Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.

Dies Urtheil hat viel Scheinbares, und, so viel ich weiß,
hat man bisher nicht versucht die Richtigkeit desselben in Zweifel
zu ziehen. Allein es will mir scheinen, als ob dasselbe weniger
vom Standpunkt der älteren, als der spätern Zeit aus gefällt
worden sei.

Es ist in dem Begriff der Form mit Nothwendigkeit gelegen,
daß die geringste Abweichung von der Form einen Formfehler
und damit Nichtigkeit begründet (S. 506). Das gilt heut-
zutage nicht minder, als im alten Rom, und was dort z. B. die
Vertauschung des Wortes: arboribus mit vitibus, würde heut-
zutage bei Ausstellung eines Wechsels die des Wortes: "Wechsel"
oder bei Ableistung eines Eides die der Worte: "ich gelobe und
schwöre", mit andern Ausdrücken bewirken (S. 615). Gehen wir
aber davon aus, daß die legis actio ihrer Bestimmung nach
in einem eigenthümlichen rechtlich nothwendigen Citiren der
Gesetzesworte bestand, so werden wir das Verlangen der diplo-
matischen Genauigkeit des Citats (d. h. also die wörtliche
Wiedergabe der Formel) durchaus nicht für eine übertriebene
Strenge halten können. Wir machen heutzutage an Jemanden,
der uns einen Satz aus einem Gesetz citirt, ganz dieselbe An-
forderung! 893)

Und daß das Versehen den Verlust des Processes zur Folge
hatte, wird uns ebenfalls nicht frappiren können. Bei einem
Rechtsgeschäft öffnet sich im Fall eines Versehens der Ausweg
einer abermaligen fehlerfreien Vornahme desselben, und bei den
bloß vorbereitenden außergerichtlichen Legisactionen z. B. der
in jus vocatio mag derselbe vielleicht auch in Rom offen gestan-

893) Für diejenigen, die geneigt sein möchten, diese Strenge für etwas
specifisch römisches zu halten, will ich ein Beispiel aus dem englischen Recht
anführen, das dem von Gajus IV, 11 ebenbürtig zur Seite steht, wenn nicht
gar dasselbe noch übertrifft. Eine Parlamentsacte verbietet das Schenken gei-
stiger Getränke am "Lordsday" (Sonntag). Ein Contravenient ward vor
einigen Jahren bloß aus dem Grunde frei gesprochen, weil das Denuncia-
tions- oder Anklagelibell ihn beschuldigt hatte, am "Sunday" (ebenfalls
Sonntag) geschenkt zu haben. -- Die Klage stimmte nicht mit der lex!
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.

Dies Urtheil hat viel Scheinbares, und, ſo viel ich weiß,
hat man bisher nicht verſucht die Richtigkeit deſſelben in Zweifel
zu ziehen. Allein es will mir ſcheinen, als ob daſſelbe weniger
vom Standpunkt der älteren, als der ſpätern Zeit aus gefällt
worden ſei.

Es iſt in dem Begriff der Form mit Nothwendigkeit gelegen,
daß die geringſte Abweichung von der Form einen Formfehler
und damit Nichtigkeit begründet (S. 506). Das gilt heut-
zutage nicht minder, als im alten Rom, und was dort z. B. die
Vertauſchung des Wortes: arboribus mit vitibus, würde heut-
zutage bei Ausſtellung eines Wechſels die des Wortes: „Wechſel“
oder bei Ableiſtung eines Eides die der Worte: „ich gelobe und
ſchwöre“, mit andern Ausdrücken bewirken (S. 615). Gehen wir
aber davon aus, daß die legis actio ihrer Beſtimmung nach
in einem eigenthümlichen rechtlich nothwendigen Citiren der
Geſetzesworte beſtand, ſo werden wir das Verlangen der diplo-
matiſchen Genauigkeit des Citats (d. h. alſo die wörtliche
Wiedergabe der Formel) durchaus nicht für eine übertriebene
Strenge halten können. Wir machen heutzutage an Jemanden,
der uns einen Satz aus einem Geſetz citirt, ganz dieſelbe An-
forderung! 893)

