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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Wenn der Beklagte bei Beginn des Processes vor dem Prä-
tor (in jure) aus eignem Antriebe ein für den Kläger wichti-
ges Geständniß ablegte, so hatte dies nicht die Kraft einer
confessio in jure; er mußte gefragt sein (interrogatio in
jure).
839) Warum? Das Geständniß als solches ist etwas
Beziehungsloses; soll dasselbe eine Beziehung auf diesen
Kläger erhalten, so muß dies durch eine Handlung von seiner
Seite vermittelt werden. Dies geschieht durch die Frage.
Jetzt ist das Geständniß ihm abgelegt (in personam, nicht bloß
in rem).

Ebenso bei dem Versprechen. Uns zwar mag es so
scheinen, als ob die beabsichtigte Richtung des Versprechens
auf diesen Gläubiger schon vollständig dadurch an den Tag
gelegt werde, daß die Leistung an ihn erfolgen solle, einerlei
ob das Versprechen ihm gegenüber abgelegt sei. Allein dann
hätte es auch als confessio in jure gelten müssen, wenn der
Beklagte ungefragt gestanden hätte, daß er diesen Kläger be-
stohlen oder von ihm etwas erhalten habe. Die bloße Bezie-
hung des Inhalts auf ihn genügt nicht, die Beziehung mußte
hier wie dort durch eine Willenserklärung des Gläubi-
gers hergestellt werden.

Allein warum in beiden Fällen nicht durch Acceptation?
Ein acceptirtes Geständniß oder Versprechen, sollte man sagen,
stände einem auf Grund der Frage abgelegten völlig gleich.
Die Antwort ist: weil der, welcher erwerben will, die Initia-
tive ergreifen muß.840) Bei Akten, bei denen die Handlung des

839) Dies geht hervor aus der Art, wie Ulpian in L. 9 pr. de interr.
(11. 1) sich äußert: si sine interrogatione quis responderit se heredem,
pro interrogato habetur.
Ein Beispiel einer Frage aus dem Legis-
actionenproceß bei Gaj. IV, 16: postulo, anne dicas, qua ex causa vin-
dicaveris.
840) Die Begründung dieses Satzes s. in der Theorie des subj. Wil-
lens. Als Beispiel diene die mancipatio; selbst bei der Testamentserrichtung
spricht zuerst der familiae emtor und erst nach ihm der Testator.
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Wenn der Beklagte bei Beginn des Proceſſes vor dem Prä-
tor (in jure) aus eignem Antriebe ein für den Kläger wichti-
ges Geſtändniß ablegte, ſo hatte dies nicht die Kraft einer
confessio in jure; er mußte gefragt ſein (interrogatio in
jure).
839) Warum? Das Geſtändniß als ſolches iſt etwas
Beziehungsloſes; ſoll daſſelbe eine Beziehung auf dieſen
Kläger erhalten, ſo muß dies durch eine Handlung von ſeiner
Seite vermittelt werden. Dies geſchieht durch die Frage.
Jetzt iſt das Geſtändniß ihm abgelegt (in personam, nicht bloß
in rem).

Ebenſo bei dem Verſprechen. Uns zwar mag es ſo
ſcheinen, als ob die beabſichtigte Richtung des Verſprechens
auf dieſen Gläubiger ſchon vollſtändig dadurch an den Tag
gelegt werde, daß die Leiſtung an ihn erfolgen ſolle, einerlei
ob das Verſprechen ihm gegenüber abgelegt ſei. Allein dann
hätte es auch als confessio in jure gelten müſſen, wenn der
Beklagte ungefragt geſtanden hätte, daß er dieſen Kläger be-
ſtohlen oder von ihm etwas erhalten habe. Die bloße Bezie-
hung des Inhalts auf ihn genügt nicht, die Beziehung mußte
hier wie dort durch eine Willenserklärung des Gläubi-
gers hergeſtellt werden.

Allein warum in beiden Fällen nicht durch Acceptation?
Ein acceptirtes Geſtändniß oder Verſprechen, ſollte man ſagen,
ſtände einem auf Grund der Frage abgelegten völlig gleich.
Die Antwort iſt: weil der, welcher erwerben will, die Initia-
tive ergreifen muß.840) Bei Akten, bei denen die Handlung des

839) Dies geht hervor aus der Art, wie Ulpian in L. 9 pr. de interr.
(11. 1) ſich äußert: si sine interrogatione quis responderit se heredem,
pro interrogato habetur.
Ein Beiſpiel einer Frage aus dem Legis-
actionenproceß bei Gaj. IV, 16: postulo, anne dicas, qua ex causa vin-
dicaveris.
840) Die Begründung dieſes Satzes ſ. in der Theorie des ſubj. Wil-
lens. Als Beiſpiel diene die mancipatio; ſelbſt bei der Teſtamentserrichtung
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[635/0341] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Wenn der Beklagte bei Beginn des Proceſſes vor dem Prä- tor (in jure) aus eignem Antriebe ein für den Kläger wichti- ges Geſtändniß ablegte, ſo hatte dies nicht die Kraft einer confessio in jure; er mußte gefragt ſein (interrogatio in jure). 839) Warum? Das Geſtändniß als ſolches iſt etwas Beziehungsloſes; ſoll daſſelbe eine Beziehung auf dieſen Kläger erhalten, ſo muß dies durch eine Handlung von ſeiner Seite vermittelt werden. Dies geſchieht durch die Frage. Jetzt iſt das Geſtändniß ihm abgelegt (in personam, nicht bloß in rem). Ebenſo bei dem Verſprechen. Uns zwar mag es ſo ſcheinen, als ob die beabſichtigte Richtung des Verſprechens auf dieſen Gläubiger ſchon vollſtändig dadurch an den Tag gelegt werde, daß die Leiſtung an ihn erfolgen ſolle, einerlei ob das Verſprechen ihm gegenüber abgelegt ſei. Allein dann hätte es auch als confessio in jure gelten müſſen, wenn der Beklagte ungefragt geſtanden hätte, daß er dieſen Kläger be- ſtohlen oder von ihm etwas erhalten habe. Die bloße Bezie- hung des Inhalts auf ihn genügt nicht, die Beziehung mußte hier wie dort durch eine Willenserklärung des Gläubi- gers hergeſtellt werden. Allein warum in beiden Fällen nicht durch Acceptation? Ein acceptirtes Geſtändniß oder Verſprechen, ſollte man ſagen, ſtände einem auf Grund der Frage abgelegten völlig gleich. Die Antwort iſt: weil der, welcher erwerben will, die Initia- tive ergreifen muß. 840) Bei Akten, bei denen die Handlung des 839) Dies geht hervor aus der Art, wie Ulpian in L. 9 pr. de interr. (11. 1) ſich äußert: si sine interrogatione quis responderit se heredem, pro interrogato habetur. Ein Beiſpiel einer Frage aus dem Legis- actionenproceß bei Gaj. IV, 16: postulo, anne dicas, qua ex causa vin- dicaveris. 840) Die Begründung dieſes Satzes ſ. in der Theorie des ſubj. Wil- lens. Als Beiſpiel diene die mancipatio; ſelbſt bei der Teſtamentserrichtung ſpricht zuerſt der familiae emtor und erſt nach ihm der Teſtator.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/341>, abgerufen am 20.07.2024.