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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die künstlichen Mittel. §. 58.
verwandt wird, um die Gültigkeit des Universalfideicommisses
zu retten, wird keiner Ausführung bedürfen.

Die cautio rem pupilli salvam fore verpflichtete den Tutor
und seine Bürgen für alle Ansprüche aus seiner Geschäfts-
führung
; enthielt er sich letzterer, so hafteten beide nicht. Das
war eine Lücke. Heutzutage würden wir dieselbe einfach dadurch
ausfüllen, daß wir an Stelle der "Geschäftsführung" die "Tutel"
setzten, d. h. also das bestehende Recht principiell änderten.
Anders die Römer. Der Tutor wird gezwungen, eine Admini-
strationshandlung vorzunehmen, dadurch gelangt jene Caution
zu Kräften. 380)

Derselbe Weg ist von der römischen Jurisprudenz in unzäh-
ligen andern Fällen eingeschlagen. Der obrigkeitliche Zwang
zur Vornahme einer Handlung diente den Römern als eins der
wirksamsten Mittel der juristischen Construction. Die Wendung:
compellendus est a Praetore, a judice, die so oft in den Quellen
wiederkehrt, ist überall der Ausdruck für ein der Freiheit des
Subjects entzogenes Verhältniß, bei dem nur in Anschluß an
das frühere Recht die Form der Freiheit: die Handlung, äußer-
lich beibehalten wird. Seitdem man angefangen hatte, den
Geschlechtsvormund in gewissen Fällen zur Ertheilung seiner
Auctoritas zu zwingen, hatte man dies Erforderniß in
Wirklichkeit umgangen, und es war daher ganz zutreffend,
wenn Gajus eine derartige Auctoritas für einen reinen Schein-
akt erklärte. 381) Man hätte ebenso gut den Satz aussprechen
können: für die und die Geschäfte sind die Frauenzimmer fortan
von der Tutel befreit; daß man es nicht that, charakterisirt eben
die eigenthümliche Weise der römischen im Gegensatz zu unserer
heutigen Jurisprudenz.

380) L. 4 §. 3 Rem pup. (46. 6) .. compellendus igitur erit ad
administrationem propterea, ut stipulatione quoque ista possit teneri.
381) Gaj. I. 190 .. in quibusdam causis dicis gratia tutor interponit
auctoritatem suam, saepe etiam invitus auctor fieri a praetore cogitur.

Die künſtlichen Mittel. §. 58.
verwandt wird, um die Gültigkeit des Univerſalfideicommiſſes
zu retten, wird keiner Ausführung bedürfen.

Die cautio rem pupilli salvam fore verpflichtete den Tutor
und ſeine Bürgen für alle Anſprüche aus ſeiner Geſchäfts-
führung
; enthielt er ſich letzterer, ſo hafteten beide nicht. Das
war eine Lücke. Heutzutage würden wir dieſelbe einfach dadurch
ausfüllen, daß wir an Stelle der „Geſchäftsführung“ die „Tutel“
ſetzten, d. h. alſo das beſtehende Recht principiell änderten.
Anders die Römer. Der Tutor wird gezwungen, eine Admini-
ſtrationshandlung vorzunehmen, dadurch gelangt jene Caution
zu Kräften. 380)

Derſelbe Weg iſt von der römiſchen Jurisprudenz in unzäh-
ligen andern Fällen eingeſchlagen. Der obrigkeitliche Zwang
zur Vornahme einer Handlung diente den Römern als eins der
wirkſamſten Mittel der juriſtiſchen Conſtruction. Die Wendung:
compellendus est a Praetore, a judice, die ſo oft in den Quellen
wiederkehrt, iſt überall der Ausdruck für ein der Freiheit des
Subjects entzogenes Verhältniß, bei dem nur in Anſchluß an
das frühere Recht die Form der Freiheit: die Handlung, äußer-
lich beibehalten wird. Seitdem man angefangen hatte, den
Geſchlechtsvormund in gewiſſen Fällen zur Ertheilung ſeiner
Auctoritas zu zwingen, hatte man dies Erforderniß in
Wirklichkeit umgangen, und es war daher ganz zutreffend,
wenn Gajus eine derartige Auctoritas für einen reinen Schein-
akt erklärte. 381) Man hätte ebenſo gut den Satz ausſprechen
können: für die und die Geſchäfte ſind die Frauenzimmer fortan
von der Tutel befreit; daß man es nicht that, charakteriſirt eben
die eigenthümliche Weiſe der römiſchen im Gegenſatz zu unſerer
heutigen Jurisprudenz.

380) L. 4 §. 3 Rem pup. (46. 6) .. compellendus igitur erit ad
administrationem propterea, ut stipulatione quoque ista possit teneri.
381) Gaj. I. 190 .. in quibusdam causis dicis gratia tutor interponit
auctoritatem suam, saepe etiam invitus auctor fieri a praetore cogitur.
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[263/0279] Die künſtlichen Mittel. §. 58. verwandt wird, um die Gültigkeit des Univerſalfideicommiſſes zu retten, wird keiner Ausführung bedürfen. Die cautio rem pupilli salvam fore verpflichtete den Tutor und ſeine Bürgen für alle Anſprüche aus ſeiner Geſchäfts- führung; enthielt er ſich letzterer, ſo hafteten beide nicht. Das war eine Lücke. Heutzutage würden wir dieſelbe einfach dadurch ausfüllen, daß wir an Stelle der „Geſchäftsführung“ die „Tutel“ ſetzten, d. h. alſo das beſtehende Recht principiell änderten. Anders die Römer. Der Tutor wird gezwungen, eine Admini- ſtrationshandlung vorzunehmen, dadurch gelangt jene Caution zu Kräften. 380) Derſelbe Weg iſt von der römiſchen Jurisprudenz in unzäh- ligen andern Fällen eingeſchlagen. Der obrigkeitliche Zwang zur Vornahme einer Handlung diente den Römern als eins der wirkſamſten Mittel der juriſtiſchen Conſtruction. Die Wendung: compellendus est a Praetore, a judice, die ſo oft in den Quellen wiederkehrt, iſt überall der Ausdruck für ein der Freiheit des Subjects entzogenes Verhältniß, bei dem nur in Anſchluß an das frühere Recht die Form der Freiheit: die Handlung, äußer- lich beibehalten wird. Seitdem man angefangen hatte, den Geſchlechtsvormund in gewiſſen Fällen zur Ertheilung ſeiner Auctoritas zu zwingen, hatte man dies Erforderniß in Wirklichkeit umgangen, und es war daher ganz zutreffend, wenn Gajus eine derartige Auctoritas für einen reinen Schein- akt erklärte. 381) Man hätte ebenſo gut den Satz ausſprechen können: für die und die Geſchäfte ſind die Frauenzimmer fortan von der Tutel befreit; daß man es nicht that, charakteriſirt eben die eigenthümliche Weiſe der römiſchen im Gegenſatz zu unſerer heutigen Jurisprudenz. 380) L. 4 §. 3 Rem pup. (46. 6) .. compellendus igitur erit ad administrationem propterea, ut stipulatione quoque ista possit teneri. 381) Gaj. I. 190 .. in quibusdam causis dicis gratia tutor interponit auctoritatem suam, saepe etiam invitus auctor fieri a praetore cogitur.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/279>, abgerufen am 21.11.2024.