Und daß das Verſehen den Verluſt des Proceſſes zur Folge
hatte, wird uns ebenfalls nicht frappiren können. Bei einem
Rechtsgeſchäft öffnet ſich im Fall eines Verſehens der Ausweg
einer abermaligen fehlerfreien Vornahme deſſelben, und bei den
bloß vorbereitenden außergerichtlichen Legisactionen z. B. der
in jus vocatio mag derſelbe vielleicht auch in Rom offen geſtan-

893) Für diejenigen, die geneigt ſein möchten, dieſe Strenge für etwas
ſpecifiſch römiſches zu halten, will ich ein Beiſpiel aus dem engliſchen Recht
anführen, das dem von Gajus IV, 11 ebenbürtig zur Seite ſteht, wenn nicht
gar daſſelbe noch übertrifft. Eine Parlamentsacte verbietet das Schenken gei-
ſtiger Getränke am „Lordsday“ (Sonntag). Ein Contravenient ward vor
einigen Jahren bloß aus dem Grunde frei geſprochen, weil das Denuncia-
tions- oder Anklagelibell ihn beſchuldigt hatte, am „Sunday“ (ebenfalls
Sonntag) geſchenkt zu haben. — Die Klage ſtimmte nicht mit der lex!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0368" n="662"/>
                        <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
                        <p>Dies Urtheil hat viel Scheinbares, und, &#x017F;o viel ich weiß,<lb/>
hat man bisher nicht ver&#x017F;ucht die Richtigkeit de&#x017F;&#x017F;elben in Zweifel<lb/>
zu ziehen. Allein es will mir &#x017F;cheinen, als ob da&#x017F;&#x017F;elbe weniger<lb/>
vom Standpunkt der älteren, als der &#x017F;pätern Zeit aus gefällt<lb/>
worden &#x017F;ei.</p><lb/>
                        <p>Es i&#x017F;t in dem Begriff der Form mit Nothwendigkeit gelegen,<lb/>
daß die gering&#x017F;te Abweichung von der Form einen Formfehler<lb/>
und damit Nichtigkeit begründet (S. 506). Das gilt heut-<lb/>
zutage nicht minder, als im alten Rom, und was dort z. B. die<lb/>
Vertau&#x017F;chung des Wortes: <hi rendition="#aq">arboribus</hi> mit <hi rendition="#aq">vitibus,</hi> würde heut-<lb/>
zutage bei Aus&#x017F;tellung eines Wech&#x017F;els die des Wortes: &#x201E;Wech&#x017F;el&#x201C;<lb/>
oder bei Ablei&#x017F;tung eines Eides die der Worte: &#x201E;ich gelobe und<lb/>
&#x017F;chwöre&#x201C;, mit andern Ausdrücken bewirken (S. 615). Gehen wir<lb/>
aber davon aus, daß die <hi rendition="#aq">legis actio</hi> ihrer Be&#x017F;timmung nach<lb/>
in einem eigenthümlichen rechtlich nothwendigen <hi rendition="#g">Citiren</hi> der<lb/>
Ge&#x017F;etzesworte be&#x017F;tand, &#x017F;o werden wir das Verlangen der diplo-<lb/>
mati&#x017F;chen Genauigkeit des Citats (d. h. al&#x017F;o die <hi rendition="#g">wörtliche</hi><lb/>
Wiedergabe der Formel) durchaus nicht für eine übertriebene<lb/>
Strenge halten können. Wir machen heutzutage an Jemanden,<lb/>
der uns einen Satz aus einem Ge&#x017F;etz citirt, ganz die&#x017F;elbe An-<lb/>
forderung! <note place="foot" n="893)">Für diejenigen, die geneigt &#x017F;ein möchten, die&#x017F;e Strenge für etwas<lb/>
&#x017F;pecifi&#x017F;ch römi&#x017F;ches zu halten, will ich ein Bei&#x017F;piel aus dem engli&#x017F;chen Recht<lb/>
anführen, das dem von Gajus <hi rendition="#aq">IV,</hi> 11 ebenbürtig zur Seite &#x017F;teht, wenn nicht<lb/>
gar da&#x017F;&#x017F;elbe noch übertrifft. Eine Parlamentsacte verbietet das Schenken gei-<lb/>
&#x017F;tiger Getränke am <hi rendition="#aq">&#x201E;Lordsday&#x201C;</hi> (Sonntag). Ein Contravenient ward vor<lb/>
