von Doktor Mel, nebst noch einigen alten Postillen und Ge- sangbüchern standen auf der Kleiderkammer auf einem Brett in guter Ruhe, und waren wohl, seitdem sie Herr Steifmann geerbt hatte, wenig gebraucht worden. In dem Hause selbst war ihm Niemand hold, Alle sahen ihn für einen einfältigen dummen Knaben an; denn ihre niederträchtigen, ironisch-zoti- gen und zweideutigen Reden verstand er nicht, er antwortete immer gutherzig, wie ers meinte nach dem Sinn der Worte, suchte überhaupt einen Jeden mit Liebe zu gewinnen, und die- ses war eben der gerade Weg, eines Jeden Schuhputzer zu werden.
Doch trug sich einsmalen etwas zu, das ihn leicht das Le- ben hätte kosten können, wenn ihn der gütige Vater der Men- schen nicht sonderlich bewahrt hätte. Er mußte sich des Mor- gens selbst Feuer in den Ofen machen; als er nun einmal kein Holz fand, so wollte er sich etwas holen; nun war über der Küche her eine Rauchkammer, wo man das Fleisch räu- cherte und zugleich das Holz trocknete. Die Dreschtenne stieß an die Küche, und von dieser Tenne ging eine Treppe nach der Rauchkammer. Es waren just sechs Taglöhner beim Dreschen. Heiurich lief die Treppe hinauf, machte die Thüre auf, aus welcher der Rauch wie eine dicke Wolke herauszog; er ließ die Thüre offen, that einen Sprung nach dem Holz, ergriff etliche Stücke, indessen wirbelte einer von den Dreschern auswendig die Thüre zu. Der arme Stilling gerieth in To- desangst, der Rauch erstickte ihn, es war stockfinster da, er wurde irre und wußte nicht mehr, wo die Thüre war. In diesem erschrecklichen Zustand that er einen Sprung gegen die Wand, und traf just gerade gegen die Thür, dergestalt, daß der Wirbel zerbrach und die Thüre aufsprang. Stilling stürzte die Teppe herunter bis auf die Tenne, wo er betäubt und sinnlos hingestreckt lag. Als er wieder zu sich selbst kam, sah er die Drescher nebst Herrn Steifmann um sich stehen und aus vollem Halse lachen. Des sollte doch der T..... nichtlachen! sagte Steifmann. Dieses ging Stillin- gen durch die Seele. Ja! antwortete er, der lacht wirk- lich, daß er endlich einmal seinesgleichen gefun-
von Doktor Mel, nebſt noch einigen alten Poſtillen und Ge- ſangbuͤchern ſtanden auf der Kleiderkammer auf einem Brett in guter Ruhe, und waren wohl, ſeitdem ſie Herr Steifmann geerbt hatte, wenig gebraucht worden. In dem Hauſe ſelbſt war ihm Niemand hold, Alle ſahen ihn fuͤr einen einfaͤltigen dummen Knaben an; denn ihre niedertraͤchtigen, ironiſch-zoti- gen und zweideutigen Reden verſtand er nicht, er antwortete immer gutherzig, wie ers meinte nach dem Sinn der Worte, ſuchte uͤberhaupt einen Jeden mit Liebe zu gewinnen, und die- ſes war eben der gerade Weg, eines Jeden Schuhputzer zu werden.
