Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Die logische Concentration. §. 40.
Recht uns Organismen, das römische aber Atome oder Elemente
bietet, so ist das nicht sowohl eine Verschiedenheit der beiden
Rechte -- oder sollte etwa z. B. die Vormundschaft im römi-
schen Leben weniger eine "organische Einheit" gewesen sein, als bei
uns? -- sondern eine Verschiedenheit der wissenschaftlichen
Behandlung
beider und zwar eine solche, die für die germa-
nistische Rechtswissenschaft nicht ein Lob, sondern einen Vor-
wurf in sich schließt. Die positive Jurisprudenz soll keine Or-
ganismen kennen, so wenig wie die organische Chemie.

Dem obigen Vorwurf gegen das römische Recht scheint die
Idee zu Grunde zu liegen, als ob jene Rechtsatomistik nicht eine
bloß juristische, sondern eine reale gewesen, als ob der römische
Geist eine Abneigung gegen alles Zusammengesetzte, Gemischte,
oder was man sonst unter organisch versteht, gehabt habe. 501)
Allein die zersetzende Kraft des römischen Geistes zersetzte doch
nicht die Dinge, sondern nur die Begriffe, und nicht um das
praktische Bestehen von Organismen zu verhindern, sondern um
dasselbe zu sichern.

2. Die logische Concentration.

Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs -- das logische
Centrum und die Peripherie -- innere Erweiterung des Prin-
cips in der historischen Form einer Ausnahme.

XL. Die gegenwärtige Operation verfolgt, wie oben bemerkt
ward, denselben Zweck, wie die vorhergehende, aber auf gerade

das Pfandrecht am Vermögen des Vormundes im Pfandrecht, die reiv. util.
gegen ihn beim Eigenthum, das obligatorische Verhältniß im Obligationen-
recht oder Familienrecht.
501) Als praktische Moral, die ich mir erlauben möchte aus jenem Irr-
thum zu ziehen, stehe hier die Bemerkung, die ich namentlich allen Rechtsphilo-
sophen, welche keine Juristen sind, dedicirt haben will: daß selbst eine rein
ethische Würdigung eines bestimmten Rechts nicht möglich ist ohne Kennt-
niß der Technik.

2. Die logiſche Concentration. §. 40.
Recht uns Organismen, das römiſche aber Atome oder Elemente
bietet, ſo iſt das nicht ſowohl eine Verſchiedenheit der beiden
Rechte — oder ſollte etwa z. B. die Vormundſchaft im römi-
ſchen Leben weniger eine „organiſche Einheit“ geweſen ſein, als bei
uns? — ſondern eine Verſchiedenheit der wiſſenſchaftlichen
Behandlung
beider und zwar eine ſolche, die für die germa-
niſtiſche Rechtswiſſenſchaft nicht ein Lob, ſondern einen Vor-
wurf in ſich ſchließt. Die poſitive Jurisprudenz ſoll keine Or-
ganismen kennen, ſo wenig wie die organiſche Chemie.

Dem obigen Vorwurf gegen das römiſche Recht ſcheint die
Idee zu Grunde zu liegen, als ob jene Rechtsatomiſtik nicht eine
bloß juriſtiſche, ſondern eine reale geweſen, als ob der römiſche
Geiſt eine Abneigung gegen alles Zuſammengeſetzte, Gemiſchte,
oder was man ſonſt unter organiſch verſteht, gehabt habe. 501)
Allein die zerſetzende Kraft des römiſchen Geiſtes zerſetzte doch
nicht die Dinge, ſondern nur die Begriffe, und nicht um das
praktiſche Beſtehen von Organismen zu verhindern, ſondern um
daſſelbe zu ſichern.

2. Die logiſche Concentration.

Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs — das logiſche
Centrum und die Peripherie — innere Erweiterung des Prin-
cips in der hiſtoriſchen Form einer Ausnahme.

