Einsmals, als ihrer viele in Freymuths Hause an einem Sonntag Abend versammelt waren, und zusammen lasen, be- teten und sangen, so gefiel es dem Pöbel, dieses nicht leiden zu wollen; sie kamen und schlugen erst alle Fenster ein, die sie nur erreichen konnten; und da die Hausthür verschlossen war, so sprengten sie dieselbe mit einem starken Baum auf. Die Versammlung in der Stube gerieth darüber in Angst und Schrecken, und ein Jeder suchte sich so gut zu verbergen, als er konnte; nur allein Frau Freymuth blieb; und als sie hörte, daß die Hausthür aufsprang, so trat sie heraus mit dem Licht in der Hand. Verschiedene Bursche waren schon hereingedrungen, denen sie im Voraus begegnete. Sie lächelte die Leute an, und sagte gutherzig: Ihr Nachbarn! was wollt ihr? sofort waren sie, als wenn sie geschlagen wären, sie sa- hen sich an, schämten sich, und gingen still wieder nach Haus. Den andern Morgen bestellte Frau Freymuth alsbald den Glaser und Schreiner, um alles wieder in gehörigen Stand zu stellen; dieses geschah, und kaum war alles richtig, so kam ihr Mann von der Messe wieder.
Nun bemerkte er alsofort die neuen Fenster, er fragte deß- wegen seine Frau: wie das zuginge? Sie erzählte ihm die klare Wahrheit umständlich, und verhehlte ihm nichts, seufzte aber zugleich in ihrem Gemüth zu Gott um Beistand, denn sie glaubte nicht anders, als sie würde erschreckliche Schläge bekommen. Doch Freymuth dachte daran nicht, sondern er wurde rasend über die Frevelthat des Pöbels. Seine Meinung war, sich grausam an diesen Spitzbuben, wie er sie nannte, zu rächen; deßwegen befahl er seiner Frau drohend, ihm die Thäter zu sagen, denn sie hatte sie gesehen und gekannt.
Ja, sagte sie: lieber Mann! die will ich dir sagen, aber ich weiß noch einen größern Sünder, als die Alle zusammen; denn es war Einer, der hat mich wegen eben der Ursache ganz abscheulich geschlagen.
Freymuth verstand das nicht, wie sie es meinte; er fuhr auf, schlug auf seine Brust, und brüllte: den soll der T .... holen, und dich dazu, wenn du mir ihn nicht augen- blicklich fagst! Ja! antwortete Frau Freymuth: den will
Einsmals, als ihrer viele in Freymuths Hauſe an einem Sonntag Abend verſammelt waren, und zuſammen laſen, be- teten und ſangen, ſo gefiel es dem Poͤbel, dieſes nicht leiden zu wollen; ſie kamen und ſchlugen erſt alle Fenſter ein, die ſie nur erreichen konnten; und da die Hausthuͤr verſchloſſen war, ſo ſprengten ſie dieſelbe mit einem ſtarken Baum auf. Die Verſammlung in der Stube gerieth daruͤber in Angſt und Schrecken, und ein Jeder ſuchte ſich ſo gut zu verbergen, als er konnte; nur allein Frau Freymuth blieb; und als ſie hoͤrte, daß die Hausthuͤr aufſprang, ſo trat ſie heraus mit dem Licht in der Hand. Verſchiedene Burſche waren ſchon hereingedrungen, denen ſie im Voraus begegnete. Sie laͤchelte die Leute an, und ſagte gutherzig: Ihr Nachbarn! was wollt ihr? ſofort waren ſie, als wenn ſie geſchlagen waͤren, ſie ſa- hen ſich an, ſchaͤmten ſich, und gingen ſtill wieder nach Haus. Den andern Morgen beſtellte Frau Freymuth alsbald den Glaſer und Schreiner, um alles wieder in gehoͤrigen Stand zu ſtellen; dieſes geſchah, und kaum war alles richtig, ſo kam ihr Mann von der Meſſe wieder.
