iſt dies ausdrücklich bezeugt. Nulla legis actio, ſagt
Paulus,838) prodita est de futuro; es könnte ebenſogut heißen:
in Futuro: im Futurum. Allein auch für die Rechtsgeſchäfte
iſt dies außer allem Zweifel, es hängt mit einem Princip zu-
ſammen, das ich erſt an einem ſpätern Orte (Theorie des ſubj.
Willens) näher begründen kann, nämlich mit dem Princip der
Präſenz der Requiſite und Wirkungen des Rechts-
geſchäfts im Moment ſeines Abſchluſſes — jene ſollen in dieſem
Moment bereits vorhanden ſein, dieſe ſofort beginnen,
das Rechtsgeſchäft kann nicht anticipirt, noch ſuspendirt
werden.

Es bleibt mir ſchließlich noch:

5. Die Form der Frage und Antwort. Für ge-
wiſſe Gelegenheiten verſteht ſie ſich von ſelbſt, für andere Ver-
hältniſſe hingegen iſt ihre Wahl eine bedeutungsvollere; es
liegt ihr eine beſtimmte Abſicht zu Grunde, die wir zu ermitteln
haben.

837) So auch die römiſche Stipulationsform mit spondeo. Die
abſtractere an kein beſtimmtes Wort gebundene Stipulation des jus gentium
hingegen (S. 581) kann im Futurum geſchloſſen werden: dabis dabo,
facies faciam.
838) Vat. fragm. §. 49.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0340" n="634"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
recht halten und auch nur <hi rendition="#g">er</hi> während der Dauer <hi rendition="#g">&#x017F;eines</hi> Amts-<lb/>
jahres. Sein Nachfolger konnte das Edict ändern, und darum<lb/>
durfte er, wenn er nicht mehr ver&#x017F;prechen wollte, als er zu hal-<lb/>
ten vermochte, nur &#x017F;agen: <hi rendition="#g">ich</hi> werde die Klage ertheilen oder<lb/>
nicht ertheilen, die Verträge aufrecht halten u. &#x017F;. w. So i&#x017F;t<lb/>
mithin die&#x017F;e &#x017F;tyli&#x017F;ti&#x017F;che Nüancirung ungemein prägnant; &#x017F;ie<lb/>
zeichnet wie mit einem Pin&#x017F;el&#x017F;trich das ganze We&#x017F;en des präto-<lb/>
ri&#x017F;chen Rechts, und ich glaube damit meine Behauptung auf<lb/>
S. 625 gerechtfertigt zu haben.</p><lb/>
                        <p>In den &#x017F;olennen Formeln des ältern Civilrechts hingegen<lb/>
hat umgekehrt das Futurum <hi rendition="#g">keinen</hi> Raum. Sie lauten<lb/>
&#x017F;ämmtlich auf das Prä&#x017F;ens.<note place="foot" n="837)">So auch die <hi rendition="#g">römi&#x017F;che</hi> Stipulationsform mit <hi rendition="#aq">spondeo.</hi> Die<lb/>
ab&#x017F;tractere an kein be&#x017F;timmtes Wort gebundene Stipulation des <hi rendition="#aq">jus gentium</hi><lb/>
hingegen (S. 581) kann im Futurum ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden: <hi rendition="#aq">dabis dabo,<lb/>
facies faciam.</hi></note> Für die eigentlichen Legis-<lb/>
actionen i&#x017F;t dies ausdrücklich bezeugt. <hi rendition="#aq">Nulla legis actio,</hi> &#x017F;agt<lb/>
Paulus,<note place="foot" n="838)"><hi rendition="#aq">Vat. fragm.</hi> §. 49.</note> <hi rendition="#aq">prodita est de futuro;</hi> es könnte eben&#x017F;ogut heißen:<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">in</hi> Futuro:</hi> im Futurum. Allein auch für die Rechtsge&#x017F;chäfte<lb/>
i&#x017F;t dies außer allem Zweifel, es hängt mit einem Princip zu-<lb/>
&#x017F;ammen, das ich er&#x017F;t an einem &#x017F;pätern Orte (Theorie des &#x017F;ubj.<lb/>