XL. Die gegenwärtige Operation verfolgt, wie oben bemerkt
ward, denſelben Zweck, wie die vorhergehende, aber auf gerade

das Pfandrecht am Vermögen des Vormundes im Pfandrecht, die reiv. util.
gegen ihn beim Eigenthum, das obligatoriſche Verhältniß im Obligationen-
recht oder Familienrecht.
501) Als praktiſche Moral, die ich mir erlauben möchte aus jenem Irr-
thum zu ziehen, ſtehe hier die Bemerkung, die ich namentlich allen Rechtsphilo-
ſophen, welche keine Juriſten ſind, dedicirt haben will: daß ſelbſt eine rein
ethiſche Würdigung eines beſtimmten Rechts nicht möglich iſt ohne Kennt-
niß der Technik.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0085" n="379"/><fw place="top" type="header">2. Die logi&#x017F;che Concentration. §. 40.</fw><lb/>
Recht uns Organismen, das römi&#x017F;che aber Atome oder Elemente<lb/>
bietet, &#x017F;o i&#x017F;t das nicht &#x017F;owohl eine Ver&#x017F;chiedenheit der beiden<lb/><hi rendition="#g">Rechte</hi> &#x2014; oder &#x017F;ollte etwa z. B. die Vormund&#x017F;chaft im römi-<lb/>
&#x017F;chen Leben weniger eine &#x201E;organi&#x017F;che Einheit&#x201C; gewe&#x017F;en &#x017F;ein, als bei<lb/>
uns? &#x2014; &#x017F;ondern eine Ver&#x017F;chiedenheit der <hi rendition="#g">wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen<lb/>
Behandlung</hi> beider und zwar eine &#x017F;olche, die für die germa-<lb/>
ni&#x017F;ti&#x017F;che Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nicht ein Lob, &#x017F;ondern einen Vor-<lb/>
wurf in &#x017F;ich &#x017F;chließt. Die po&#x017F;itive Jurisprudenz <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi> keine Or-<lb/>
ganismen kennen, &#x017F;o wenig wie die organi&#x017F;che Chemie.</p><lb/>
                    <p>Dem obigen Vorwurf gegen das römi&#x017F;che Recht &#x017F;cheint die<lb/>
Idee zu Grunde zu liegen, als ob jene Rechtsatomi&#x017F;tik nicht eine<lb/>
bloß juri&#x017F;ti&#x017F;che, &#x017F;ondern eine reale gewe&#x017F;en, als ob der römi&#x017F;che<lb/>
Gei&#x017F;t eine Abneigung gegen alles Zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte, Gemi&#x017F;chte,<lb/>
oder was man &#x017F;on&#x017F;t unter organi&#x017F;ch ver&#x017F;teht, gehabt habe. <note place="foot" n="501)">Als prakti&#x017F;che Moral, die ich mir erlauben möchte aus jenem Irr-<lb/>
thum zu ziehen, &#x017F;tehe hier die Bemerkung, die ich namentlich allen Rechtsphilo-<lb/>
&#x017F;ophen, welche keine Juri&#x017F;ten &#x017F;ind, dedicirt haben will: daß &#x017F;elb&#x017F;t eine rein<lb/><hi rendition="#g">ethi&#x017F;che</hi> Würdigung eines be&#x017F;timmten Rechts nicht möglich i&#x017F;t ohne Kennt-<lb/>
niß der <hi rendition="#g">Technik</hi>.</note><lb/>
Allein die zer&#x017F;etzende Kraft des römi&#x017F;chen Gei&#x017F;tes zer&#x017F;etzte doch<lb/>
nicht die Dinge, &#x017F;ondern nur die Begriffe, und nicht um das<lb/>
prakti&#x017F;che Be&#x017F;tehen von Organismen zu verhindern, &#x017F;ondern um<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe zu &#x017F;ichern.</p>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>2. <hi rendition="#g">Die logi&#x017F;che Concentration</hi>.</head><lb/>
                    <argument>
                      <p> <hi rendition="#b">Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs &#x2014; das logi&#x017F;che<lb/>
Centrum und die Peripherie &#x2014; innere Erweiterung des Prin-<lb/>
cips in der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Form einer Ausnahme.</hi> </p>
                    </argument><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">XL.</hi> Die gegenwärtige Operation verfolgt, wie oben bemerkt<lb/>
ward, den&#x017F;elben Zweck, wie die vorhergehende, aber auf gerade<lb/><note xml:id="seg2pn_8_2" prev="#seg2pn_8_1" place="foot" n="500)">das Pfandrecht am Vermögen des Vormundes im Pfandrecht, die <hi rendition="#aq">reiv. util</hi>.<lb/>
gegen ihn beim Eigenthum, das obligatori&#x017F;che Verhältniß im Obligationen-<lb/>
recht oder Familienrecht.</note><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0085] 2. Die logiſche Concentration. §. 40. Recht uns Organismen, das römiſche aber Atome oder Elemente bietet, ſo iſt das nicht ſowohl eine Verſchiedenheit der beiden Rechte — oder ſollte etwa z. B. die Vormundſchaft im römi- ſchen Leben weniger eine „organiſche Einheit“ geweſen ſein, als bei uns? — ſondern eine Verſchiedenheit der wiſſenſchaftlichen Behandlung beider und zwar eine ſolche, die für die germa- niſtiſche Rechtswiſſenſchaft nicht ein Lob, ſondern einen Vor- wurf in ſich ſchließt. Die poſitive Jurisprudenz ſoll keine Or- ganismen kennen, ſo wenig wie die organiſche Chemie. Dem obigen Vorwurf gegen das römiſche Recht ſcheint die Idee zu Grunde zu liegen, als ob jene Rechtsatomiſtik nicht eine bloß juriſtiſche, ſondern eine reale geweſen, als ob der römiſche Geiſt eine Abneigung gegen alles Zuſammengeſetzte, Gemiſchte, oder was man ſonſt unter organiſch verſteht, gehabt habe. 501) Allein die zerſetzende Kraft des römiſchen Geiſtes zerſetzte doch nicht die Dinge, ſondern nur die Begriffe, und nicht um das praktiſche Beſtehen von Organismen zu verhindern, ſondern um daſſelbe zu ſichern. 2. Die logiſche Concentration. Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs — das logiſche Centrum und die Peripherie — innere Erweiterung des Prin- cips in der hiſtoriſchen Form einer Ausnahme. XL. Die gegenwärtige Operation verfolgt, wie oben bemerkt ward, denſelben Zweck, wie die vorhergehende, aber auf gerade 500) 501) Als praktiſche Moral, die ich mir erlauben möchte aus jenem Irr- thum zu ziehen, ſtehe hier die Bemerkung, die ich namentlich allen Rechtsphilo- ſophen, welche keine Juriſten ſind, dedicirt haben will: daß ſelbſt eine rein ethiſche Würdigung eines beſtimmten Rechts nicht möglich iſt ohne Kennt- niß der Technik. 500) das Pfandrecht am Vermögen des Vormundes im Pfandrecht, die reiv. util. gegen ihn beim Eigenthum, das obligatoriſche Verhältniß im Obligationen- recht oder Familienrecht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/85
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/85>, abgerufen am 21.11.2024.