Nun bemerkte er alſofort die neuen Fenſter, er fragte deß- wegen ſeine Frau: wie das zuginge? Sie erzaͤhlte ihm die klare Wahrheit umſtaͤndlich, und verhehlte ihm nichts, ſeufzte aber zugleich in ihrem Gemuͤth zu Gott um Beiſtand, denn ſie glaubte nicht anders, als ſie wuͤrde erſchreckliche Schlaͤge bekommen. Doch Freymuth dachte daran nicht, ſondern er wurde raſend uͤber die Frevelthat des Poͤbels. Seine Meinung war, ſich grauſam an dieſen Spitzbuben, wie er ſie nannte, zu raͤchen; deßwegen befahl er ſeiner Frau drohend, ihm die Thaͤter zu ſagen, denn ſie hatte ſie geſehen und gekannt.
Ja, ſagte ſie: lieber Mann! die will ich dir ſagen, aber ich weiß noch einen groͤßern Suͤnder, als die Alle zuſammen; denn es war Einer, der hat mich wegen eben der Urſache ganz abſcheulich geſchlagen.
Freymuth verſtand das nicht, wie ſie es meinte; er fuhr auf, ſchlug auf ſeine Bruſt, und bruͤllte: den ſoll der T .... holen, und dich dazu, wenn du mir ihn nicht augen- blicklich fagſt! Ja! antwortete Frau Freymuth: den will
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Einsmals, als ihrer viele in Freymuths Hauſe an einem
Sonntag Abend verſammelt waren, und zuſammen laſen, be-
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zu wollen; ſie kamen und ſchlugen erſt alle Fenſter ein, die
ſie nur erreichen konnten; und da die Hausthuͤr verſchloſſen
war, ſo ſprengten ſie dieſelbe mit einem ſtarken Baum auf.
Die Verſammlung in der Stube gerieth daruͤber in Angſt und
Schrecken, und ein Jeder ſuchte ſich ſo gut zu verbergen, als
er konnte; nur allein Frau Freymuth blieb; und als ſie
hoͤrte, daß die Hausthuͤr aufſprang, ſo trat ſie heraus mit
dem Licht in der Hand. Verſchiedene Burſche waren ſchon
hereingedrungen, denen ſie im Voraus begegnete. Sie laͤchelte
die Leute an, und ſagte gutherzig: Ihr Nachbarn! was wollt
ihr? ſofort waren ſie, als wenn ſie geſchlagen waͤren, ſie ſa-
hen ſich an, ſchaͤmten ſich, und gingen ſtill wieder nach Haus.
Den andern Morgen beſtellte Frau Freymuth alsbald den
Glaſer und Schreiner, um alles wieder in gehoͤrigen Stand
zu ſtellen; dieſes geſchah, und kaum war alles richtig, ſo kam
ihr Mann von der Meſſe wieder.
Nun bemerkte er alſofort die neuen Fenſter, er fragte deß-
wegen ſeine Frau: wie das zuginge? Sie erzaͤhlte ihm die
klare Wahrheit umſtaͤndlich, und verhehlte ihm nichts, ſeufzte
aber zugleich in ihrem Gemuͤth zu Gott um Beiſtand, denn
ſie glaubte nicht anders, als ſie wuͤrde erſchreckliche Schlaͤge
bekommen. Doch Freymuth dachte daran nicht, ſondern er
wurde raſend uͤber die Frevelthat des Poͤbels. Seine Meinung
war, ſich grauſam an dieſen Spitzbuben, wie er ſie nannte,
zu raͤchen; deßwegen befahl er ſeiner Frau drohend, ihm die
Thaͤter zu ſagen, denn ſie hatte ſie geſehen und gekannt.
Ja, ſagte ſie: lieber Mann! die will ich dir ſagen, aber
ich weiß noch einen groͤßern Suͤnder, als die Alle zuſammen;
denn es war Einer, der hat mich wegen eben der Urſache
ganz abſcheulich geſchlagen.
Freymuth verſtand das nicht, wie ſie es meinte; er
fuhr auf, ſchlug auf ſeine Bruſt, und bruͤllte: den ſoll der
T .... holen, und dich dazu, wenn du mir ihn nicht augen-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/236>, abgerufen am 25.11.2024.
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