Doch trug ſich einsmalen etwas zu, das ihn leicht das Le- ben haͤtte koſten koͤnnen, wenn ihn der guͤtige Vater der Men- ſchen nicht ſonderlich bewahrt haͤtte. Er mußte ſich des Mor- gens ſelbſt Feuer in den Ofen machen; als er nun einmal kein Holz fand, ſo wollte er ſich etwas holen; nun war uͤber der Kuͤche her eine Rauchkammer, wo man das Fleiſch raͤu- cherte und zugleich das Holz trocknete. Die Dreſchtenne ſtieß an die Kuͤche, und von dieſer Tenne ging eine Treppe nach der Rauchkammer. Es waren juſt ſechs Tagloͤhner beim Dreſchen. Heiurich lief die Treppe hinauf, machte die Thuͤre auf, aus welcher der Rauch wie eine dicke Wolke herauszog; er ließ die Thuͤre offen, that einen Sprung nach dem Holz, ergriff etliche Stuͤcke, indeſſen wirbelte einer von den Dreſchern auswendig die Thuͤre zu. Der arme Stilling gerieth in To- desangſt, der Rauch erſtickte ihn, es war ſtockfinſter da, er wurde irre und wußte nicht mehr, wo die Thuͤre war. In dieſem erſchrecklichen Zuſtand that er einen Sprung gegen die Wand, und traf juſt gerade gegen die Thuͤr, dergeſtalt, daß der Wirbel zerbrach und die Thuͤre aufſprang. Stilling ſtuͤrzte die Teppe herunter bis auf die Tenne, wo er betaͤubt und ſinnlos hingeſtreckt lag. Als er wieder zu ſich ſelbſt kam, ſah er die Dreſcher nebſt Herrn Steifmann um ſich ſtehen und aus vollem Halſe lachen. Des ſollte doch der T..... nichtlachen! ſagte Steifmann. Dieſes ging Stillin- gen durch die Seele. Ja! antwortete er, der lacht wirk- lich, daß er endlich einmal ſeinesgleichen gefun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0133"n="125"/>
von Doktor <hirendition="#g">Mel</hi>, nebſt noch einigen alten Poſtillen und Ge-<lb/>ſangbuͤchern ſtanden auf der Kleiderkammer auf einem Brett<lb/>
in guter Ruhe, und waren wohl, ſeitdem ſie Herr <hirendition="#g">Steifmann</hi><lb/>
geerbt hatte, wenig gebraucht worden. In dem Hauſe ſelbſt<lb/>
war ihm Niemand hold, Alle ſahen ihn fuͤr einen einfaͤltigen<lb/>
dummen Knaben an; denn ihre niedertraͤchtigen, ironiſch-zoti-<lb/>
gen und zweideutigen Reden verſtand er nicht, er antwortete<lb/>
immer gutherzig, wie ers meinte nach dem Sinn der Worte,<lb/>ſuchte uͤberhaupt einen Jeden mit Liebe zu gewinnen, und die-<lb/>ſes war eben der gerade Weg, eines Jeden Schuhputzer zu<lb/>
werden.</p><lb/><p>Doch trug ſich einsmalen etwas zu, das ihn leicht das Le-<lb/>
ben haͤtte koſten koͤnnen, wenn ihn der guͤtige Vater der Men-<lb/>ſchen nicht ſonderlich bewahrt haͤtte. Er mußte ſich des Mor-<lb/>
gens ſelbſt Feuer in den Ofen machen; als er nun einmal<lb/>
kein Holz fand, ſo wollte er ſich etwas holen; nun war uͤber<lb/>
der Kuͤche her eine Rauchkammer, wo man das Fleiſch raͤu-<lb/>
cherte und zugleich das Holz trocknete. Die Dreſchtenne ſtieß<lb/>
an die Kuͤche, und von dieſer Tenne ging eine Treppe nach<lb/>
der Rauchkammer. Es waren juſt ſechs Tagloͤhner beim<lb/>
Dreſchen. <hirendition="#g">Heiurich</hi> lief die Treppe hinauf, machte die Thuͤre<lb/>
auf, aus welcher der Rauch wie eine dicke Wolke herauszog;<lb/>
er ließ die Thuͤre offen, that einen Sprung nach dem Holz,<lb/>
ergriff etliche Stuͤcke, indeſſen wirbelte einer von den Dreſchern<lb/>
auswendig die Thuͤre zu. Der arme Stilling gerieth in To-<lb/>
