Dieses war nun der letzte Feind, der aufgehoben werden mußte. Stilling konnte seinen innigen Dank gegen Gott und seinen Wohlthäter nicht genug ausschütten; er weinte vor Freude, und war völlig wohl und vergnügt. Aber gesegnet sey deine Asche -- du Stillings Freund! da du liegst und ruhst! Wenn ein- mal die Stimme über den ganzen flammenden Erdkreis erschal- len wird: Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet! so wirst auch du dein Haupt empor heben, und dein verklärter Leib wird siebenmal heller glänzen, als die Sonne am Frühlingsmorgen! --
Stillings Neigung, höher in der Welt zu steigen, war nun für diese Zeit gleichsam aus dem Grunde und mit der Wur- zel ausgerottet; und er war fest und unwiderruflich entschlossen, ein Schneider zu bleiben, bis er gewiß überzeugt seyn würde, daß es der Wille Gottes sey, etwas anders anzufangen; mit Einem Wort, er erneuerte den Bund mit Gott feierlich, den er verwichenen Sommer, den Sonntag Nachmittag, auf der Gasse zu Schauberg mit Gott geschlossen hatte. Sein Meister war auch so zufrieden mit ihm, daß er ihn nicht anders, als seinen Bruder behandelte; die Meisterin aber liebte ihn über die Maßen, und so auch die Kinder, so daß er nun wieder recht in seinem Element lebte.
Seine Neigung zu den Wissenschaften blieb zwar noch im- mer, was sie war, doch ruhte sie unter der Asche; sie war ihm jetzt nicht zur Leidenschaft, und er ließ sie ruhen
Meister Isaac hatte eine große Bekanntschaft auf fünf Stun- den umher mit frommen und erweckten Leuten. Der Sonntag war zu Besuchen bestimmt, daher ging er mit Stilling des Sonntags Morgens früh nach dem Ort hin, den sie sich vorge- nommen hatten, und blieben den Tag über bei den Freunden, des Abends gingen sie wieder nach Haus; oder wenn sie weit gehen wollten, so gingen sie des Sonntags Nachmittags zusam- men fort und kamen des Montags Vormittags wieder. Das war nun Stilling eine Seelenfreude, so viele rechtschaffene Menschen kennen zu lernen; besonders gefiel es ihm, daß alle diese Leute nichts Enthusiastisches hatten, sondern bloß Liebe gegen Gott und Menschen auszuüben, im Leben und Wandel
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 15
Dieſes war nun der letzte Feind, der aufgehoben werden mußte. Stilling konnte ſeinen innigen Dank gegen Gott und ſeinen Wohlthaͤter nicht genug ausſchuͤtten; er weinte vor Freude, und war voͤllig wohl und vergnuͤgt. Aber geſegnet ſey deine Aſche — du Stillings Freund! da du liegſt und ruhſt! Wenn ein- mal die Stimme uͤber den ganzen flammenden Erdkreis erſchal- len wird: Ich bin nackend geweſen, und ihr habt mich bekleidet! ſo wirſt auch du dein Haupt empor heben, und dein verklaͤrter Leib wird ſiebenmal heller glaͤnzen, als die Sonne am Fruͤhlingsmorgen! —
Stillings Neigung, hoͤher in der Welt zu ſteigen, war nun fuͤr dieſe Zeit gleichſam aus dem Grunde und mit der Wur- zel ausgerottet; und er war feſt und unwiderruflich entſchloſſen, ein Schneider zu bleiben, bis er gewiß uͤberzeugt ſeyn wuͤrde, daß es der Wille Gottes ſey, etwas anders anzufangen; mit Einem Wort, er erneuerte den Bund mit Gott feierlich, den er verwichenen Sommer, den Sonntag Nachmittag, auf der Gaſſe zu Schauberg mit Gott geſchloſſen hatte. Sein Meiſter war auch ſo zufrieden mit ihm, daß er ihn nicht anders, als ſeinen Bruder behandelte; die Meiſterin aber liebte ihn uͤber die Maßen, und ſo auch die Kinder, ſo daß er nun wieder recht in ſeinem Element lebte.
