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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
wie in den Fällen der Note 139, schon vorher, wenn der Min-
derjährige sich ihrer nicht bedienen will, muß dahin gestellt blei-
ben. Wenn irgendwo, so war gerade bei diesem Verhältniß die
Schärfung der Klage durch Erhebung derselben zu einer Popu-
larklage ganz am Platz, die Schutzklage der Minderjährigen
gegen betrügerische Contrahenten ward damit nur derselben Aus-
zeichnung theilhaftig, deren die zum Schutz der Unmündigen
gegen ungetreue Vormünder eingeführte postulatio suspecti tu-
toris
von jeher genoß 159) -- beide Klassen von Personen waren
unter öffentlichen Schutz gestellt.

Auf diese Klage beschränkte sich meiner Ansicht nach der Schutz
des prätorischen Rechts, und er reichte auch hier, wie in allen
oben angeführten Fällen, vollkommen aus, eine rein defensive
Hülfe (durch Nichtigkeit oder Einrede) überflüssig zu machen. Erst
als mit dem Formularproceß die Exceptionen aufkamen, und die
Anschauung sich Bahn brach, daß man dem, der eine Klage
habe, um so mehr eine Exception geben müsse (Note 39), mochte
man davon auch bei der lex Plaetoria Anwendung machen und
dem Minderjährigen eine Einrede gewähren. Nach Ansicht
mancher Juristen 160) reicht aber diese Einrede bereits in die Zeit
des Legis-Actionen-Processes zurück; der Minderjährige hätte
also durch Berufung auf das Gesetz die Klage vereiteln können.
Als Form für diesen Einwand hat man sich, da das Zeugniß

gegenüber, welche in c. 8 dieses judicium an das über die Injurien und den
Dolus anreiht und erst später die Condemnation in einem judicium publicum
erwähnt, ein Zweifel nicht möglich sein, und es ist Savigny, Zts. für gesch.
R. W. B. 10 S. 243 leichter gefallen, ihn zu erheben, als zu begründen. Daß
aber der Ausdruck actio publica auch für eine act. popularis vorkömmt,
zeigen L. 30 §. 3 de jurej. (12. 2) cf. L. 1 de popul. act. (47. 23) und die
Stellen der folgenden Note.
159) L. 1 §. 6 de susp. tut. (26. 10) §. 3 I. de susp. tut. (1. 26) ..
quasi publicam esse hanc accusationem hoc est omnibus patere
.
160) Die Idee ist zuerst von Savigny Zeitschr. für gesch. R. W. B. 10
S. 248 ausgesprochen und hat sodann nur zu bereitwillige Aufnahme gefun-
den, s. z. B. auch bei Keller Röm. Civilpr. §. 36, und Rudorff R. R.
G. II. S. 94.
8*

A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
wie in den Fällen der Note 139, ſchon vorher, wenn der Min-
derjährige ſich ihrer nicht bedienen will, muß dahin geſtellt blei-
ben. Wenn irgendwo, ſo war gerade bei dieſem Verhältniß die
Schärfung der Klage durch Erhebung derſelben zu einer Popu-
larklage ganz am Platz, die Schutzklage der Minderjährigen
gegen betrügeriſche Contrahenten ward damit nur derſelben Aus-
zeichnung theilhaftig, deren die zum Schutz der Unmündigen
gegen ungetreue Vormünder eingeführte postulatio suspecti tu-
toris
von jeher genoß 159) — beide Klaſſen von Perſonen waren
unter öffentlichen Schutz geſtellt.

Auf dieſe Klage beſchränkte ſich meiner Anſicht nach der Schutz
des prätoriſchen Rechts, und er reichte auch hier, wie in allen
oben angeführten Fällen, vollkommen aus, eine rein defenſive
Hülfe (durch Nichtigkeit oder Einrede) überflüſſig zu machen. Erſt
als mit dem Formularproceß die Exceptionen aufkamen, und die
Anſchauung ſich Bahn brach, daß man dem, der eine Klage
habe, um ſo mehr eine Exception geben müſſe (Note 39), mochte
man davon auch bei der lex Plaetoria Anwendung machen und
dem Minderjährigen eine Einrede gewähren. Nach Anſicht
mancher Juriſten 160) reicht aber dieſe Einrede bereits in die Zeit
des Legis-Actionen-Proceſſes zurück; der Minderjährige hätte
alſo durch Berufung auf das Geſetz die Klage vereiteln können.
Als Form für dieſen Einwand hat man ſich, da das Zeugniß

