Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.2. Die logische Concentration. §. 40. aber würde ihr diese Möglichkeit geboten sein, wenn der Gesetz-geber selbst das Princip bereits in seiner ganzen Schärfe und Bestimmtheit ausgesprochen hätte. Allein diese Annahme tritt in den seltensten Fällen ein; es ist dafür gesorgt, daß es der Jurisprudenz in dieser Beziehung nicht an Arbeit fehlt. Die Möglichkeit einer Concentrirung des gesetzlichen Stoffs Die einzelnen Rechtssätze, in denen der Gesetzgeber unbewußt 2. Die logiſche Concentration. §. 40. aber würde ihr dieſe Möglichkeit geboten ſein, wenn der Geſetz-geber ſelbſt das Princip bereits in ſeiner ganzen Schärfe und Beſtimmtheit ausgeſprochen hätte. Allein dieſe Annahme tritt in den ſeltenſten Fällen ein; es iſt dafür geſorgt, daß es der Jurisprudenz in dieſer Beziehung nicht an Arbeit fehlt. Die Möglichkeit einer Concentrirung des geſetzlichen Stoffs Die einzelnen Rechtsſätze, in denen der Geſetzgeber unbewußt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0087" n="381"/><fw place="top" type="header">2. Die logiſche Concentration. §. 40.</fw><lb/> aber würde ihr dieſe Möglichkeit geboten ſein, wenn der Geſetz-<lb/> geber ſelbſt das Princip bereits in ſeiner ganzen Schärfe und<lb/> Beſtimmtheit ausgeſprochen hätte. Allein dieſe Annahme tritt<lb/> in den ſeltenſten Fällen ein; es iſt dafür geſorgt, daß es der<lb/> Jurisprudenz in dieſer Beziehung nicht an Arbeit fehlt.</p><lb/> <p>Die Möglichkeit einer Concentrirung des geſetzlichen Stoffs<lb/> durch die Jurisprudenz ſetzt voraus, daß der Geſetzgeber ein<lb/> Princip <hi rendition="#g">gehabt</hi> und <hi rendition="#g">angewandt</hi> hat, ohne daſſelbe als ſol-<lb/> ches unmittelbar erkannt oder ausgeſprochen zu haben. Die<lb/> Geſchichte lehrt uns, daß dies nicht bloß nichts ſeltenes, ſon-<lb/> dern ſogar der gewöhnliche Fall iſt, und um ſo weniger kann<lb/> dies bei dem Geſetzgeber befremden, als ja auch die Wiſſenſchaft<lb/> darin nur zu oft das Schickſal deſſelben theilt; auch bei ihr iſt<lb/> das <hi rendition="#g">Gefühl</hi> der <hi rendition="#g">Erkenntniß</hi> oft um Jahrhunderte voraus.<lb/> So wird es möglich, daß ein Princip, bevor es in ſeiner wahren<lb/> Geſtalt erkannt und ausgeſprochen wird, oft bereits die längſte<lb/> Zeit beſtanden, ja vielleicht zu beſtehen aufgehört hat.</p><lb/> <p>Die einzelnen Rechtsſätze, in denen der Geſetzgeber unbewußt<lb/> ein Princip zur Anwendung bringt, verhalten ſich zu letzterem<lb/> ſelbſt, wie die Kreislinie zum Centrum. Das Princip iſt der<lb/> Punkt, den der Geſetzgeber ſucht, aber ſo lange es ihm noch<lb/> nicht gelungen ſich ſeiner zu bemächtigen, iſt er gezwungen, ihn<lb/> zu umkreiſen d. h. mit Rechtsſätzen einzuſchließen. Das Prin-<lb/> cip iſt der dunkle Punkt, der ihn zieht und der, je nachdem die<lb/> Ahnung deſſelben in ihm lebendig iſt, ihn zur Innehaltung einer<lb/> mehr oder minder regulären und mehr oder minder entfernten<lb/> Kreislinie veranlaßt. Ebenſo wie <hi rendition="#g">er</hi>, irrt auch die Wiſſenſchaft<lb/> in der Peripherie herum, bevor ſie das Centrum gefunden. Die<lb/> Ausführlichkeit der Darſtellung, zu der ſie ſich gezwungen ſieht,<lb/> der deſcriptive und enumerative Charakter derſelben iſt nur ein<lb/> Beweis, daß ſie den rechten Punkt noch nicht getroffen. Mit<lb/> jedem Schritt, um den ſie ſich dem Centrum nähert, wird der<lb/> Kreis enger, nimmt die <hi rendition="#g">Zahl</hi> ihrer Lehrſätze ab, der <hi rendition="#g">Gehalt</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [381/0087]
2. Die logiſche Concentration. §. 40.
aber würde ihr dieſe Möglichkeit geboten ſein, wenn der Geſetz-
geber ſelbſt das Princip bereits in ſeiner ganzen Schärfe und
Beſtimmtheit ausgeſprochen hätte. Allein dieſe Annahme tritt
in den ſeltenſten Fällen ein; es iſt dafür geſorgt, daß es der
Jurisprudenz in dieſer Beziehung nicht an Arbeit fehlt.
Die Möglichkeit einer Concentrirung des geſetzlichen Stoffs
durch die Jurisprudenz ſetzt voraus, daß der Geſetzgeber ein
Princip gehabt und angewandt hat, ohne daſſelbe als ſol-
ches unmittelbar erkannt oder ausgeſprochen zu haben. Die
Geſchichte lehrt uns, daß dies nicht bloß nichts ſeltenes, ſon-
dern ſogar der gewöhnliche Fall iſt, und um ſo weniger kann
dies bei dem Geſetzgeber befremden, als ja auch die Wiſſenſchaft
darin nur zu oft das Schickſal deſſelben theilt; auch bei ihr iſt
das Gefühl der Erkenntniß oft um Jahrhunderte voraus.
So wird es möglich, daß ein Princip, bevor es in ſeiner wahren
Geſtalt erkannt und ausgeſprochen wird, oft bereits die längſte
Zeit beſtanden, ja vielleicht zu beſtehen aufgehört hat.
Die einzelnen Rechtsſätze, in denen der Geſetzgeber unbewußt
ein Princip zur Anwendung bringt, verhalten ſich zu letzterem
ſelbſt, wie die Kreislinie zum Centrum. Das Princip iſt der
Punkt, den der Geſetzgeber ſucht, aber ſo lange es ihm noch
nicht gelungen ſich ſeiner zu bemächtigen, iſt er gezwungen, ihn
zu umkreiſen d. h. mit Rechtsſätzen einzuſchließen. Das Prin-
cip iſt der dunkle Punkt, der ihn zieht und der, je nachdem die
Ahnung deſſelben in ihm lebendig iſt, ihn zur Innehaltung einer
mehr oder minder regulären und mehr oder minder entfernten
Kreislinie veranlaßt. Ebenſo wie er, irrt auch die Wiſſenſchaft
in der Peripherie herum, bevor ſie das Centrum gefunden. Die
Ausführlichkeit der Darſtellung, zu der ſie ſich gezwungen ſieht,
der deſcriptive und enumerative Charakter derſelben iſt nur ein
Beweis, daß ſie den rechten Punkt noch nicht getroffen. Mit
jedem Schritt, um den ſie ſich dem Centrum nähert, wird der
Kreis enger, nimmt die Zahl ihrer Lehrſätze ab, der Gehalt
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