Seine Neigung zu den Wiſſenſchaften blieb zwar noch im- mer, was ſie war, doch ruhte ſie unter der Aſche; ſie war ihm jetzt nicht zur Leidenſchaft, und er ließ ſie ruhen
Meiſter Iſaac hatte eine große Bekanntſchaft auf fuͤnf Stun- den umher mit frommen und erweckten Leuten. Der Sonntag war zu Beſuchen beſtimmt, daher ging er mit Stilling des Sonntags Morgens fruͤh nach dem Ort hin, den ſie ſich vorge- nommen hatten, und blieben den Tag uͤber bei den Freunden, des Abends gingen ſie wieder nach Haus; oder wenn ſie weit gehen wollten, ſo gingen ſie des Sonntags Nachmittags zuſam- men fort und kamen des Montags Vormittags wieder. Das war nun Stilling eine Seelenfreude, ſo viele rechtſchaffene Menſchen kennen zu lernen; beſonders gefiel es ihm, daß alle dieſe Leute nichts Enthuſiaſtiſches hatten, ſondern bloß Liebe gegen Gott und Menſchen auszuuͤben, im Leben und Wandel
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 15
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Dieſes war nun der letzte Feind, der aufgehoben werden mußte.
Stilling konnte ſeinen innigen Dank gegen Gott und ſeinen
Wohlthaͤter nicht genug ausſchuͤtten; er weinte vor Freude, und
war voͤllig wohl und vergnuͤgt. Aber geſegnet ſey deine Aſche —
du Stillings Freund! da du liegſt und ruhſt! Wenn ein-
mal die Stimme uͤber den ganzen flammenden Erdkreis erſchal-
len wird: Ich bin nackend geweſen, und ihr habt mich
bekleidet! ſo wirſt auch du dein Haupt empor heben, und
dein verklaͤrter Leib wird ſiebenmal heller glaͤnzen, als die Sonne
am Fruͤhlingsmorgen! —
Stillings Neigung, hoͤher in der Welt zu ſteigen, war
nun fuͤr dieſe Zeit gleichſam aus dem Grunde und mit der Wur-
zel ausgerottet; und er war feſt und unwiderruflich entſchloſſen,
ein Schneider zu bleiben, bis er gewiß uͤberzeugt ſeyn wuͤrde,
daß es der Wille Gottes ſey, etwas anders anzufangen; mit
Einem Wort, er erneuerte den Bund mit Gott feierlich, den er
verwichenen Sommer, den Sonntag Nachmittag, auf der Gaſſe
zu Schauberg mit Gott geſchloſſen hatte. Sein Meiſter war
auch ſo zufrieden mit ihm, daß er ihn nicht anders, als ſeinen
Bruder behandelte; die Meiſterin aber liebte ihn uͤber die Maßen,
und ſo auch die Kinder, ſo daß er nun wieder recht in ſeinem
Element lebte.
Seine Neigung zu den Wiſſenſchaften blieb zwar noch im-
mer, was ſie war, doch ruhte ſie unter der Aſche; ſie war ihm
jetzt nicht zur Leidenſchaft, und er ließ ſie ruhen
Meiſter Iſaac hatte eine große Bekanntſchaft auf fuͤnf Stun-
den umher mit frommen und erweckten Leuten. Der Sonntag
war zu Beſuchen beſtimmt, daher ging er mit Stilling des
Sonntags Morgens fruͤh nach dem Ort hin, den ſie ſich vorge-
nommen hatten, und blieben den Tag uͤber bei den Freunden,
des Abends gingen ſie wieder nach Haus; oder wenn ſie weit
gehen wollten, ſo gingen ſie des Sonntags Nachmittags zuſam-
men fort und kamen des Montags Vormittags wieder. Das
war nun Stilling eine Seelenfreude, ſo viele rechtſchaffene
Menſchen kennen zu lernen; beſonders gefiel es ihm, daß alle
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gegen Gott und Menſchen auszuuͤben, im Leben und Wandel
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/233>, abgerufen am 26.11.2024.
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