gegenüber, welche in c. 8 dieſes judicium an das über die Injurien und den
Dolus anreiht und erſt ſpäter die Condemnation in einem judicium publicum
erwähnt, ein Zweifel nicht möglich ſein, und es iſt Savigny, Ztſ. für geſch.
R. W. B. 10 S. 243 leichter gefallen, ihn zu erheben, als zu begründen. Daß
aber der Ausdruck actio publica auch für eine act. popularis vorkömmt,
zeigen L. 30 §. 3 de jurej. (12. 2) cf. L. 1 de popul. act. (47. 23) und die
Stellen der folgenden Note.
159) L. 1 §. 6 de susp. tut. (26. 10) §. 3 I. de susp. tut. (1. 26) ..
quasi publicam esse hanc accusationem hoc est omnibus patere
.
160) Die Idee iſt zuerſt von Savigny Zeitſchr. für geſch. R. W. B. 10
S. 248 ausgeſprochen und hat ſodann nur zu bereitwillige Aufnahme gefun-
den, ſ. z. B. auch bei Keller Röm. Civilpr. §. 36, und Rudorff R. R.
G. II. S. 94.
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[115/0131] A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. wie in den Fällen der Note 139, ſchon vorher, wenn der Min- derjährige ſich ihrer nicht bedienen will, muß dahin geſtellt blei- ben. Wenn irgendwo, ſo war gerade bei dieſem Verhältniß die Schärfung der Klage durch Erhebung derſelben zu einer Popu- larklage ganz am Platz, die Schutzklage der Minderjährigen gegen betrügeriſche Contrahenten ward damit nur derſelben Aus- zeichnung theilhaftig, deren die zum Schutz der Unmündigen gegen ungetreue Vormünder eingeführte postulatio suspecti tu- toris von jeher genoß 159) — beide Klaſſen von Perſonen waren unter öffentlichen Schutz geſtellt. Auf dieſe Klage beſchränkte ſich meiner Anſicht nach der Schutz des prätoriſchen Rechts, und er reichte auch hier, wie in allen oben angeführten Fällen, vollkommen aus, eine rein defenſive Hülfe (durch Nichtigkeit oder Einrede) überflüſſig zu machen. Erſt als mit dem Formularproceß die Exceptionen aufkamen, und die Anſchauung ſich Bahn brach, daß man dem, der eine Klage habe, um ſo mehr eine Exception geben müſſe (Note 39), mochte man davon auch bei der lex Plaetoria Anwendung machen und dem Minderjährigen eine Einrede gewähren. Nach Anſicht mancher Juriſten 160) reicht aber dieſe Einrede bereits in die Zeit des Legis-Actionen-Proceſſes zurück; der Minderjährige hätte alſo durch Berufung auf das Geſetz die Klage vereiteln können. Als Form für dieſen Einwand hat man ſich, da das Zeugniß 158) 159) L. 1 §. 6 de susp. tut. (26. 10) §. 3 I. de susp. tut. (1. 26) .. quasi publicam esse hanc accusationem hoc est omnibus patere. 160) Die Idee iſt zuerſt von Savigny Zeitſchr. für geſch. R. W. B. 10 S. 248 ausgeſprochen und hat ſodann nur zu bereitwillige Aufnahme gefun- den, ſ. z. B. auch bei Keller Röm. Civilpr. §. 36, und Rudorff R. R. G. II. S. 94. 158) gegenüber, welche in c. 8 dieſes judicium an das über die Injurien und den Dolus anreiht und erſt ſpäter die Condemnation in einem judicium publicum erwähnt, ein Zweifel nicht möglich ſein, und es iſt Savigny, Ztſ. für geſch. R. W. B. 10 S. 243 leichter gefallen, ihn zu erheben, als zu begründen. Daß aber der Ausdruck actio publica auch für eine act. popularis vorkömmt, zeigen L. 30 §. 3 de jurej. (12. 2) cf. L. 1 de popul. act. (47. 23) und die Stellen der folgenden Note. 8*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/131>, abgerufen am 21.05.2024.