desangſt, der Rauch erſtickte ihn, es war ſtockfinſter da, er<lb/>
wurde irre und wußte nicht mehr, wo die Thuͤre war. In<lb/>
dieſem erſchrecklichen Zuſtand that er einen Sprung gegen die<lb/>
Wand, und traf juſt gerade gegen die Thuͤr, dergeſtalt, daß<lb/>
der Wirbel zerbrach und die Thuͤre aufſprang. <hirendition="#g">Stilling</hi><lb/>ſtuͤrzte die Teppe herunter bis auf die Tenne, wo er betaͤubt<lb/>
und ſinnlos hingeſtreckt lag. Als er wieder zu ſich ſelbſt kam,<lb/>ſah er die Dreſcher nebſt Herrn <hirendition="#g">Steifmann</hi> um ſich ſtehen<lb/>
und aus vollem Halſe lachen. <hirendition="#g">Des ſollte doch der T.....<lb/>
nichtlachen</hi>! ſagte <hirendition="#g">Steifmann</hi>. Dieſes ging <hirendition="#g">Stillin-<lb/>
gen</hi> durch die Seele. <hirendition="#g">Ja</hi>! antwortete er, <hirendition="#g">der lacht wirk-<lb/>
lich, daß er endlich einmal ſeinesgleichen gefun-<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[125/0133]
von Doktor Mel, nebſt noch einigen alten Poſtillen und Ge-
ſangbuͤchern ſtanden auf der Kleiderkammer auf einem Brett
in guter Ruhe, und waren wohl, ſeitdem ſie Herr Steifmann
geerbt hatte, wenig gebraucht worden. In dem Hauſe ſelbſt
war ihm Niemand hold, Alle ſahen ihn fuͤr einen einfaͤltigen
dummen Knaben an; denn ihre niedertraͤchtigen, ironiſch-zoti-
gen und zweideutigen Reden verſtand er nicht, er antwortete
immer gutherzig, wie ers meinte nach dem Sinn der Worte,
ſuchte uͤberhaupt einen Jeden mit Liebe zu gewinnen, und die-
ſes war eben der gerade Weg, eines Jeden Schuhputzer zu
werden.
Doch trug ſich einsmalen etwas zu, das ihn leicht das Le-
ben haͤtte koſten koͤnnen, wenn ihn der guͤtige Vater der Men-
ſchen nicht ſonderlich bewahrt haͤtte. Er mußte ſich des Mor-
gens ſelbſt Feuer in den Ofen machen; als er nun einmal
kein Holz fand, ſo wollte er ſich etwas holen; nun war uͤber
der Kuͤche her eine Rauchkammer, wo man das Fleiſch raͤu-
cherte und zugleich das Holz trocknete. Die Dreſchtenne ſtieß
an die Kuͤche, und von dieſer Tenne ging eine Treppe nach
der Rauchkammer. Es waren juſt ſechs Tagloͤhner beim
Dreſchen. Heiurich lief die Treppe hinauf, machte die Thuͤre
auf, aus welcher der Rauch wie eine dicke Wolke herauszog;
er ließ die Thuͤre offen, that einen Sprung nach dem Holz,
ergriff etliche Stuͤcke, indeſſen wirbelte einer von den Dreſchern
auswendig die Thuͤre zu. Der arme Stilling gerieth in To-
desangſt, der Rauch erſtickte ihn, es war ſtockfinſter da, er
wurde irre und wußte nicht mehr, wo die Thuͤre war. In
dieſem erſchrecklichen Zuſtand that er einen Sprung gegen die
Wand, und traf juſt gerade gegen die Thuͤr, dergeſtalt, daß
der Wirbel zerbrach und die Thuͤre aufſprang. Stilling
ſtuͤrzte die Teppe herunter bis auf die Tenne, wo er betaͤubt
und ſinnlos hingeſtreckt lag. Als er wieder zu ſich ſelbſt kam,
ſah er die Dreſcher nebſt Herrn Steifmann um ſich ſtehen
und aus vollem Halſe lachen. Des ſollte doch der T.....
nichtlachen! ſagte Steifmann. Dieſes ging Stillin-
gen durch die Seele. Ja! antwortete er, der lacht wirk-
lich, daß er endlich einmal ſeinesgleichen gefun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/133>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.