Willens) näher begründen kann, nämlich mit dem Princip der<lb/><hi rendition="#g">Prä&#x017F;enz der Requi&#x017F;ite und Wirkungen</hi> des Rechts-<lb/>
ge&#x017F;chäfts im Moment &#x017F;eines Ab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es &#x2014; jene &#x017F;ollen in die&#x017F;em<lb/>
Moment bereits <hi rendition="#g">vorhanden &#x017F;ein</hi>, die&#x017F;e &#x017F;ofort <hi rendition="#g">beginnen</hi>,<lb/>
das Rechtsge&#x017F;chäft kann nicht <hi rendition="#g">anticipirt</hi>, noch <hi rendition="#g">&#x017F;uspendirt</hi><lb/>
werden.</p><lb/>
                        <p>Es bleibt mir &#x017F;chließlich noch:</p><lb/>
                        <p>5. <hi rendition="#g">Die Form der Frage und Antwort</hi>. Für ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Gelegenheiten ver&#x017F;teht &#x017F;ie &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, für andere Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e hingegen i&#x017F;t ihre Wahl eine bedeutungsvollere; es<lb/>
liegt ihr eine be&#x017F;timmte Ab&#x017F;icht zu Grunde, die wir zu ermitteln<lb/>
haben.</p><lb/>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[634/0340] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. recht halten und auch nur er während der Dauer ſeines Amts- jahres. Sein Nachfolger konnte das Edict ändern, und darum durfte er, wenn er nicht mehr verſprechen wollte, als er zu hal- ten vermochte, nur ſagen: ich werde die Klage ertheilen oder nicht ertheilen, die Verträge aufrecht halten u. ſ. w. So iſt mithin dieſe ſtyliſtiſche Nüancirung ungemein prägnant; ſie zeichnet wie mit einem Pinſelſtrich das ganze Weſen des präto- riſchen Rechts, und ich glaube damit meine Behauptung auf S. 625 gerechtfertigt zu haben. In den ſolennen Formeln des ältern Civilrechts hingegen hat umgekehrt das Futurum keinen Raum. Sie lauten ſämmtlich auf das Präſens. 837) Für die eigentlichen Legis- actionen iſt dies ausdrücklich bezeugt. Nulla legis actio, ſagt Paulus, 838) prodita est de futuro; es könnte ebenſogut heißen: in Futuro: im Futurum. Allein auch für die Rechtsgeſchäfte iſt dies außer allem Zweifel, es hängt mit einem Princip zu- ſammen, das ich erſt an einem ſpätern Orte (Theorie des ſubj. Willens) näher begründen kann, nämlich mit dem Princip der Präſenz der Requiſite und Wirkungen des Rechts- geſchäfts im Moment ſeines Abſchluſſes — jene ſollen in dieſem Moment bereits vorhanden ſein, dieſe ſofort beginnen, das Rechtsgeſchäft kann nicht anticipirt, noch ſuspendirt werden. Es bleibt mir ſchließlich noch: 5. Die Form der Frage und Antwort. Für ge- wiſſe Gelegenheiten verſteht ſie ſich von ſelbſt, für andere Ver- hältniſſe hingegen iſt ihre Wahl eine bedeutungsvollere; es liegt ihr eine beſtimmte Abſicht zu Grunde, die wir zu ermitteln haben. 837) So auch die römiſche Stipulationsform mit spondeo. Die abſtractere an kein beſtimmtes Wort gebundene Stipulation des jus gentium hingegen (S. 581) kann im Futurum geſchloſſen werden: dabis dabo, facies faciam. 838) Vat. fragm. §. 49.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/340
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/340>, abgerufen am 21.11.2024.