einigen Jahren bloß aus dem Grunde frei ge&#x017F;prochen, weil das Denuncia-<lb/>
tions- oder Anklagelibell ihn be&#x017F;chuldigt hatte, am <hi rendition="#aq">&#x201E;Sunday&#x201C;</hi> (ebenfalls<lb/>
Sonntag) ge&#x017F;chenkt zu haben. &#x2014; Die Klage &#x017F;timmte nicht mit der <hi rendition="#aq">lex</hi>!</note></p><lb/>
                        <p>Und daß das Ver&#x017F;ehen den Verlu&#x017F;t des Proce&#x017F;&#x017F;es zur Folge<lb/>
hatte, wird uns ebenfalls nicht frappiren können. Bei einem<lb/>
Rechtsge&#x017F;chäft öffnet &#x017F;ich im Fall eines Ver&#x017F;ehens der Ausweg<lb/>
einer abermaligen fehlerfreien Vornahme de&#x017F;&#x017F;elben, und bei den<lb/>
bloß vorbereitenden außergerichtlichen Legisactionen z. B. der<lb/><hi rendition="#aq">in jus vocatio</hi> mag der&#x017F;elbe vielleicht auch in Rom offen ge&#x017F;tan-<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[662/0368] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Dies Urtheil hat viel Scheinbares, und, ſo viel ich weiß, hat man bisher nicht verſucht die Richtigkeit deſſelben in Zweifel zu ziehen. Allein es will mir ſcheinen, als ob daſſelbe weniger vom Standpunkt der älteren, als der ſpätern Zeit aus gefällt worden ſei. Es iſt in dem Begriff der Form mit Nothwendigkeit gelegen, daß die geringſte Abweichung von der Form einen Formfehler und damit Nichtigkeit begründet (S. 506). Das gilt heut- zutage nicht minder, als im alten Rom, und was dort z. B. die Vertauſchung des Wortes: arboribus mit vitibus, würde heut- zutage bei Ausſtellung eines Wechſels die des Wortes: „Wechſel“ oder bei Ableiſtung eines Eides die der Worte: „ich gelobe und ſchwöre“, mit andern Ausdrücken bewirken (S. 615). Gehen wir aber davon aus, daß die legis actio ihrer Beſtimmung nach in einem eigenthümlichen rechtlich nothwendigen Citiren der Geſetzesworte beſtand, ſo werden wir das Verlangen der diplo- matiſchen Genauigkeit des Citats (d. h. alſo die wörtliche Wiedergabe der Formel) durchaus nicht für eine übertriebene Strenge halten können. Wir machen heutzutage an Jemanden, der uns einen Satz aus einem Geſetz citirt, ganz dieſelbe An- forderung! 893) Und daß das Verſehen den Verluſt des Proceſſes zur Folge hatte, wird uns ebenfalls nicht frappiren können. Bei einem Rechtsgeſchäft öffnet ſich im Fall eines Verſehens der Ausweg einer abermaligen fehlerfreien Vornahme deſſelben, und bei den bloß vorbereitenden außergerichtlichen Legisactionen z. B. der in jus vocatio mag derſelbe vielleicht auch in Rom offen geſtan- 893) Für diejenigen, die geneigt ſein möchten, dieſe Strenge für etwas ſpecifiſch römiſches zu halten, will ich ein Beiſpiel aus dem engliſchen Recht anführen, das dem von Gajus IV, 11 ebenbürtig zur Seite ſteht, wenn nicht gar daſſelbe noch übertrifft. Eine Parlamentsacte verbietet das Schenken gei- ſtiger Getränke am „Lordsday“ (Sonntag). Ein Contravenient ward vor einigen Jahren bloß aus dem Grunde frei geſprochen, weil das Denuncia- tions- oder Anklagelibell ihn beſchuldigt hatte, am „Sunday“ (ebenfalls Sonntag) geſchenkt zu haben. — Die Klage ſtimmte nicht mit der lex!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/368
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/368>, abgerufen am 24.11.2024.